Dortmund. .
Sie zelebrieren einerseits Choreografien, andererseits werfen sie bengalische Fackeln aufs Spielfeld. Sie fallen durch kreative Gesänge auf – und durch Schlägereien mit der Polizei oder untereinander. Ultras sind wieder ins Gerede gekommen. DerWesten erklärt, was es mit ihnen auf sich hat.
Das Wort „Fan“ kommt von fanatisch. Fans sind Menschen, die mit ihrem Verein durch dick und dünn gehen und ihn bedingungslos unterstützen. Die findet man auf den Stehrängen, meist mittig hinter dem Tor. In den 70er und 80er Jahren waren es die Kutten-Fans mit ihren mit Aufnähern vollgepackten Jeans-Westen, die dort den Ton angaben.
Seit einigen Jahren dominieren die Ultras, eine Gruppe, die durch ihre schwarze oder dunkle Kleidung gut zu erkennen ist. Dennoch ist gerade diese Fan-Gruppierung schwer zu begreifen. Ultras sind mal kreativ und zelebrieren ihre Liebe zum Verein mit fantastischen Choreografien (Choreos). Dann wieder fallen sie durch Pöbel-Gesänge gegen die Polizei auf, durch den unkontrollierten Einsatz von bengalischen Feuern oder eben durch handfeste Auseinandersetzungen mit den Ordnungshütern.
Mit dem Rücken zum Spielfeld
Im Stadion machen Ultras die Stimmung. Dabei steht ein Vorsänger mit dem Rücken zum Spielfeld und gibt die Lieder oder Sprechchöre vor. Mit dem Rücken zum Spielfeld – für „normale“ Fans ist es völlig unverständlich, dass sich jemand vom Spiel abwendet. „Dass der Vorsänger mit dem Rücken zum Spiel steht, ist sinnbildlich für die Entwicklung der Ultra-Szene“, erklärt Michael Gabriel von der Koordinationsstelle für Fanprojekte (KOS) der Deutschen Sportjugend. „Ultras haben ihre Aufmerksamkeit vom Spiel entkoppelt“, so Gabriel. Es sei wichtiger, 90 Minuten lang eine gute Performance abzuliefern, etwa mit Dauergesängen und optisch gelungenen Auftritten.
Der spielbezogene Support, etwa das laute Anfeuern der eigenen Mannschaft bei Ballbesitz oder das Auspfeifen des Gegners, wenn er das Leder hat, sei in den Hintergrund gerückt. Gabriel: „Überspitzt kann man sagen, dass Ultras häufiger in die gegnerische Kurve schauen als aufs Spielfeld.“
Avantgarde unter den Fans
Für viele Ultras, so Gabriel, sei es wichtig, eine Avantgarde darzustellen. Oft geben sich Ultras elitär, als stünden sie über den anderen Fans. Für andere Fans, die nur wegen des Fußballspiels ins Stadion gehen, steht das Verhalten im Widerspruch zur Aussage vieler Ultra-Gruppierungen, alles für den Verein zu tun. Vielmehr scheinen die schwarz gekleideten Fans ganz andere Schwerpunkte für sich entdeckt zu haben, wenn Gesänge wie „Alle Bullen sind Schweine“ angestimmt werden.
Tatsächlich haben Ultras ein äußerst gespanntes Verhältnis zur Polizei. Das war nicht immer so. „Die KOS hat im Jahr 2002 den ersten Ultra-Kongress abgehalten. Damals gab es noch gar keine Probleme mit Ultras." In dieser Zeit habe die KOS den Trend erkannt, dass die Ultras die Zukunft der Fankurven werden könnten. Die Ziele der Bewegung waren redlich. Die neuartigen Fans wollten die Stimmung in den alten, zugigen Stadien aus den 70er Jahren verbessern. Die Kurven in großen Betonschüsseln wie dem Gelsenkirchener Parkstadion, dem Waldstadion in Frankfurt oder dem Münchener Olympiastadion waren den Ultras zu ruhig. „Sie wollten eine einheitliche Kurve“, so Gabriel. Dieses Ziel haben sie inzwischen übererfüllt: In allen Fanblöcken der Republik erklingen dieselben Lieder, stehen dieselben Sprüche auf Transparenten. Ein Favorit: "Gegen den modernen Fußball".
Polizei nutzte Methoden aus der Hooligan-Bekämpfung
Anders als die Fanprojekte, die sich von Beginn an für die Ultras zu interessieren begannen, reagierte die Polizei überrascht auf die neue Fanbewegung. „Die Polizei ging gegen die Ultras mit Methoden vor, die ursprünglich für die Hooligan-Szene gedacht waren“, erklärt Gabriel.
Vor den Spielen gab es Gefährder-Ansprachen, auf dem Weg zu den Spielen wurden die Ultras, die meist als geschlossene Gruppe zu Auswärtsspielen reisen, von engen Polizei-Kordons begleitet. „Dabei gab es damals noch gar keine Probleme mit Ultras“ so Gabriel.
Die Polizei, so der Fan-Experte, habe den Ultras zu Beginn viel zu viel Aufmerksamkeit gewidmet, während die Vereine die neue Strömung unter ihren Anhängern vernachlässigt hätten. Die Ultras versuchten, ihre Vereine mit Choreos zu unterstützen, während die Klubs im Gegenzug ihre Stadien umbenannten und dem Kommerz Tür und Tor öffneten. Doch gerade gegen die Kommerzialisierung - den sogenennten "modernen Fußball" wenden sich die Ultras vehement. „Polizei, Ultras und Vereine standen sich zunehmend sprachlos gegenüber“, fasst Gabriel zusammen.
Keine Kommunikation
Am Ende stehen Polizei-Aktionen wie im vergangenen Jahr in Bremen, als die dortige Polizei rund 200 Frankfurter festnahm, weil in der Menge ein Böller gezündet wurde. Die Frankfurter wurden eingekesselt, in Busse verfrachtet und zurück nach Hessen transportiert. Gabriels Vorwurf: „Dort hat zwischen Polizei und Fans keine Kommunikation stattgefunden. Gesprächsangebote der Ultras und des Fanprojekts wurden ignoriert.“
Einen anderen Weg geht die Polizei in Hannover. In der niedersächsischen Landeshauptstadt informiert die Polizei die Gäste-Fans zwei Wochen vor dem Spiel über die örtlichen Gegebenheiten. Dazu gehören sogar Infos, in welchen Kneipen Fans mit Stadionverbot das Spiel verfolgen können. An den neuralgischen Punkten am Bahnhof oder rund ums Stadion treten in Hannover keine Polizisten in Kampfmontur auf. Nach den Spielen gibt die Polizei den Fans die Möglichkeit, die Einsätze zu beurteilen. Der Tenor: „Endlich wird man als Fan nicht wie ein Mensch zweiter Klasse behandelt.“
Ultras schaden ihrem Verein
Doch falsche Polizeimaßnahmen erklären nicht, warum es im Umfeld von Ultra-Gruppierungen immer wieder zu Randale kommt. Es ist kaum erklärbar, warum Fans dem eigenen Verein schaden, indem sie während des Spiel Bengalos auf den Platz werfen und so einen Spielabbruch und eine saftige Geldstrafe für ihren Klub riskieren. „Diese Radikalisierung lässt sich nicht auf wenige Gründe reduzieren“, so Gabriel.
Der KOS-Mann sieht eine Vielzahl gesamtgesellschaftlicher Gründe mitwirken. Die Jugendkultur sei entweder total verkommerzialisiert oder verregelt. Da sei es verlockend, Grenzen zu durchbrechen. Vorfälle wie beim vergangenen Revier-Derby, als eine größere Gruppe Dortmunder Jagd auf Schalker machte und dabei Nazi-Parolen brüllte, seien jedoch die Ausnahme.
Schnell werden Ultras nach Ausschreitungen in den Medien als „sogenannte Fans“ bezeichnet. „Man muss Ultras immer als Fan betrachten“, betont indes Gabriel. Auch die Hooligans seien immer ein Teil der Fan-Szene gewesen. Allerdings räumt der Fan-Experte ein: „Selbst die Hooligans schütteln über manche Dinge, die von Ultras veranstaltet werden, den Kopf.“ Denn das Verhalten von Ultras im Stadion führt immer wieder zu Geldstrafen gegen den Verein, den sie eigentlich unterstützen wollen. „Die ehemaligen Hooligans betonen dann immer gerne, dass sie damals wenigstens nicht ihrem Verein geschadet hätten“, so Gabriel.
Viel Zulauf
Ultra-Gruppierungen - oder viel mehr die Ultra-Kultur - haben einen großen Zulauf. Oft sind unter den hunderten schwarz gekleideter Fans, die ihren Verein zu Auswärtsspielen begleiten, zahlreiche unorganisierte Jugendliche, die einfach den "Style" der Ultras mögen und kopieren. Wenn die sich dann daneben benehmen, fällt das auf die etablierten Ultra-Gruppierungen zurück, ohne dass die etwas dafür können.
Für die Ultra-Gruppen geht es nun darum, zu entscheiden, in welche Richtung sie sich bewegen wollen. In allen Gruppierungen gibt es gemäßigte Köpfe, die den Ton angeben. Wenn Ultras ernst genommen und verstanden werden wollen, müssen sie sich öffnen und ihr Handeln für andere Fans nachvollziehbar machen.
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