Essen. Franz Beckenbauer ist tot. Er gilt als Deutschlands bester Fußballer. Doch wer ist der größte der Geschichte? Unsere Kandidaten.
Viele große Fußballspieler haben im vergangenen Jahrhundert Millionen von Menschen bewegt. Pelé, Messi, Maradona, Beckenbauer - um nur einige zu nennen. Wer von ihnen ist der größte der Geschichte? Kann es einen Größten überhaupt geben? Über die Antwort auf diese Frage wird immer wieder verstärkt nachgedacht. Franz Beckenbauer ist am Sonntag gestorben. Für die meisten Experten gilt der Kaiser als bester deutscher Fußballer der Geschichte. Und wer war weltweit der Beste? Auch diese Redaktion hat diskutiert. Hier sind ihre Kandidaten.
Maradona, bis zum Tod vergöttert
Es gibt dieses eine Video, abzurufen zum Beispiel über YouTube. Es zeigt den französischen Sänger Manu Chao, der an einem Haus lehnt und sein wunderbares Lied „La vida tombola“ auf der Gitarre spielt. Das Leben ist eine Tombola. Sein wichtigster Zuhörer steht ihm gegenüber: Diego Maradona. Denn jede Strophe beginnt mit der Zeile: „Si yo fuera Maradona…“ Wenn ich Maradona wäre… Es gibt Millionen Fans, die sich diese Frage gestellt haben. Millionen, die sich von der Brillanz des Argentiniers begeistern ließen. Millionen, die ihn bei allen Schwächen bis zu seinem Tod vergötterten.
Denn: Bester Spieler der Geschichte – dazu gehören, wie ich finde, nicht nur sportliche Brillanz und Raffinesse. Es geht auch um Inspiration für Generationen, Titel und ruhig auch Scheitern. Niemand verkörpert das mehr als Maradona.
Diego Maradona bezwang Deutschland mit Argentinien 1986
Acht Jahre alt war ich, als Argentinien gegen Deutschland 1986 die WM gewann. Trotz Rudi Völler und Kalle Rummenigge: Ich wollte auf der Rumpelwiese eine Straße weiter Maradona sein, wenn wir mit ein paar Jungs pöhlten. Vor- und nachher war kein Spieler so sehr für den WM-Titel seines Teams wie Maradona, die „Hand Gottes“, in jenem Jahr für Argentinien. Allein das macht seine sportliche Karriere speziell. Seine Dribblings und Tore sind legendär, die Geschichten über Triumph und Tragik während seiner aktiven Karriere füllen Bücher: Da wäre die Rote Karte während der WM 1982, das Hand-Tor 1986 gegen England, Titel und Mafia-Gerüchte in Neapel in den 90ern, der positive Doping-Test während der WM 1994.
Auch nach seiner Karriere blieb Maradona eine so große Inspiration, dass mehrere herausragende Kinofilme entstanden. Das Manu-Chao-Lied ist Teil des Films „Maradona by Kusturica“ aus dem Jahr 2006. Es gab beachtenswerte Momente – zum Beispiel seine Auftritte als Nationaltrainer während der WM 2010. Aber auch eine Menge kriminelle Augenblicke; die Bilder des drogensüchtigen und stark übergewichtigen Maradona gingen ebenso um die Welt wie die mit seinen vielen Pokalen. (Andreas Ernst)
Lionel Messi, die Perfektion
Messi oder Ronaldo? Unter Fußballfans ist das längst eine Glaubensfrage, die religiöse Züge annimmt. Unbestritten haben La Pulga und CR7 den Weltfußball seit der Jahrtausendwende geprägt wie niemand sonst. Bei allem Respekt für den portugiesischen Ausnahmeathleten Ronaldo muss die Wahl aber auf den Zauberfloh des FC Barcelona fallen. Spätestens nach seinem ersten WM-Titel in Katar, als noch im Herbst seiner Karriere überragte.
Klar, Messi ist physisch unterlegen, hat nicht die Power eines Ronaldo und auch keinen großen Titel mit der Nationalmannschaft gewonnen. Das alles ist in der Bewertung aber zweitrangig. Ein Blick auf das einzigartige Spiel von Lionel Messi sollte genügen. Zuzusehen wie er den Ball streichelt, ist der pure Genuss. Fast jeder seiner Ballkontakte ist Perfektion. Er hat den Instinkt, immer die richtige Entscheidung zu treffen. Seine Körpertäuschungen lösen schon beim Hinsehen Schwindelgefühle aus. Der 36-jährige Argentinier verzichtet auf die große Show und übertriebene Selbstdarstellung. Stattdessen lässt er auf dem Rasen selbst die schwersten Dinge ganz einfach aussehen. Und das ist die wahre Kunst.
Eine Kunst, die niemand vor ihm in dieser Art und Weise gelang – und wohl auch in Zukunft niemandem gelingen wird. Natürlich hatte jede Fußballergeneration ihre Ikonen, aber an Messis Kombination aus Genialität und Torgefahr, die er nun seit über zehn Jahren wöchentlich unter Beweis stellt, kommen selbst die ganz Großen vergangener Tage nicht heran.
Egal, ob Tore, Vorlagen oder individuelle Auszeichnungen: Messi hat in den vergangenen Jahren etliche Rekorde pulverisiert. Viele von ihnen werden wohl ewig Bestand haben. Und damit sein Vermächtnis. (Robin Haack)
Pelé, magisch
Wer allein die Zahlen befragen würde, käme bei der Suche nach größten Fußballspieler aller Zeiten an dem Brasilianer Pelé wohl kaum vorbei. Drei Mal Weltmeister (1958, 1962, 1970). Schon das ist einmalig. Auch die anderen Werte sind in ihrer schieren Summe beinruckend. 638 Spiele für nur einen Klub, den FC Santos, für den er allein in diesen offiziellen Begegnungen 619 Tore schoss und mit dem er 26 Titel in 17 Jahren gewann.
Auch wenn heute wirklich jede Statistik erfasst und ausgewertet wird, geht es beim Fußball nie allein um Zahlen. Das Gedränge um denjenigen, der dem Zuschauer die meisten magischen Momente beschert, ist ebenfalls überschaubar. Für Pelé, bürgerlich eigentlich Edson Arantes do Nascimento, spricht in diesem elitären Kreis, dass sein Spiel unvergessen bleibt, obwohl der Spieler, der gerade seinen 80. Geburtstag feierte, seine Karriere startete, bevor Satellitenübertragung und Farbfernsehen Fußball zum Weltereignis für ein Massenpublikum werden ließen. Bildgewaltig war vor allem der Abschluss seiner internationalen Karriere, der Gewinn der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko, seinem dritten Titel, mit der wie es oft heißt „besten Nationalmannschaft Brasiliens aller Zeiten“.
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Die Erfolgsgeschichte aus dem Slum zum Weltstar verbindet den Stürmer mit Diego Maradona, seinem wichtigsten Konkurrenten um den Titel (eine entsprechende Ehrung der Fifa um Jahrhundertfußballer teilen sich die beiden sogar) des besten Fußballers aller Zeiten. Der Umgang mit dem Erfolg, das Leben nach der Karriere trennt die beiden indes deutlich. Pelés Leben verlief weitgehend skandalfrei. Natürlich machte er seinen Ruhm auch zu Geld, aber er setzte sich als UN-Sonderbotschafter für Entwicklungsprojekte ein, verlieh bis weit in dieses Jahrtausend denen eine Stimme, die keine Lobby haben. Vor einem Jahr ist Brasiliens Legende gestorben.
Den besten Fußballer aller Zeiten zu wählen, scheint schwierig, ist vermutlich in Teilen sowohl Generationen- wie Geschmacksfrage. Den größten Sportsmann unter den besten Fußballspielern zu benennen, fällt dagegen leicht. Dennoch lautet die Antwort in beiden Fällen: Pelé. (Jan Kanter)
Franz Beckenbauer, die Eleganz
Es gibt Kinder, die haben in der Bundesliga keinen anderen Deutschen Meister als den FC Bayern erlebt. Und es gibt studierte Berufseinsteiger, die auf dem Fußballplatz die Rolle des Liberos nur vom Hörensagen kennen. Mitte der 90er-Jahre ist diese Position ausgestorben - mittlerweile ist die nachfolgende Viererkette längst verschmälert worden zur Dreierkette -, und es gab keinen Spieler, der sie mit so viel Hingabe, mit so viel Kreativität ausgefüllt hat wie Franz Beckenbauer.
+++ Franz Beckenbauer ist tot: Libero, Lichtgestalt und Lebemann +++
Franz, der Libero, strahlte bei jeder Bewegung eine unglaubliche Eleganz aus aus dem Rasen aus. Er veränderte das Spiel für Jahrzehnte, indem er seinen Mannschaftsteil nicht mehr als reinen Abwehrdienst verstand. Dass unmittelbar vor dem Torwart Spielzüge eingeleitet, Angriffe mit klugen Pässen initiiert werden konnten, galt in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren als Revolution. Und Beckenbauer war ihr Anführer. Akzeptanz und Respekt für diese Interpretation erfuhr er dadurch, dass sie ihm den Beinamen Kaiser Franz gaben. Denn zu aller spielerischen Klasse kam ja auch dieser Schuss Arroganz, als er den Ball am Fuß führte: Alle hören auf mein Kommando.
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Deutsche Meisterschaften und drei aufeinanderfolgende Europapokale der Landesmeister 1972 bis 1974) mit dem FC Bayern gehen maßgeblich auf seine Anwesenheit auf dem Rasen zurück, ebenso der EM-Titel 1972 und der Sieg bei der Weltmeisterschaft zwei Jahre später im eigenen Land. Als Teamchef führte er Deutschland 1990 zum WM-Triumph und ist damit neben dem Brasilianer Mario Zagallo (1958/1962 und 1970) und dem Franzosen Didier Deschamps (1998 und 2018) der einzige Fußballer, der diesen Titel als Spieler wie auch als Trainer holen konnte.
Umso trauriger, dass sich Beckenbauer selbst viel seiner Reputation genommen hat: Er ist eine zentrale Figur im Vergabeskandal der WM 2006 nach Deutschland, zu dessen Aufklärung er keinerlei Beitrag leistet. So bringt er die Statue zu seinen Ehren gehörig ins Wanken, die sich der Spieler und Trainer Franz Beckenbauer zweifelsfrei verdient hat. (Andreas Berten)
Johan Cruyff, das Gehirn
Eigentlich wollte ich einen Spieler nehmen, dessen große Zeit ich als 1983er-Jahrgang selbst erlebt habe, diese Spieler kann man ja am besten bewerten. Andererseits führt einfach kein Weg vorbei an Johan Cruyff. Denn es gibt wohl keinen anderen Menschen, der den Fußball derart stark verändert, derart revolutioniert hat. Die erste radikale Revolution gab es schon in den 1970er-Jahren bei Ajax Amsterdam. Cruyff war die prägende Figur des „Voetball Totaal“ unter dem damaligen Trainer Rinus Michels. Die Spieler hielten nicht mehr starr ihre Positionen, sondern agierten als Gesamtgebilde. Statt der Gegner wurde der Raum kontrolliert. Die Grenzen zwischen Angriff und Abwehr verschwammen. Ging der Ball verloren, wurde er aggressiv zurückerobert, das Gegenpressing war geboren. Ajax spielte wie keine Mannschaft zuvor – und Cruyff war das Gehirn. Er konnte das Spiel mit einzelnen Aktionen in vollkommen andere Bahnen lenken, seine Rhythmuswechsel waren unglaublich. Und er streute dies nicht nur gelegentlich ein, sondern lieferte es konstant.
Als Trainer war Cruyff ebenso stilprägend, er legte beim FC Barcelona die Grundlagen für all das, was den Klub in den vergangenen 30 Jahren zu einem der größten der Welt machte. Er machte die legendäre Jugendakademie „La Masia“ erst zu dem, was sie bis heute ist. Er schuf den Barcelona-Spiel, den auf radikalem Ballbesitz und Offensivspiel basierenden Fußball, den man später Tiki-Taka nannte, und der die Grundlage war für die Erfolge des FC Barcelona und der spanischen Nationalmannschaft. Und hätte er nicht das Denken im Klub radikal verändert, hätte er nicht den Fokus weg von Ausdauer und Körperkraft zu Technik und Ballfertigkeiten gelenkt und damit die „Herrschaft der Kleinen“ eingeleitet – gut möglich, dass es dann keinen Xavi, keinen Iniesta, keinen Messi gegeben hätte. Keiner hat den Fußball derart überholt. Und deswegen ist Cruyff der größte. (Sebastian Weßling)
Zinédine Zidane, der Chef
Es war ein magischer Moment im Champions-League-Finale 2002. Kurz vor der Halbzeitpause brachte Roberto Carlos den Ball von der linken Seite hoch in den Strafraum, genau dorthin, wo Zinédine Zidane wartete. Der Franzose nahm die Kugel ins Visier, positionierte sich seitlich zum Tor und traf mit dem linken Fuß volley ins linke obere Eck. Ein Tor wie ein Gemälde. Zidane erzielte für Real Madrid den Siegtreffer zum 2:1 gegen Bayer Leverkusen. Die Königlichen triumphierten damit im Hampden Park in Glasgow in der Königsklasse. Dank Zidane, der im Jahr zuvor für die damalige Rekordsumme in Höhe von rund 77,5 Millionen Euro von Juventus Turin zu Real gewechselt war.
Für Zidane war es als Spieler der erste und einzige Champions-League-Titel. 1998 war er bereits mit der französischen Nationalmannschaft Weltmeister geworden, zwei Jahre später dann Europameister. Stürmer Zlatan Ibrahimovic sagte einst über den Spielmacher: „Wenn Zidane den Platz betrat, wurden zehn andere Fußballer auf einmal besser. So einfach ist das.“
Zidane, der zu Beginn seiner Profi-Karriere in Frankreich bei der AS Cannes und anschließend bei Girondins Bordeaux spielte, besaß wie kein anderer Mittelfeldstratege die Fähigkeit, eine Mannschaft als Führungsspieler zu leiten und nicht nur als Individualkünstler aufzutreten. Wer als bester Fußballer der Geschichte gelten soll, muss diese Eigenschaft, die vielleicht auch eine Gabe ist, auf dem Rasen zeigen. Bei Zidane war das der Fall.
Der dreimalige Weltfußballer vereinte eine unnachahmliche Technik mit einer einzigartigen Ausstrahlung. Er war ein brillanter Spielmacher, ein begnadeter Dribbler. Ein bescheidener Charakter, manchmal allerdings auch unbeherrscht.
In Erinnerung bleibt die Szene im Finale der Weltmeisterschaft 2006, als er Marco Materazzi in der 110. Minute mit einem Kopfstoß gegen die Brust niederstreckte. Der Italiener soll sich während der Partie beleidigend über Zidanes Schwester geäußert haben. Zidane sah die Rote Karte, die Franzosen verloren im Berliner Olympiastadion 3:5 nach Elfmeterschießen. Die Fifa sperrte Zidane für drei Spiele. Die Sperre war jedoch unbedeutend, weil er nach der WM ohnehin seine Karriere beendete. Stattdessen stellte er sich drei Tage lang für soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen zur Verfügung.
Seit 2016 arbeitet Zidane als Cheftrainer von Real Madrid. Mit dem Star-Ensemble gewann der 48-Jährige seitdem drei Champions-League-Titel. Ein ganz großer Spieler des Weltfußballs setzt damit seine Karriere auch erfolgreich als Trainer fort. Zidane gelingt das, weil er eine Führungspersönlichkeit ist − und für viele Profis ein Vorbild bleibt. (Nils Balke-Barton)
Ronaldinho, der Künstler
Wie gut muss ein Fußballer sein, wenn sich sogar die Fans des Erzrivalen voller Ehrfurcht erheben? Madrid, November 2005: Ronaldinho dribbelt mit einer Leichtigkeit über das Feld, erzielt für den FC Barcelona beim 3:0-Erfolg gegen Real Madrid zwei Tore, bereitet das dritte Tor im Clasico vor. Für viele Fans im Stadion ist das keine sportliche Leistung mehr, sondern Fußballkunst. Und um dem Brasilianer - damals auf dem Höhepunkt seiner Fußballkarriere - Respekt zu zollen, applaudieren sogar die Madrilenen dem Superstar des Rivalen. Eigentlich undenkbar.
Wie so vieles, was Ronaldinho auf dem Feld zelebrierte: Hackentricks, Dribblings, Freistöße, hier eine Drehung, da ein Übersteiger. Wer Barca damals schaute, tat dies, um Ronaldinho zu sehen. Alles sah so leicht aus. Aber: Im Vergleich zu anderen Fußballern hatten seine Einlagen immer einen Zweck, waren ein taktisches Mittel – und nicht bloß Zirkus.
Ronaldinho gewann so ziemlich alles: Weltmeister 2002, Champions-League-Sieger 2006, zweimal Weltfußballer, Meisterschaften in Spanien und Italien. In diesen Jahren schien ihm alles zu gelingen. Disziplinlosigkeiten, Fitnessprobleme und die Überzeugung, dass Ronaldinho keinen Platz im Tiki-Taka haben könne, führten aber 2008 dazu, dass Pep Guardiola ihn in Barcelona aussortierte.
Ronaldinho war ein einzigartiger Spaßfußballer
Ronaldinho war der letzte seiner Art: Ein Spaßfußballer, Künstler, der sich nicht einem Spielsystem des modernen Fußballs unterordnen wollte. So genial Ronaldinho als Spieler war, so mangelhaft war seine Einstellung. Der talentierteste Fußballer der Geschichte mag er gewesen sein – aber kein guter Profi. (Christian Woop)