Essen. Weltmeister Rudi Völler wird am Ostermontag 60 Jahre alt. Beliebt ist er vor allem wegen seines Charakters - obwohl er auch schroff sein kann.

Ein paar Monate vor der Weltmeisterschaft 2002 in Japan und Südkorea lud der Deutsche Fußball-Bund die für die WM akkreditierten Reporter in ein Hotel in der Nähe des Frankfurter Flughafens zu einem eintägigen Workshop ein. Es wurden erschwerte logistische Abläufe bei einem Turnier in zwei Ländern erklärt, am Abend gab es eine zwanglose Zusammenkunft von DFB-Offiziellen und Medienschaffenden.

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Da traf man dann Rudi Völler am Dessert-Büffet, und als er mit der Feststellung konfrontiert wurde, dass er angesichts des üppigen Angebotes doch eine sehr bescheidene Portion aufs Tellerchen gehievt hatte, musste er lachen. „Ich bin froh, dass der Calli heute nicht hier ist“, sagte er. Warum? „Der zwingt mich sonst immer, ganz viel vom Nachtisch zu nehmen, damit er seine eigenen Mengen rechtfertigen kann.“ Jetzt lachten zwei Leute.

Als Teamchef der Nationalelf für Christoph Daum eingesprungen

Rudi Völler war damals Teamchef der Nationalmannschaft, kurzfristig eingesprungen als Ersatz für den wegen der Kokain-Affäre unmöglich gewordenen Christoph Daum, ausgeliehen von seinem Arbeitgeber Bayer Leverkusen, für den er als Sportdirektor Seite an Seite mit XXL-Manager Reiner Calmund gearbeitet hatte. Wie der Calli war und ist auch der Rudi ein Typ, mit dem man auch als Journalist auskommen kann. Interviews mit ihm sind oft angenehm unkompliziert. In der Regel gibt er sich offen, meinungsstark, amüsant, auch kumpelhaft.

Rudi Völler - nicht immer ein Medienfreund

Ein Medienfreund also? Nicht unbedingt. Er kann nämlich auch anders. Als die WM 2002 dann lief, zog er auch im Detail knallhart seine Pläne durch, und alles, was er als störend empfand, wischte er schroff aus dem Weg. Als nach dem Training der Mannschaftsbus zum Abfahren bereit stand und die Leute vom Fernsehen noch auf ein Kurzinterview mit dem Teamchef warteten, ging er murrend zu ihnen und beantworte ein paar Minuten lang professionell die Fragen. Doch nachdem Kameras und Mikros ausgeschaltet waren, verpasste er dem DFB-Medienchef, der doch nur seinen Job gemacht und das Interview vermittelt hatte, für alle hörbar einen heftigen Anpfiff.

Rudi Völler im Jahr 1983 mit seinem Bremer Trainer Otto Rehhagel (l.)
Rudi Völler im Jahr 1983 mit seinem Bremer Trainer Otto Rehhagel (l.) © Bongarts/Getty Images | Bongarts

Am Ostermontag wird Rudi Völler, heute Sport-Geschäftsführer bei Bayer Leverkusen, 60 Jahre alt. Immer noch trägt er welliges Haar, das ihm einst den Spitznamen Tante Käthe einbrachte, Schopf und Bart sind inzwischen weiß. Er lächelt auch noch gerne dieses Rudi-Völler-Lächeln, bei dem er manchmal für einen Moment die Augen schließt. Er wirkt dann schon sehr sympathisch und souverän. Aber Vorsicht: Seine Augen können auch blitzen, und wenn er richtig sauer ist, vergreift er sich schon mal im Ton.

Authentischer Kämpfer und Kultfigur

„Es gibt nur ein’ Rudi Völler“ – im WM-Jahr 2002 war das der Sommerhit der Fans. Warum blieb er bis heute Kult, eine der beliebtesten Figuren der deutschen Fußballgeschichte? Das liegt zum einen an seiner früheren Spielweise – Völler war nicht nur Torjäger, sondern auch Kämpfer. Seine enorme Popularität verdankt er aber vor allem seiner Authentizität. Den Menschen ist einer, der sich nicht zurückhält, lieber als die vielen durchgestylten Phrasendrescher. Dass er manchmal zum Jähzorn neigt – geschenkt. Es gibt eben nicht nur ein’ Rudi Völler, nicht nur den netten. Na und?

An wie vielen Schiedsrichtern hat er sich im Laufe der Jahre als Leverkusener Sportchef schon abgearbeitet? Sieht Rudi Völler sein Team ungerecht behandelt, dann kracht’s. Das weiß man, das war immer so.

Teammanager Rudi Völler tröstet bei der WM 2002 in Japan den niedergeschlagenen Oliver Kahn.
Teammanager Rudi Völler tröstet bei der WM 2002 in Japan den niedergeschlagenen Oliver Kahn. © Getty Images | Gary M. Prior

Legendärer Zwist mit TV-Moderator Waldemar Hartmann

Berühmt wurde 2003 sein Ausbruch auf Island. Die Nationalelf, mit der er 2002 überraschend Vize-Weltmeister geworden war, hatte ein 0:0 in der EM-Qualifikation erstottert, in einem ARD-Studio sezierten Kommentator Gerhard Delling und Experte Günter Netzer die Nichtleistung messerscharf, bevor Rudi Völler in einem anderen Studio von Waldemar Hartmann interviewt wurde. Aus dem Teamchef brach die Wut heraus wie das heiße Wasser aus einem isländischen Geysir. „Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören“, schimpfte er. Dann warf er der Ikone Netzer vor, früher Standfußball gespielt zu haben, und giftete auch noch den ruhig gebliebenen Hartmann an: „Du sitzt hier bequem auf deinem Stuhl, hast drei Weizenbier getrunken und bist schön locker.“

Die Nationalelf aber wurde nicht besser, 2004 bei der EM in Portugal trat Völler nach dem peinlichen 1:2-K.o. gegen eine tschechische B-Elf zurück. Konsequent und aufrichtig.

Gefeiert wird im Kreis der großen Familie

So hatte er ja auch immer Fußball gespielt. Bei Kickers Offenbach, wo der Junge aus Hanau mit 17 zu den Profis stieß. Bei 1860 München, wo er als Top-Talent mit 37 Treffern Torschützenkönig der Zweiten Liga wurde. Bei Werder Bremen, wo er unter Otto Rehhagel zum Nationalspieler aufstieg. Bei AS Rom, wo er längst ein Weltklassestürmer war. Bei Olympique Marseille, wo er Champions-League-Sieger wurde. Bei Bayer Leverkusen, wo er ein neues Zuhause fand. Und natürlich in 90 Länderspielen, die er 1990 mit dem Weltmeistertitel krönte.

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„Ruuuudi“ war ein Leidenschaftsspieler, ein Mann fürs Volk, vergleichbar mit Uwe Seeler in den Sechzigern. So einem wünschen zu einem runden Geburtstag viele Menschen alles erdenklich Gute. Besonders, da der Geburtstag in diese sorgenbeladene Zeit fällt. Rudi Völler wird am Montag seine große Familie um sich haben. Er ist in zweiter Ehe mit der Italienerin Sabrina verheiratet, fünf erwachsene Kinder feiern mit. „Ich hatte sowieso nichts Großes geplant“, sagt er. Auf den Besuch von Freunden wird er jedoch verzichten müssen.

WM-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft 1990 in Italien.
WM-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft 1990 in Italien. © imago images/Sportfoto Rudel | imago sport

Auch Rudi Völlers Arbeit für Bayer Leverkusen hat sich verändert, er telefoniert viel, nimmt an Videokonferenzen teil, das alles kommt ihm schon komisch vor. „Ich bin jemand, der persönliche Treffen schätzt, in der Beziehung bin ich recht konservativ“, sagt er. „Mit einer Tasse Kaffee in der Hand lässt es sich für mich viel besser diskutieren. An die jetzige Arbeitsweise möchte ich mich deshalb nicht gewöhnen müssen.“ Aber er meint auch: „Wir alle müssen gemeinsam nach vorne schauen. Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen.“ Ein Rudi Völler steckt eben nicht auf.