Essen. Das Fitnessstudio hat in der Corona-Krise geschlossen. Das Training wird digital. Und bietet besondere Einblicke. Eine Kolumne.
Die 80er-Jahre sind einfach nicht totzukriegen. Der kleine, drahtige Mann im hautengen Captain-America-Shirt zeigt jedenfalls seine zackig durchgeführten Sit-ups vor einer Schrankwand, die offenbar schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Hinter der Yogalehrerin mit der kastenförmigen Brille verbreitet ebenfalls betagt eine Stehlampe eher zurückhaltend Licht. Vielleicht ist es in beiden Fällen, die Trainer sind erkennbar jung, aber auch Retro-Schick. So ganz genau ist das auf meinem Handy-Display nicht zu erkennen.
Jedenfalls bin ich – seit die Bundeskanzlerin Distanz zum Gebot der Stunde erklärt hat – bei so vielen Menschen zu Besuch wie schon lange nicht mehr. Mein Fitnessstudio macht es mit Cyber-Training möglich. Die Trainer halten es dabei offenbar wie ich. Sie haben den Esstisch zur Seite geschoben und einmal fix durchgesaugt. Fertig ist das heimische Sportstudio. Not macht erfinderisch, Not verbindet.
Wenn das Private plötzlich öffentlich wird
Selbstverständlich schreibe ich mir eigene Trainingspläne, und ich war – wer mich gut kennt, weiß wie unwahrscheinlich das klingt – sogar schon laufen, aber ich bin ein Sportler, der die Gemeinschaft und – bitte nicht weitersagen – beim Training gelegentlich einen Tritt in den Hintern braucht. Und so schaue ich oft den Trainern meines Fitnessstudios in deren Wohnzimmern bei der Arbeit zu, damit ich nicht einfach aufhöre, wenn es mal wieder anstrengend wird.
Nicht nur bei den Fitnesstrainern wird das Private plötzlich sehr öffentlich. Allenthalben bieten Klubs virtuelle Trainingseinheiten für Kinder und Jugendliche an. Neulich habe ich sogar einer Volleyballspielerin dabei zugesehen, wie sie mit einem wuchtigen Meisterschaftspokal in den Händen in einer sehr eng möblierten Maisonette-Wohnung beeindruckend dynamische Kniebeugen vorführte.
Zu Besuch bei den Profis des FC Schalke 04
Bei meiner Suche nach virtuellen Trainingsgelegenheiten war ich neulich sogar bei Schalke im Wohnzimmer. Naja, nicht wirklich. Die lassen einen natürlich nicht in ihr Wohnzimmer, geschweige denn in ihr Trainingszentrum. Immerhin hat der Klub auf seiner Webseite Fotos vom ersten Cybertraining der Profis online gestellt. Der erste Gedanke: „Das sieht ja aus wie bei mir.“ Das stimmt natürlich nicht so ganz, die Fußballer arbeiten mit den modernsten Sportgeräten. Die Übungen, die Ahmed Kutucu auf den Fotos für den Rest der Mannschaft unter Anleitung von Athletik-Trainer Klaus Luisser vormachte, kamen mir aber sehr bekannt vor, die Haltungen nicht übermenschlich anstrengend. Auch der Cyber-Trainingsplan mit den Elementen „Laufen“, „Mobilisierung & Stabilisierung“ und „Radfahren“ las sich nicht besonders herausfordernd. Die Fußballprofis haben von Trainer David Wagner und seinem Team allerdings zusätzlich individuelle Trainingspläne bekommen, die sie alleine abarbeiten müssen. Das könnte dann doch noch anstrengend werden.
Es ist auf den kleinen Fotos nicht genau zu erkennen, aber es sieht so aus, als ob auch Guido Burgstaller und Suat Serdar für das Heimtraining ihre Wohnzimmertische zur Seite schieben mussten. So wie ich. Die Krise macht erfinderisch. Die Krise verbindet.