Stuttgart. Die starke Leistung von Mario Götze in der Nationalelf hat die Leistung des DFB-Kollektivs gegen den fünfachen Weltmeister Brasilien in den Hintergrund rücken lassen. Im Mannschaftskreis genießt der BVB-Spieler jedoch keinen Sonderstatus.

Mario Götze wird es nicht leicht gemacht in diesen Tagen. Nach dem Auftaktsieg mit Borussia Dortmund gegen den Hamburger SV am vergangenen Freitagabend in der Bundesliga hat er „viel in den Zeitungen gelesen“. Und was er da gelesen hat, das hat er nicht als wirklich schön empfunden. Der 19-jährige Spross eines Akademikerhaushaltes denkt aber nicht daran, Kioske deshalb zu meiden. „Damit musste ich auch leben“, hat Götze tapfer gesagt. Und das bezog sich auf die Berichterstattung nach seinem Auftritt am Freitagabend. Das bezog sich aber auch auf das, was die nähere Zukunft ihm wohl noch bescheren würde.

Beckenbauer vergleicht Mario Götze mit Lionel Messi

Die nähere Zukunft ist: jetzt. Und Götze wird mit ihr leben müssen. Er wird damit leben müssen, dass er mit dem BVB in der vergangenen Saison die Deutsche Meisterschaft gewonnen hat. Er wird damit leben müssen, dass er nach dem Auftritt seines Heimatklubs gegen den HSV von Kaiser Franz Beckenbauer mit dem Lionel-Messi-Schwert zum Ritter geschlagen wurde. Vor allem jedoch wird er nach seiner ersten Partie von Anfang an im Nationaltrikot damit leben müssen, dass er beim 3:2-Sieg über Brasilien mit der traumwandlerischen Unbekümmertheit des Hochbegabten das Publikum in Stuttgarts Arena, in Deutschland, in der Welt verzaubert hat.

Götze ist einer dieser Spieler, die das können, die sogar strahlen, wenn es gegen die brasilianischen Künstler geht. Joachim Löw hat versucht, sachlich herauszuarbeiten, worin er denn wohl besteht, der besondere Zauber seines Jüngsten. „Götze hat außerordentliche Orientierungsmöglichkeiten“, hat der Bundestrainer unter anderem festgestellt. Und gemeint hat er damit wohl: Der gerade erst 19-Jährige begreift den Raum und besitzt die Fähigkeit, auf verblüffende Weise anzunehmen, weiterzuleiten, zuzuspielen, auszuspielen. Er ist schneller im Kopf als andere und kreativer mit den Schuhen.

Götze hat ein stabiles Umfeld

Götze selbst will das alles gar nicht hören. Als der nationale Vorhang gefallen war, konnte er sich aber nicht wegschleichen wie nach seinem Auftritt gegen die Hamburger in der Dortmunder Arena. In Stuttgart musste er sich mit den Fragen konfrontieren, die er auf dem Rasen aufgeworfen hatte. Und die drehten sich vor allem um seine mentale Stabilität. Ist es denn nicht zwangsläufig so, dass Glanz die Sinne vernebelt? Ist es denn nicht immer so, dass Überflieger zum Abheben neigen? Würde er nicht danach gefragt, würde er sich wahrscheinlich gar nicht damit beschäftigen. Doch das Geschäft funktioniert so. Es ist auch: ängstlich. Super-Mario, hebst du demnächst ab? Tust du uns das an? Götze führte die Familie ins Feld, die Freunde, seinen Berater – allesamt hielten sie ihn am Boden, hat er behauptet. Andererseits: Was bedeutet das eigentlich, abheben?

Richtig klar ist es ihm wohl nicht. Gute Gene und ein förderndes soziales Umfeld haben ihn zu einem spektakulären Fußballer wachsen lassen (das soziale Umfeld bot unter anderem: ein 20-Quadratmeter-Teppichfeld mit kleinen Toren im Elternhaus). Der Rest scheint lästig. „Ich denke“, hat Götze gesagt, „dass man versuchen muss, möglichst wenige Fehler zu machen.“ „Ich versuche“, hat er gesagt, „möglichst konstant meine Leistung zu bringen.“ Und etwas ausführlicher hat er erklärt, dass es auf Papier zwar so gedruckt worden wäre, dass er aber weder von Kollegen nicht „Götzinho“ gerufen werde: „Der Spitzname existiert nicht. Ich werde bei meinem Vornamen gerufen.“

Kein Mitspieler nennt Götze "Götzinho"

Im Mannschaftskreis findet man wohl auch, dass Deutschlands neuer Götze der Mario bleiben sollte. Gemeinsam hatte man Brasilien nach 18 Jahren erstmals wieder in die Knie gezwungen. 1:0 Bastian Schweinsteiger durch Elfmeter. 2:0 Götze! 1:2 Robinho durch Elfmeter. 3:1 Andre Schürrle. 2:3 in letzter Minute Neymar. Und: fertig. „Klasse“ hatte Löw bei seinem Team entdeckt, und zwar „gegen einen Gegner, der zweifelsohne viel Klasse hat“. Doch als Nacht des Kollektivs wird der Triumph über die Brasilianer wohl nicht in die Geschichtsschreibung Einzug halten. Da steht der Götze vor. Toni Kroos fühlte sich richtig angenervt von den Journalisten, die ihm mit den Begriffen „Regisseur“ und „Stammplatz“ jonglierend entgegen traten. „Mario ist ein guter Junge“, hat der Bayer sich um Einordnung bemüht, „aber Regisseur und Stammplatz ist für mich zu hoch gegriffen.“ Zumindest mit letzterem wird Götze aber im Weiteren leben. Und sogar: gern.