Stuttgart. . Joachim Löw weiß selbst nicht mehr, ob er sich mit seinem Ensemble in einem Sterne-Hotel oder in einer Kindertagesstätte einbuchen soll. Doch der Bundestrainer verweist vor dem Länderspiel gegen Brasilien auf das Talentangebot bei anderen Weltgrößen.

Aus „40, 50, vielleicht sogar 60“ über den Globus verstreuten Fußballkünstlern könne Brasiliens Trainer Mano Menezes auswählen, hat Joachim Löw am Dienstag gesagt. Und vor der Testpartie der Nationalmannschaft gegen den Rekordweltmeister am Mittwoch in Stuttgart war das ungefähr so gemeint: Himmel, diese Brasilianer, die werden doch schon mit dem Ball am Fuß geboren, bei denen muss der Trainer doch nur aufpassen, dass er die regelkonforme Anzahl von Leuten auf den Rasen schickt. „Das Maß aller Dinge“, findet Löw allerdings, das sei Spanien, das sei der Europameister und Weltmeister, der bei der 2012 anstehenden EM schon wieder als härtester Konkurrent gilt.

Der Bundestrainer hat es nicht erwähnt, aber auch sein spanischer Kollege Vicente del Bosque profitiert von Nachwuchsfülle. Gerade überlegt der Sohn des brasilianischen Weltmeisters Mazinho, der für Spanien spielen könnte, ob er sein Karriereheil nicht doch lieber in der Heimat des Vaters suchen sollte. Rafael scheut die Konfrontation mit all den spanischen Talenten, die bei den U-Turnieren von Titel zu Titel eilen. Dass Löw darauf verweist, dass die anderen Weltgrößen auf jungen Rosen gebettet sind, macht ihn aber nicht unzufrieden. Warum auch? Er weiß doch selbst nicht mehr, ob er sich mit seinem Ensemble in einem Sterne-Hotel oder in einer Kindertagesstätte einbuchen soll.

Der Mittdreißiger Michael Ballack ist nur noch ein Protagonist älterer Geschichtsschreibung, obwohl die Begegnung mit den Brasilianern als die erste firmiert, in der der Ex-Capitano offiziell nicht mehr zum Kreis der Nationalelf gehört. Doch auch die jungen Wilden der Gruppe „WM im eigenen Land 2006“ sind in die Jahre gekommen. Philipp Lahm, der neue Kapitän, ist 27. Er wird auflaufen im radikal erneuerten Stuttgarter Stadion. Und der ebenfalls bereits 27-jährige Bastian Schweinsteiger muss eine Ausbootung nicht fürchten. Die Podeste weiterer herausragender Kräfte der vergangenen sechs, sieben Jahre sind jedoch bröcklig geworden. Die Innenverteidiger Per Mertesacker und Arne Friedrich sind aktuell nicht dabei. Lukas Podolski ist dabei, hat jedoch einmal mehr in Köln keine Leistung abgeliefert, mit der er die Anwärter auf sein Pöstchen auf der linken Seite erschrecken könnte.

Und Anwärter gibt es viele. Marco Reus, den Gladbacher. Andre Schürrle, den Leverkusener. Mario Götze, den Dortmunder. Thomas Müller, den Bayern. Alle ein halbes Jahrzehnt jünger als Podolski. Alle im von Löw für das Prestige-Duell zusammengestellten Kader. Der Dortmunder Kevin Großkreutz und der Schalker Lewis Holtby halten sich noch in der Wartehalle auf. Daran, wie der Bundestrainer mit der Personalie Poldi umgehen wird, wird sich auch ablesen lassen, ob er das Spiel der deutschen Mannschaft zu verändern gedenkt. Gegen Brasilien hat er auf die Nominierung der Madrilenen Mesut Özil und Sami Khedira verzichtet. Den Akteur Götze kann er deshalb in diesem Fall die Özil-Rolle in der Mitte der Offensiv-Reihe andienen. Auf dem Weg zur EM aber wird es noch spannend werden.

Löw schätzt Götze, er genießt die Darbietungen des Vertreters der Generation Playstation vier, er liebt das Spiel mit der gewaltigen Klickzahl. Özil oder Götze wird die Frage für ihn also nicht lauten, nicht, wenn der Dortmunder den Fußball auf der höheren Ebene auch nur annähernd so zelebrieren kann wie im Klubgefüge. Und kommt Götze, ist in der Dreierreihe nur noch eine Planstelle frei. Der Bundestrainer nimmt das gelassen hin: „Die personelle Lage hat sich für mich in den vergangenen zwei, drei Jahren erheblich verbessert“, hat er sich satt zufrieden geäußert. Seine Aufgabe wird es nun vor allem sein, die satte Unzufriedenheit derer zu moderieren, die sich nicht als Banker oder Fernsehzuschauer empfinden.

Mancher Wechsel zur Jugend vollzieht sich schleichend. In der zentralen Defensive waren Mertesacker und Friedrich lange nicht dabei. Der Dortmunder Mats Hummels zumindest scheint sich zwischenzeitlich etabliert zu haben. Vor der Abwehr will es der Bundestrainer gegen Brasilien mit Ilkay Gündogan versuchen. Warum auch nicht? Vor dem Dortmunder Debütanten haben sich bisher lediglich Schweinsteiger, Khedira, Toni Kroos, Christian Träsch, Simon Rolfes und Sven Bender breit gemacht. Und Götze natürlich. Der kann alles.