Malmö. Die deutsche U21-Nationalmannschaft bestreitet an diesem Montag das EM-Finale gegen England. Deutschland, das bereits bei der U17 und der U19 Europameister ist, könnte den dritten Titel gewinnen.

Peter Knäbel gehörte zu den Pionieren, die den deutschen Fußball in die Zukunft führen wollten. Er musste erkennen, dass ein Visionär auch nur ein Trottel ist, wenn niemand seine Ideen versteht. 1995 spielte er als Profi beim 1. FC Nürnberg. Abends trainierte er die C-Jugend. Er führte die Viererkette statt des Liberos ein. Nach dem ersten Spiel tuschelten die Eltern der Jungs: „O Gott, mit dem Trainer steigen wir ab." Die C-Jugend des 1. FC Nürnberg hatte gegen den Post-Sportverein der Stadt 2:9 verloren.

Das Unvermögen einer großen Fußballnation zu verstehen, was diese komische Viererkette überhaupt sollte, die der Rest der Welt längst spielte, wurden zum Symbol der großen deutschen Rückständigkeit Mitte der Neunziger. Ganze Jahrgänge von Talenten versiegten angesichts der veralteten Ausbildung. „Nach heutigem Erkenntnisstand des Fußballsports müsste sich eine Reihe deutscher Trainer entschuldigen", sagt Knäbel, der mittlerweile als neuer Technischer Direktor die angesehene Jugendarbeit des Schweizer Verbandes übersieht.

Wie ein schlagartiger Kontrast zu jenen langen Jahren der Dekadenz erscheint der aktuelle deutsche Triumphzug im Jugendfußball. An Montag (20.45 Uhr, live im ZDF) fordert die deutsche Elf in Malmö im Endspiel der U 21-Europameisterschaft England heraus, nachdem die DFB-Teams jüngst bereits die europäischen Titel in den anderen zwei Nachwuchsklassen U 19 und U 17 eroberten. Doch diese Erfolge künden nicht eine goldene Generation an, sondern küren bloß die seit zirka 2000 langsam zurück gewonnene Normalität in der Jugendarbeit. „Die Deutschen", sagt Knäbel, als ob er keiner mehr wäre, „hüpfen nicht im Training mit Gummikeulen herum, und der Rest der Welt staunt: ,Wow, was machen die da völlig Neues!' Sie haben nur ihren unnatürlichen Rückstand aufgeholt und jetzt wieder eine neue Trainergeneration im Jugendbereich, die auf dem Stand der Zeit ist."

Ungewollt belegt die U 21-Auswahl in Schweden, dass der neue deutsche Nachwuchs nicht umwerfend, sondern einfach alltäglich gut ist. Das Höchste hatte Trainer Horst Hrubesch von seiner Elf sehen wollen; Schritt für Schritt haben Trainer und Spieler die Ambitionen aufgeben müssen. Sie überforderten sich selbst: Noch beim 1:0-Sieg über Italien im Halbfinale, als sie schon bewusst konservativer agierten, landeten vier von zehn Pässen beim Gegner. Sie haben rechtzeitig ihre Beschränkungen erkannt und mit defensiven Automatismen, enormer Fitness und einigen Funken Klasse bei der EM bislang immer das letzte Wort gehabt. An diesem Stil ist nichts Verwerfliches; auch wenn sie danach reden mussten, als ändere sich im deutschen Fußball nie etwas: „Wir sind einfach Deutschland", sagte der Siegtorschütze des Halbfinals, Andreas Beck, „mit diesen Tugenden: Wir glauben an uns, wir geben alles, wir marschieren, auch wenn unser Spiel mal nicht glamourös ist."

Der Sinn des Juniorenfußballs ist nicht, U21-Europameister zu werden, sondern möglichst viele erstklassige Profis zu entwickeln. Ob aus der deutschen Auswahl wirklich mehr herausragende Spieler hervorgehen als etwa aus der spanischen Elf, die in der Vorrunde scheiterte, sei dahingestellt. Torwart Manuel Neuer und Mesut Özil sind die zwei seltenen Begabungen. Bei den drei Verteidigern Benedikt Höwedes, Jerome Boateng und Andreas Beck wird es spannend, sie haben so viel, um langjährige A-Nationalspieler zu werden, aber alle auch noch elementare Schwächen. Die große Masse des Teams sollte Karriere als ordentliche Bundesligaspieler machen. Das ist es, was die Deutschen von ihrer neuen Jugend erwarten können: ab und an einen Berufenen wie Neuer und über Jahre viele passable - normale - Erstligaspieler. Das ist mehr, als sie jahrelang gewohnt waren.

Peter Knäbel ist damals mit seiner Nürnberger C-Jugend samt Viererkette am Ende doch Meister geworden. Aber richtig gut konnte es für einen Visionär in den Neunzigern im deutschen Fußball nicht enden. Eines Tages schickte ihn Trainer Hermann Gerland bei den Profis auf die Bank. Mit der Begründung, Knäbel sei „in Gedanken zu sehr mit dem Jugendtraining beschäftigt".