Essen. An diesem Samstag vor 20 Jahren blamierte sich die deutsche Nationalmannschaft mit dem EM-Vorrunden-Aus. Das war folgenschwer. Eine Kolumne.
Gerhard Mayer-Vorfelder hoffte an jenem Abend in Rotterdam, sich verdrücken zu können. Der spätere DFB-Präsident war im Jahr 2000 Delegationsleiter der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Belgien und den Niederlanden. Am 20. Juni, heute vor 20 Jahren, waren Deutschlands Auswahlfußballer gegen eine B-Mannschaft des sicheren Gruppenersten Portugal mit 0:3 untergegangen und damit nach drei Vorrundenspielen ausgeschieden. Eine XXL-Blamage.
Hinter der Tribüne trafen Gerhard Mayer-Vorfelder und seine Frau Margit auf eine kleine Gruppe von Journalisten. „Heute mal nicht“, sagte der als auskunftsfreudig bekannte „MV“. Augenzwinkernd fragten wir Reporter seine Frau, ob sie nicht ein wenig Einfluss auf ihren Mann nehmen könne. „Ach Schatzi“, sagte sie, „gib den Herren doch ein Interview. Sie haben so nett gefragt.“
Mayer-Vorfelder zog eine Bilanz des Schreckens
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Dann zog „MV“ eine Bilanz des Schreckens. „Einige Spieler haben sich über Taktik und System beschwert“, erzählte er. „Aber das hier war keine Frage des Systems, es war eine Frage des Charakters. Die Spieler haben ihren Offenbarungseid geleistet.“ Tatsächlich ließ sich die Mannschaft vorführen, es fehlte jegliches Aufbäumen – ein charakterloser Haufen.
Das EM-Aus war das logische Resultat einer Kette von Versäumnissen und Fehlern. Ein Tor und ein Punkt aus drei Spielen: Nie zuvor hatte Deutschland bei einem Turnier schlechter abgeschnitten. Noch in der Nacht kam Teamchef Erich Ribbeck seinem Rausschmiss zuvor und erklärte seinen Rücktritt. Die größte Fehlentscheidung hatte „Sir Erich“ schon vor dem Turnier getroffen: Er setzte auf den angeschlagenen 39-jährigen Lothar Matthäus, der seine Karriere in den USA ausklingen ließ, aber unbedingt noch auf 150 Länderspiele kommen wollte. Das Debakel von Rotterdam war sein letztes, und als er an allen wartenden Reportern vorbeilief, sagte einer: „Der bleibt nur auf dem Platz stehen.“
Franz Beckenbauer erfand das Synonym
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Nach dem K.o. zogen sich die Spieler nicht verschämt auf ihre Zimmer zurück, sondern gönnten sich auf der Terrasse des Teamhotels im niederländischen Vaals ein paar Promille. „Die Nacht der Schande“ titelte Bild, und der große Franz Beckenbauer verhöhnte die Nachfolger seiner Weltmeister von 1990 als „Rumpelfüßler“ – bis heute ein Synonym für die Nationalmannschaft des Jahres 2000.
Interessant, wer alles dazuzählte. Lauter spätere TV-Experten: Matthäus, Kahn, Scholl, Hamann, Bode. Ballack war mit 23 noch kein Führungsspieler, Deisler mit 20 viel zu jung. Rehmer, Linke, Jancker, Nowotny oder der eingebürgerte Brasilianer Rink: allesamt überfordert.
Nachwuchs-Akademien waren die Konsequenz
Aber: Wir müssen ihnen dankbar sein – und erst recht dem 2015 verstorbenen Gerhard Mayer-Vorfelder. Zukunftspläne des ehemaligen Bundestrainers Berti Vogts hatte er zuvor ignoriert, die Rumpelfüßler aber zwangen auch ihn zum Umdenken. 2001 wurde „MV“ DFB-Präsident, und auf seine Initiative hin wurden mit viel Geld die Nachwuchs-Leistungszentren entwickelt. Talentquellen, die erst Jahre später sprudelten, dann aber kräftig. Ohne Rumpelfüßler 2000 keine Weltmeister 2014.