München.

Nach dem 0:2 beim BVB und dem schlechtesten Saisonstart seit über 40 Jahren steckt der Branchenprimus tief in der Krise. Die Münchner Malaise hat viele Ursachen – und lässt sich längst nicht mehr mit Pech beim Torschuss erklären.

An der Säbener Straße herrscht Alarmstimmung. Der FC Bayern ist katastrophal in die Saison gestartet, hat wenig Tore geschossen und viele kassiert und steht folglich am Tabellenende – der 3. Liga.

So schlimm wie die zweite Mannschaft der Münchner hat es die „großen“ Bayern zwar noch nicht getroffen. Doch die Lage des Rekordmeisters in der Liga könnte angesichts der Ansprüche dieses Klubs kaum dramatischer sein. Nach der 0:2-Niederlage bei Borussia Dortmund steht die Elf von Louis van Gaal auf Platz zwölf, mit jetzt schon 13 Punkten Rückstand auf Spitzenreiter Mainz 05. „Das ist der Super-GAU“, befand Präsident Uli-Hoeneßnach der Pleite in Dortmund, wo man eigentlich die Wende einleiten wollte.

Der FC Bayern im Herbst 2010 erscheint nur noch wie ein billiges Imitat des strahlenden Double-Siegers und Champions-League-Finalisten vom Frühjahr. Die Souveränität und Spielfreude des Vorjahres sind verloren gegangen. Von der van Gaal’schen Kombination aus Kontroll- und Kreativfußball, die die Spieler nach holprigem Start 2009 verinnerlicht zu haben schienen, ist nichts mehr zu sehen. Lediglich in der Kategorie Ballbesitz ist die Dominanz der Münchner ungebrochen – mit 63,75 Prozent sind sie zumindest hier der Konkurrenz weit voraus.

Längst hat an der Säbener Straße die Ursachenforschung eingesetzt, und wie so oft mangelt es nicht an nachvollziehbar erscheinenden Hypothesen. Da wird zum einen die WM-Müdigkeit insbesondere der Jungnationalspieler ins Feld geführt, vor der van Gaal schon vor Saisonbeginn gewarnt hatte. Da beklagt Vize-Kapitän Philipp Lahm die Einstellung seiner Mitspieler, von denen „zu viele unter ihrem Niveau spielen.“ Und natürlich fehlen die beiden verletzten Ausnahmekönner Arjen Robben und Franck Ribéry an allen Ecken und Linien des Platzes.

Doch diese Deutungsversuche genügen nicht als Erklärung für den schlechtesten Saisonstart seit 1966. Zu individuellen Fehlern gesellen sich personelle und taktische Probleme, die – zumindest öffentlich – bisher verschwiegen wurden.

Die Defensive:

Diego Contento (r.) im Spiel gegen Hoffenheim.
Diego Contento (r.) im Spiel gegen Hoffenheim.

Acht Gegentore sind auf den ersten Blick nicht viel, nur Mainz und der BVB haben weniger zu verzeichnen. Trotzdem kommen Bayerns Gegner in dieser Saison zu leicht und zu oft zum Abschluss. „Wir kassieren zu viele unnötige Treffer“, bekannte auch Kapitän Mark van Bommel in der „Bild am Sonntag“. In Dortmund war es der eingewechselte Martin Demichelis, der dem BVB bei beiden Toren Schützenhilfe gewährte. Auch Holger Badstuber unterlaufen ungewohnt viele Fehler in der Spieleröffnung.

Der größte Schwachpunkt ist jedoch die linke Abwehrseite, über die fünf der acht Gegentore eingeleitet wurden. Im Vorjahr half Badstuber dort aus und machte einen ordentlichen Job. Doch van Gaal sieht den 21-Jährigen als Innenverteidiger und beorderte ihn zu Saisonbeginn ins Abwehrzentrum, Diego Contento sollte wie schon zum Ende der vorigen Spielzeit die linke Seite besetzen. Der 20-Jährige hatte allerdings keinen guten Start, beim Spiel in Hoffenheim patzte er und fehlt seitdem aufgrund von Leistenproblemen. Van Gaal bot daraufhin Danijel Pranjic und zuletzt in Dortmund sogar den Dauer-Reservisten Edson Braafheid auf - Abhilfe schaffen konnte keiner von beiden.

Es scheint sich nun zu rächen, dass die Bayern-Führung im Sommer darauf verzichtete, einen Außenverteidiger von internationalem Format - wie den Portugiesen Fabio Coentrao oder den Niederländer Gregory van der Wiel - zu verpflichten. „Hinterher ist man immer schlauer“, antwortete Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auf die Frage, ob es ein Fehler war, vor der Saison nicht in den Kader investiert zu haben.

Die Offensive:

Der vormals beste Angriff der Liga ist zum schlechtesten mutiert. Nur fünf Treffer, darunter ein Eigentor und kein einziges Stürmertor. Hinzu kommt die schlechteste Chancenverwertung aller Erstligisten. „Auch zwei Meter vor dem leeren Tor können wir nicht treffen“, haderte van Gaal nach der Partie beim BVB zum wiederholten Male mit dem Fußballgott.

Bayerns Null-Tore-Stürmer Mario Gomez.
Bayerns Null-Tore-Stürmer Mario Gomez.

Doch die Abschlussschwäche lässt sich nicht länger allein mit unglücklicher Fügung erklären – das Glück will eben auch erzwungen werden. Zwar zählen die Münchner mit 42 Torchancen zur Spitzengruppe der Liga, doch kommen sie viel zu selten in wirklich aussichtsreiche Schusspositionen.

Ein wichtiger Grund dafür: Ohne Robben und Ribéry fehlt es dem Spiel nach vorne an Schnelligkeit und Überraschungsmomenten. Doch obwohl die beiden wichtigsten Offensivakteure in van Gaals 4-2-3-1 fehlen, ändert er nicht das System, sondern das Personal. So verzweifelt, wie Felix Magath auf Schalke an seiner Abwehr bastelt, probiert van Gaal immer wieder neue Spieler auf der Zehnerposition (Kroos, Müller, Klose, Schweinsteiger) und als Sturmspitze (Klose, Olic, Gomez) aus. Überzeugen konnte bisher keiner. Vor allem der als Ideengeber vorgesehene Toni Kroos findet bislang kaum Bindung zum Spiel.

Das System mit einem Stoßstürmer birgt die Gefahr, dass dieser schnell „in der Luft hängt“, wenn er keine präzisen Zuspiele bekommt oder die Bälle nicht auf nachstoßende Mitspieler ablegen kann. Genau das ist derzeit bei den Bayern zu beobachten. Gegen den BVB etwa wich Gomez öfters auf den Flügel aus, für seine Hereingaben fand sich dann in der Mitte kein Abnehmer. Im Strafraum konnte er entweder die Bälle nicht halten – oder es rückte niemand als Anspielstation nach.

Zeit zur Fehleranalyse und -behebung bleibt den Bayern jedenfalls zunächst – nicht nur aufgrund der Länderspielpause. Sportdirektor Christian Nerlinger hat nach dem 0:2 beim BVB den obligatorischen Besuch des Oktoberfestes abgesagt.