Essen. Pelé wird heute 80 Jahre alt. Dreimal wurde er Weltmeister, erstmals schon mit 17. Der Brasilianer begeisterte mit der Perfektion seines Spiels.
Am Anfang war die Schande. Ein Ereignis, für das er nichts konnte, er war erst neun Jahre alt. Aber dieses Fußballspiel, das Brasiliens Seele beschädigte, sollte Einfluss nehmen auf seine Karriere, auf sein Leben. Der kleine Edson Arantes do Nascimento, den alle nur Dico riefen, hockte an jenem 16. Juli 1950 mit Freunden auf dem Wellblechdach eines Hauses in einem ärmlichen Viertel von Bauru im brasilianischen Bundesstaat Sao Paulo. Durch ein Loch blickten die Jungs nach unten in einen Raum, in dem sich viele Männer um ein Radio versammelt hatten. An diesem Tag sah der junge Dico seinen Vater weinen.
Der Vater hieß Dodinho, eine Knieverletzung hatte seine Pläne von einer Karriere als Fußballprofi gestoppt. Nun nahm er seinen Sohn in den Arm und sagte: „Wenn du schlau bist, hörst du auf deine Mutter. Konzentriere dich auf die Schule und meide Fußball wie die Pest.“
Vom Schuhputzer zum Top-Talent
Brasilien hatte an jenem Tag das Finale der Weltmeisterschaft verloren, 1:2 gegen Uruguay. Im eigenen Land, im legendären Maracana-Stadion in Rio de Janeiro. Die ganze Nation schämte sich für dieses unerwartete Ergebnis. Der Ginga, die künstlerische Form des Fußballs, der tänzerisch-akrobatische Ausdruck des Gefühls für Rhythmus und Bewegung, galt als gescheitert.
Der Junge verdiente ein paar Geldstücke als Schuhputzer, er half auch dem Vater bei dessen Arbeit, im Krankenhaus reinigten sie Böden und Toiletten. Aber Dodinho zeigte Dico nebenher auch, wie man mit einem Ball jongliert. Der Sohn lernte schnell.
Der Junge war nicht mehr zu stoppen
Als ein Talentspäher des FC Santos den Straßenfußballer entdeckte und zum Training einlud, durfte der 15-Jährige trotz Bedenken der Mutter das bescheidene Elternhaus verlassen, in dem er mit einem etwas jüngeren Bruder und einer kleinen Schwester lebte, und ein Camp des berühmten Klubs besuchen.
Dort versuchten die Trainer zunächst, ihm das auszutreiben, was sie seit 1950 für Flausen hielten – Ginga eben. Es gelang ihnen nur mäßig, der Junge war nicht mehr zu stoppen. Mit 15 durfte er zum ersten Mal für die erste Mannschaft spielen. Mit 16 wurde er in die Nationalmannschaft berufen und für die Weltmeisterschaft 1958 in Schweden nominiert. Er schwärmte für einen Torhüter namens Bilé, und weil große Fußballer in Brasilien mit Künstlernamen geadelt werden, wurde nach leichter lautmalerischer Veränderung aus Edson Arantes do Nascimento: Pelé.
Der große Pelé. Für Brasilianer bis heute „O Rei“, der König. An diesem Freitag wird er 80 Jahre alt.
Er betrat die Weltbühne des Fußballs - und nahm sie ein
Er hat mehrere Generationen ins Schwärmen gebracht, mit der Leichtigkeit des Beins. Als er mit 17 bei der WM 1958 erstmals die Weltbühne des Fußballs betrat, nahm er sie direkt für sich ein.
Pelé war mit einer Knieverletzung angereist, erst ab der dritten Partie wurde er eingesetzt. Er dribbelte, er lupfte, er trickste, er kombinierte. Die Krönung schien sein Hattrick beim 5:2 im Halbfinale gegen Frankreich gewesen zu sein, innerhalb von 22 Minuten versenkte der 17-Jährige den Mitfavoriten. Aber es kam noch besser. Beim 5:2 im Finale gegen Schweden spielten die Brasilianer Fußball aus einer anderen Galaxie. Und der Junge aus Bauru hatte mit zwei Toren entscheidenden Anteil daran, dass Brasilien erstmals Weltmeister wurde und sich das Land vom Fluch von Maracana befreien konnte. Pelés erster Treffer in diesem Spiel war eine Kreation: Er nahm eine Flanke mit der Brust an, hob den Ball in der Luft über den Gegner hinweg und schoss ihn volley ein.
WM 1970: die große Rückkehr
Vier Jahre später in Chile wurde Brasilien erneut Weltmeister, obwohl Pelé nur noch zuschauen konnte, nachdem er sich in der zweiten Partie verletzt hatte. 1966 in England traten ihn portugiesische Verteidiger aus dem Spiel, das Brasiliens Vorrunden-K.o. bedeutete – Pelé wollte danach nie wieder an einer WM teilnehmen.
1970 aber kehrte er zurück, wieder verneigte sich die Fußballwelt vor Brasilien – und vor ihm. Es war das erste Turnier, das vom Fernsehen in Farbe übertragen wurde, und die Faszination der Zuschauer dafür verstärkte den Eindruck, dass niemand dieses Spiel schöner und gleichzeitig effizienter interpretierte als die von ihrer Nummer 10 angeführte brasilianische Zauber-Elf. Ihre Brillanz trug sie in Vollendung im Finale vor: gegen überforderte Italiener, die noch die Verlängerung ihres 4:3-Halbfinalsiegs im Jahrhundertspiel gegen Deutschland in den Knochen hatten. Italiens Catenaccio-Verteidigung? Eine Mauer aus Pappe. Brasilien triumphierte mit 4:1, der Chef persönlich hatte das Spektakel mit einem sehenswerten Kopfball zum 1:0 eröffnet. Nach dem Abpfiff trugen die Menschen Pelé auf ihren Schultern. Wie schon 1958, als er dabei von Weinkrämpfen geschüttelt worden war.
Rückblick in Dankbarkeit
Pelé, auch das gehört zum Mythos, blieb seinem FC Santos immer treu, bis zum Rücktritt 1974. Weil unseriöse Geschäftspartner einen Großteil seines Vermögens veruntreut hatten, nahm er den Ball ein Jahr später wieder auf und spielte bis 1977 für Cosmos New York in der amerikanischen Operettenliga, gemeinsam mit Franz Beckenbauer.
Mit nunmehr 80 Jahren blickt Pelé dankbar zurück. Er hat sieben Kinder von vier Frauen, er ist zum dritten Mal verheiratet. Wegen der Corona-Pandemie sendet er derzeit nur Video-Botschaften aus seiner Strandvilla in Guaruja bei Santos. „Ich danke Gott für die Gesundheit, es bis hierhin geschafft zu haben“, sagt er vor seinem Ehrentag. Operationen an der Niere, an der Prostata, an der Wirbelsäule und an der Hüfte haben ihm in den vergangenen sechs Jahren schwer zu schaffen gemacht. Aber er klagt nicht: „Ich habe meine guten wie auch meine schlechten Tage. Das ist für Menschen in meinem Alter normal.“
Er hat in seiner Karriere 1281 Tore in 1363 Spielen erzielt. Wer heute den besten Fußballer der Geschichte ausmachen will, hat im Grunde nur diese Wahl: Pelé oder Diego Maradona. Ferenc Puskas, Ungarns Legende aus den Fünfzigern, sagte einmal: „Der beste Spieler der Geschichte war Alfredo Di Stefano. Ich weigere mich, Pelé als Spieler zu klassifizieren. Er war darüber.“