Bochum. .

Jong Tae-Se ist Nordkoreas einziger Star. Jetzt hat der WM-Teilnehmer beim VfL Bochum unterschrieben. Im „11 Freunde“-Sonderheft zur Weltmeisterschaft in Südafrika wurde seine außergewöhnliche Geschichte vorgestellt.

Spitznamen hat der Mann genug. Ein paar davon haben mit Wayne Rooney zu tun. »Der Wayne Rooney Asiens«, »der Wayne Rooney des Volkes«. »The People’s Wayne Rooney«, eine Anspielung auf das Land, für das er international antritt: The Democratic People’s Republic of Korea. Nordkorea also. Doch der Mann, der für Kawasaki Frontale in Japans J. League spielt, weist diese Vergleiche von sich, die technischen Fähigkeiten Rooneys habe er nicht. Ein Zeichen von Bescheidenheit ist das aber nicht unbedingt, er findet nur eben, dass er mit seinem Stil eher Didier Drogba ähnele. Er ist schnell, er ist wuchtig, er kann aus allen Lagen schießen. Vor allem aber hat er überhaupt kein Problem damit, wenn gleich zwei Verteidiger an ihm kleben. Jong Tae-Se in guter Form bringt den Ball trotzdem im Tor unter. Ein weiterer Spitzname, der diese Urge walt belegt: »die menschliche Abrissbirne«.

Probleme gibt es eigentlich nur zwei: Zum einen weiß er selber nicht so recht, wie gut er ist, weil man seine bisherigen Gegenspieler in der J. League oder bei Länderspielen im asiatischen Raum meist nicht unbedingt in die Weltklasse einordnen würde. Zum anderen ist Jong Tae-Se nicht immer gut in Form. Auch nicht in der Nationalmannschaft. In seinen ersten beiden Spielen schoss er gleich acht Tore. Beim Ostasien-Cup 2008 folgten zwei weitere in drei Partien. Seitdem kamen nur noch zwei dazu. Er weiß das. Im Interview mit fifa.com bekannte er, dass er unbedingt an seiner Konstanz arbeiten müsse, seine Formschwankungen finde er selbst indiskutabel.

Eine Mannschaft, fast ohne Legionäre

Trotzdem ist er der Schlüsselspieler der nordkoreanischen Elf, die sich hauptsächlich aufs Verteidigen versteht und beinahe ausnahmslos über Konter zum Erfolg kommt. Dann ist Tae-Se der Mann, der entweder schnell den Abschluss sucht oder den Ball hält, bis die Kollegen nachgerückt sind, vor allem Yong-Jo Hong vom russischen Verein FK Rostov, der zweite Star einer Mannschaft, die kaum Legionäre in ihren Reihen hat.

Dabei hätte Jong Tae-Se beinahe gar nicht für Nordkorea auflaufen dürfen. Er wurde 1984 in Japan geboren und hat nie woanders gelebt. Seine Mutter ist Nordkoreanerin, sein Vater wurde ebenfalls in Japan großgezogen, begreift sich aber als Nordkoreaner, wie der Sohn der amerikanischen Nachrichtenagentur AP mitteilte. Er selbst hatte ursprünglich einen südkoreanischen Pass. Als er den in der Botschaft in Tokyo abgeben wollte, um für den kommunistischen Norden die bunten Schuhe schnüren zu dürfen, lehnten die Behörden sein Ansinnen zunächst umgehend ab. Da die beiden koreanischen Staaten einander nicht anerkennen, wäre Tae-Se andernfalls staatenlos geworden. Ginge nicht, meinte die Behörde. Erst nach einigen Mühen und Diskussionen auf diplomatischer Ebene erhielt der Stürmer doch noch die Papiere und damit auch die Freigabe der FIFA.

Dabei unterstützt wurde Jong Tae-Se, der in Japan als Chong Tese bekannt ist, von der koreanischen Organisation Chongryon, die überhaupt eine wichtige Rolle in seinem Leben spielt. Chongryon setzt sich für die Belange in Japan lebender Koreaner ein, die sich dem Regime im Norden zugehörig fühlen. Da Japan keine diplomatischen Beziehungen mit Nordkorea unterhält, fungiert Chongryon zugleich als eine Art inoffizielle Botschaft des Landes in Japan und betreibt zudem Kindergärten, Schulen und die Korea University in Tokyo. Dieses System, in dem, vorsichtig formuliert, sehr viel Wert auf Disziplin gelegt wird, durchlief er von klein auf und identifiziert sich damit, weswegen er sich gegen die asiatischen Fußball-Schwergewichte Japan und Südkorea und für den Underdog Nordkorea entschied.

Im Gegensatz zu seinen Kollegen gibt er Interviews

Seitdem ist er nicht nur der Schlüsselspieler der Mannschaft, er ist auch der einzige Schlüssel zu ihr. Denn im Gegensatz zu seinen Teamkollegen gibt Jong Tae-Se Interviews, in denen er erstaunlich offen über die Mannschaft spricht. So bekannte er beispielsweise, wie sehr er sich über die allzu laxe Einstellung seiner Teamkollegen geärgert habe, wenn es gegen schwächere Teams ging, dass die Trainingsbedingungen im Land lange nicht an die in Japan heranreichten und dass wohl so mancher in der Mannschaft der Meinung sei, er könne auch etwas leiser auftreten. Statements, die nicht ganz der üblichen Informationspolitik des nordkoreanischen Fußballverbandes entsprechen.

Doch die leisen Töne sind seine Sache nicht, und die Bandbreite seiner öffentlichen Äußerungen ist durchaus beachtlich. Pathostriefende Statements über sein diamantenes nordkoreanisches Herz, das niemand brechen könne, hat er ebenso in petto wie einen Werbevertrag mit Nike. Seine Vaterlandsliebe hält ihn auch nicht davon ab, weiterhin in Japan zu spielen und von einem Engagement in Europa, am liebsten England, zu träumen. Dennoch hat er auch ein Gespür für Klassenkampfparolen der alten Schule: Nach einer 0:1-Niederlage im Bruderduell in Seoul ließ er die Weltöffentlichkeit wissen, er sei von den Südkoreanern vor der Partie mit verdorbenem Essen vergiftet worden. Gespielt hatte der Didier Drogba des Volkes freilich trotzdem.