Essen. In Deutschland wird die Europa League zum Teil noch immer verschmäht. Der FC Sevilla beweist, dass der Wettbewerb eine große Chance sein kann.
Was der Kaiser sagt, hat in Deutschland Gewicht. Streng nach diesem Kredo hängt an der Europa League auch heute noch der unschöne Beiname „Cup der Verlierer“, den Franz Beckenbauer Mitte der Neunzuger Jahre verwendete, um dessen Vorgängerwettbewerb Uefa Cup zu verunglimpfen. Und es scheint, als würden die Bundesligisten bis heute etwas abfällig auf den zweitwichtigsten Klubwettbewerb Europas blicken. Das zumindest lässt das Abschneiden der deutschen Teams in den zuletzt 23 titellosen Jahren vermuten. Es ist eben nicht die schillernde Champions League.
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In Spanien wird man über die Worte Beckenbauers nur müde lächeln. Denn allen voran der FC Sevilla demonstriert seit einiger Zeit eindrucksvoll, dass die Europa League mehr sein kann als nur der „Cup der Verlierer“. Als Seriensieger haben es die Andalusier geschafft, sich durch den kleinen Europacup ins internationale Rampenlicht zu spielen. Und schon an diesem Freitag könnte diese Erfolgsgeschichte mit fünf Titel seit der Jahrtausendwende um ein Kapitel erweitert werden, denn in Köln trifft Sevilla im Finale auf Inter Mailand (20.45 Uhr DAZN/RTL).
Ex-Nationalspieler Andreas Hinkel über den FC Sevilla: "Spieler haben eine Gewinnermentalität"
„Sevilla und K.o.-Spiele – das passt einfach. Diese Partien sind inzwischen Teil der Vereins-DNA“, erklärt Ex-Nationalspieler Andreas Hinkel im Gespräch mit dieser Zeitung. Und der 38-Jährige ist jemand, der es wissen muss: 2007 gewann er mit Sevilla den Uefa Cup. „Sevilla ist in diesen Spielen ausgebuffter als andere“, sagt Hinkel.
Dass auch die aktuelle Mannschaft des FC Sevilla diese DNA noch in sich trägt, demonstrierte sie zuletzt beim 2:1-Sieg im Halbfinale gegen Manchester United. Als großer Außenseiter ins Spiel gegangen, düpierte die Elf von Trainer Jolen Lopetegui den englischen Rekordmeister – trotz namhafter Superstars wie Paul Pogba und Bruno Fernandes in Reihen der Red Devils. Spieler, die sich ein Klub wie der FC Sevilla nicht im Ansatz leisten könnte.
„ Die Spieler von Sevilla haben schon länger eine Art Gewinnermentalität“, sagt Hinkel zum jüngsten Erfolg. „Auch zu meiner Zeit hatten wir immer das Gefühl, jeden Gegner schlagen zu können – das scheint heute noch so zu sein“, erklärt der heutige Co-Trainer von Spartak Moskau ein Phänomen, zu dem sich auch die spanische AS auf Spurensuche begeben hat. Schließlich ist sie zu folgendem Schluss gekommen: „Wenn das Team erst einmal im Viertelfinale steht, treten die Spieler immer in eine mystische, himmlische Dimension, die sie unweigerlich und unabhängig von Umständen zum Titelgewinn führt.“
Inter-Trainer Antonio Conte: "Das Wort Angst gibt es weder bei meinen Spielern noch bei mir"
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Ob tatsächlich mystischen Ursprungs oder nicht: Die Titelgewinne haben Sevilla in Spanien zu einem unangefochtenen Spitzenklub werden lassen, der in diesen Monaten sogar zum Stolz einer ganzen Nation geworden ist, wie es die Marca zuletzt formuliert hat. Denn durch das frühe Scheitern von Real Madrid und dem FC Barcelona in der Champions League sind auf der iberischen Halbinsel alle Augen auf Sevilla gerichtet, wenn sie am Freitag auf Inter treffen.
Gegen den italienischen Vizemeister sind die Andalusier aber wieder leichter Außenseiter. Für Sevillas Präsidenten José Castro kein Problem. „Alle drei Gegner, die wir in diesem Turnier ausgeschaltet haben, hatten deutlich größere Budgets als wir“, sagte er zuletzt. „Inters Etat ist mehr als doppelt so hoch wie unser, sie spielen ein hervorragendes Turnier. Aber wir mögen schwierige Aufgaben.“
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Schwierig wird es vor allem für die Defensive der Lopetegui-Elf. Denn gerade Inters schier unaufhaltsames Sturmduo aus Romelu Lukaku und Lautaro Martinez traf beim Finalturnier in Nordrhein-Westfalen bislang aus allen Lagen. Mit jeweils zwei Toren schossen sie Schachtjor Donezk beim 5:0-Sieg im Halbfinale fast im Alleingang ab. Nach dieser Machtdemonstration mangelt es den Italienern dementsprechend nicht an Selbstvertrauen.
„Wir wollen den Pokal zurück nach Italien bringen“, sagt Trainer Conte und versichert: „Wir werden mit Mut und Enthusiasmus antreten. Das Wort Angst gibt es weder bei meinen Spielern noch bei mir.“ Pathetische Aussagen wie diese zeigen, welchen Stellenwert die Europa League auch bei den seit neun Jahren titellosen Mailandern hat. Und das, obwohl es nur um den vermeintlichen „Cup der Verlierer“ geht.