Köln.

Der ehemalige Bundestrainer Berti Vogts sieht sich in Aserbaidschan als Entwicklungshelfer. Dort sind Schach und Ringen bedeutender als die Randsportart Fußball.

Als er vor zwei Jahren den neuen Job antrat, hätte er mit Verständnis rechnen dürfen, wenn er gleich wieder weggelaufen wäre. Die Umstände waren erschreckend. Nicht, weil Berti Vogts als neuer Nationaltrainer von Aserbaidschan das erste Länderspiel gegen Bosnien-Herzegowina mit 0:1 verlor. Es war diese Symbolik, die ihm auf gespenstische Weise verdeutlichte, wohin es ihn diesmal verschlagen hatte: Das Spiel im bosnischen Zenica fand nämlich in einem menschenleeren Stadion statt. Weil Nationaltrainer Meho Kodro entlassen worden war, boykottierten nicht nur 19 bosnische Spieler die Partie, sondern auch die Fans.

Vielleicht dachte Berti Vogts damals in einem stillen Moment auf der Trainerbank daran, wie es war, als er 1996 in England die deutsche Nationalelf zum Europameistertitel führte und im ehrwürdigen Wembleystadion allein vor den deutschen Anhängern die Welle machte. Als er endlich die Anerkennung bekam, um die er zuvor jahrelang vergeblich gekämpft hatte, und die ihm schon zwei Jahre später, nach dem Viertelfinal-K.o. bei der WM 1998 in Frankreich, wieder entzogen wurde. Wahrscheinlich aber ignorierte Berti Vogts bei diesem seltsamen Debüt für Aserbaidschan alle Widrigkeiten und nahm einfach nur professionell den neuen Kampf an.

So war er doch immer, der Spitzname „Terrier“ hatte ihn schon als Verteidiger geadelt: Weil er es trotz bescheidener fußballerischer Mittel mit grenzenlosem Willen bis zum Weltmeistertitel brachte.

In diesen Tagen ist Berti Vogts zu Gast in seiner alten Fußballwelt. Gewissenhaft hat der 63-Jährige sein Außenseiterteam auf das Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2012 an diesem Dienstagabend in Köln gegen den WM-Dritten Deutschland vorbereitet, schon seit Beginn der vergangenen Woche hält sich die Mannschaft aus dem Südkaukasus in Deutschland auf. Vogts nutzte all seine guten Kontakte. „Damit sich die Spieler an die Bedingungen gewöhnen“, erklärt der frühere Bundestrainer. Zum Beispiel an die gepflegten, schnellen Rasenflächen.

Sie haben nämlich viel zu wenige Fußballplätze in Aserbaidschan. Schach ist Nationalsport – „man muss wissen, dass Garri Kasparow kein Russe ist, sondern Aserbaidschaner“, betont Vogts. In den Schulen finden an den Wochenenden Ringerturniere statt, Bolzplätze gibt es nicht. „Fußball ist eine Randsportart“, sagt Vogts. Bei diesem Stellenwert will er es nicht belassen.

Sie sind ihm ja jetzt schon dankbar, nach zwei Jahren seines Wirkens sind erste Besserungen erkennbar. Die Nationalmannschaft hat sich von Platz 147 der Weltrangliste auf Platz 105 vorgearbeitet, und Kapitän Rashad Sadigow sagt: „Es ist enorm, was der Trainer hier bereits geleistet hat. Wir haben uns allein im Fitnessbereich deutlich verbessert.“

Was Vogts allerdings relativiert. Aus seiner Sicht ziehen die Vereine nicht mit, sie gewähren den Spielern zu viel Freizeit. „Wir haben jetzt die Fitness getestet in Zusammenarbeit mit der Universität Saarbrücken, die das auch bei der deutschen Mannschaft übernimmt“, berichtet er. „Über die Vergleiche möchte ich lieber nicht sprechen.“

Vogts betrachtet die Partie als „kostenlose Fortbildung“

Er glaubt, dass sich sein Team gegen die deutsche Mannschaft, die ihn während der WM ins Schwärmen brachte, allenfalls tapfer wehren kann; dass es aber chancenlos bleiben wird. Er betrachtet die Partie in Köln als „kostenlose Fortbildung“ für seine Spieler.

Sich selbst sieht er ohnehin als Entwicklungshelfer. Er kümmert sich um eine verbesserte Trainerausbildung, hat dafür seinen früheren Weggefährten Erich Rutemöller gewinnen können. Er hat 15-jährige Talente aus Aserbaidschan nach München, Hoffenheim und Hannover geschickt, „damit sie mal sehen, was es heißt, täglich zu trainieren“. Er hofft, dass in nicht allzu ferner Zukunft mal ein Bundesligist einen dieser Jungs verpflichten wird.

Ob er dann selbst noch Nationaltrainer dieses Landes sein wird? Kann sein, muss nicht. „Wenn ich keine Lust mehr habe, ist der Vertrag beendet“, sagt er. Noch genießt er es, in die Hauptstadt Baku zu reisen („Gute Küche, gutes Bier“). Aber er träumt sogar noch davon, „einmal in den USA oder der Premier League zu arbeiten“. Er weiß, dass zumindest England vermessen klingt, aber er hat nun einmal die Begeisterung für seine Fußball-Arbeit nie verloren. „Und wer nicht mehr träumt, ist mausetot.“