57 Tage nach der Kampfansage von Philipp Lahm an Platzhirsch Michael Ballack hat Joachim Löw den Machtkampf um das Kapitänsamt in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft beendet und vor dem Start in die EM-Qualifikation mit einem faulen Kompromiss zunächst mal für Klarheit gesorgt. "Michael Ballack bleibt weiter Kapitän unserer Mannschaft, Philipp Lahm der Stellvertreter", sagte der Bundestrainer am Mittwoch in Frankfurt/Main und fügte dann vielsagend hinzu: "Ich sehe Michael im Moment aber noch nicht in der Verfassung, dass er uns weiterhelfen kann, deshalb trägt Philipp bei den nächsten beiden Spielen die Binde."
Nachdem Ballack aufgrund mangelnder Fitness von Löw nicht für die anstehenden EM-Qualifikationsspiele am Freitag in Belgien (20.45 Uhr/live im DerWesten-Ticker) und vier Tage später in Köln gegen Aserbaidschan (20.45 Uhr/live im DerWesten-Ticker) nominiert worden war, hatte zunächst alles für den WM-Spielführer gesprochen, ehe der Bundestrainer eine Kehrtwende vollzog.
"Ich musste nach der WM erstmal zur Ruhe kommen, um mir dann meine Gedanken zu machen. Mir war immer klar, dass Anfang September einige Dinge entschieden werden müssen, damit wir uns wieder auf das Sportliche konzentrieren können. Zuvor wollte ich aber mit den Beteiligten persönlich sprechen, erklärte Löw, warum er nicht schon früher ein Machtwort gesprochen hat. Zudem betonte der 50-Jährige, dass es nicht um "Machtdemonstratioen" oder sogar um eine "Demontage" von Ballack ginge.
Löw hat mit Ballack "offen und vertrauensvoll gesprochen"
10. Oktober 2009: Unmittelbar nach der gelungenen WM-Qualifikation durch einen 1:0-Sieg über Russland spricht sich DFB-Präsident Theo Zwanziger für eine Vertragsverlängerung mit Löw aus.
15. November 2009: Löws schwerster Gang. Nach Robert Enkes Freitod nimmt der Bundestrainer mit Manager Oliver Bierhoff und Ex-Trainer Jürgen Klinsmann Abschied.
4. Februar 2010: Einen Tag nach Löws 50. Geburtstag werden die Vertragsverhandlungen auf einer außerordentlichen Präsidiumssitzung überraschend auf die Zeit nach der WM vertagt.
WM 2010: Ein Pullover schreibt Geschichte. Das Kleidungsstück aus hellblauem Babykaschmir wurde bei der WM 2010 in Südafrika der Glücksbringer des deutschen Nationalteams. Eine Kaufhaus-Kette hatte den Talisman später für eine Million Euro zugunsten der Aktion “Ein Herz für Kinder” ersteigert.
Am 15. März 2011 gab der DFB bekannt, dass Joachim Löw und seine Mitarbeiter ihre Verträge um weitere zwei Jahre bis zum 31. Juli 2014 verlängert haben.
Juni 2012: Deutschland gewann bei der Euro in Polen und der Ukraine alle drei Gruppenspiele, was zuvor keiner deutschen Mannschaft bei einer EM-Endrunde gelungen war.
14. Juni 2012: Mehr als 27 Millionen Zuschauer sahen, wie Joachim Löw in der 22. Minute des Spiels gegen Holland einen Balljungen foppte. Die Uefa gab später zu, dass die Szene gar nicht während des Spiels entstand.
28. Juni 2012: Im Halbfinale verlor diedeutsche Mannschaft mit 1:2 gegen Italien. In verschiedenen deutschen Medien und auch von diversen deutschen Ex-Spielern wurde Löw anschließend eine bedeutende Mitschuld am Ausscheiden attestiert.
13. August 2012: Nach längerer Auszeit meldete sich Löw zum Start der neuen Saison mit einem verbalen Rundumschlag zurück. Und er nahm Stellung zu der teils heftigen Kritik EM-Halbfinal-Aus gegen Italien.
1. September 2012: Die WM-Qualifikation begann die Nationalelf mit einem lockeren 3:0 - Sieg gegen Fußballzwerg Färöer. Tore von Götze und Özil ließen die Kritik an Bundestrainer Löw wieder etwas abebben.
16.10.2012: Trotz einer 4:0-Führung verspielte Deutschland am vierten Spieltag der Qualifikation gegen Schweden den Sieg. Das Spiel endete mit 4:4. Deutschlands Abwehr stand im Zentrum der Kritik.
11.10.2013: In der WM-Qualifikation behielt Deutschland nach dem Schweden-Spiel eine weiße Weste und gewann alle folgenden Spiele. Gegen Irland gelang die vorzeitige Qualifikation schon am zehnten Spieltag. Die Kritik, die Löw noch im Vorjahr aushalten musste, war verflogen. Der Bundestrainer sitzt wieder fest im Sattel.
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Mit Ballack hat er zu Wochenbeginn knapp zwei Stunden zusammengesessen und ihm persönlich mitgeteilt, was er in den kommenden Wochen von seinem Kapitän außer Dienst erwartet. "Ich habe mit ihm offen und vertrauensvoll gesprochen. Michael hat große Verdienste um die Nationalmannschaft, aber er war drei Monate verletzt und muss erst wieder seine Form finden. Er hat eingesehen, dass er noch nicht wieder die Leistung bringt, die wir von ihm gewohnt sind. Ich habe ihm in aller Offenheit gesagt, was ich von ihm erwarte und was ich von ihm sehen will. Im Oktober werde ich dann neu entscheiden, ob er uns weiterhelfen kann", berichtete der Bundestrainer vor der Unterredung mit dem 98-maligen Nationalspieler.
Der frühere DFB-Kapitän Oliver Kahn hält Löws Entscheidung zumindest für fragwürdig. "Ballack muss für sich entscheiden, ob er sich in so eine Situation begeben möchte. Ich bin kein Freund solcher Teillösungen. Das führt meistens zu weiterer Unruhe und ständigen Diskussionen", sagte der frühere Torwart der AZ. Der ehemalige Nationalkeeper riet Ballack, sich sehr gut zu überlegen, "ob er sich diesen Stress noch antut".
Kahn sprach sich für einen "klaren und eindeutigen Kapitän" aus: "Ein Trainer muss im Idealfall sagen: "Ich stehe zu 100 Prozent zu meinem Kapitän, das ist mein erster Ansprechpartner." Ballack könne der jungen Mannschaft mit seinem Potenzial und seinen Leaderqualitäten noch helfen, allerdings müsse er die totale Unterstützung des Trainerstabes und der Mannschaft haben.
Dass Ballack im kommenden Monat für die beiden Quali-Spiele gegen die Türkei und in Kasachstan sein Comeback in der DFB-Auswahl feiert, scheint aber mehr als fraglich. Bei seinen bisherigen Einsätzen für Bayer Leverkusen konnte der ehemalige Chelsea-Star noch nicht positiv in Erscheinung treten. "Ich habe zweimal mit Jupp Heynckes telefoniert und mich mit ihm über Michaels Verfassung unterhalten. Das waren konstruktive Gespräche", berichtete der Bundestrainer, der zudem deutlich machte, dass es der "Capitano" auch aus sportlichen Gründen schwer habe, wieder in die Stammformation beim WM-Dritten zu kommen.
Schweinsteiger und Khedira vorerst gesetzt
"Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira haben bei der WM meine Erwartungen voll erfüllt und sind zunächst mal auf dieser Sechser-Position gesetzt", sagte Löw, der Ballack nicht mehr als ein Hintertürchen aufhielt: "Ein Michael Ballack in Topform ist für unsere Mannschaft eine Verstärkung. Zudem brauchen wir bei dem Qualifikations-Marathon mehr Spieler als bei einem Turnier." Ob sich Ballack im Fall der Fälle auch auf die Bank setzen würde, könne er derzeit nicht beantworten, so Löw.
Lahm habe die Entscheidung ebenso wie die Mannschaft akzeptiert, versicherte der Bundestrainer, der auf die Äußerungen seiner Profis im Rahmen der K-Debatte nicht viel gegeben hat. "Die Bedingungen stelle ich, die Spieler können lediglich Wünsche äußern", stellte Löw klar.
Ballack wollte sich Mittwoch auf SID-Anfrage ebensowenig äußern wie Lahm, der sich aber klar im Vorteil sehen kann. Dasselbe gilt in der Torhüterfrage für Neuer. "Er hat bei der WM seine Chance genutzt und ist deshalb in der EM-Qualifikation unsere Nummer eins", sagte Löw, der am Mittwoch wieder auf Stefan Kießling (Rückenprobleme) zurückgreifen konnte.(sid)
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