Oliver Bierhoff: „Bis 17 habe ich nur auf Asche gespielt“
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Bottrop. Heimspiel für den DFB-Direktor: Oliver Bierhoff stellte sich den Fragen unserer Leser auf der Ranch von Willi Lippens „Mitten im Pott“.
Für dieses Wiedersehen hat Hans Willemsen extra ein braunes Fotoalbum mitgebracht, das er nun in seiner Hand wiegt, das er sogar streichelt, bis er die vielen Fotos und Zeitungsartikel daraus hervorkramt. „Das ist der Olli“, sagt der 79-Jährige und zeigt auf einen strahlenden Jungen mit einem Pokal in der Hand.
Der „Olli“ wagte damals im Alter von sieben Jahren in der F-Jugend der ESG 99/06 in Essen seine ersten Sturmversuche. „Das sind schöne Erinnerungen“, erzählt Hans Willemsen, als Oliver Bierhoff plötzlich vor ihm steht und seinen ersten Trainer herzlich umarmt.
Herzlich willkommen zu Hause, Herr Bierhoff.
Es ist der Startschuss für diesen Abend, der ein besonderer werden soll. Für 80 Leserinnen und Leser der in Nordrhein-Westfalen erscheinenden Zeitungen der Funke-Mediengruppe, zu denen auch diese Zeitung gehört, weil sie einen der mächtigsten und wichtigsten Männer im deutschen Fußball vor dem Länderspiel am Mittwoch (20.45 Uhr/RTL) der Nationalmannschaft in Dortmund gegen Argentinien befragen dürfen. Aber auch für Oliver Bierhoff selbst, weil dieser Abend für den 51-Jährigen eine Rückkehr ist, ins Ruhrgebiet. In Essen ist er aufgewachsen, hier hat er die Grundlage für seine Weltkarriere gelegt.
Das besondere Kaugummi
Jetzt steht er „Mitten im Pott“, wie die Ranch eines weiteren berühmten Essener Fußballers heißt. Willi „Ente“ Lippens serviert an der Bundesstraße 224 im Dreieck zwischen Essen, Gelsenkirchen und Bottrop Frikadellen und Currywurst. Das Licht ist gedimmt, die Einrichtung rustikal, die anwesenden Gäste warten an Stehtischen darauf, dass Oliver Bierhoff vors Mikrofon tritt.
Moment. Erst entdeckt der 51-Jährige noch einen alten Bekannten. Hans Lehmann, 89 Jahre alt, früherer Betreuer bei Bierhoffs erstem Fußballverein. „Ich habe dem Olli immer Kaugummis zugesteckt“, haucht der ältere Herr jedem ins Ohr, „mit Torgeschmack“.
Jetzt aber. Los geht’s.
Oliver Bierhoff erzählt von seinen ersten Fußball-Jahren im Revier. „Bis 17 habe ich nur auf Asche gespielt. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen“, berichtet er. „Mein Traum war früher, bei Schwarz-Weiß Essen Amateur-Oberliga zu spielen.“ Er hat dann noch ein bisschen mehr erreicht.
Das Projekt Zukunft: Zurück in die Weltspitze
1996 entschied er mit dem Golden Goal das EM-Finale. Den AC Mailand hat er zur italienischen Meisterschaft geschossen. Seit 2004 lenkt er die Geschehnisse rund um die deutsche Nationalmannschaft. Er triumphierte mit der Elf bei der WM 2014, blamierte sich mit ihr vier Jahre später beim Vorrunden-Aus. Nun will Oliver Bierhoff den DFB mit dem „Projekt Zukunft“ wieder in die Weltspitze zurückführen.
Oliver Bierhoff diskutiert mit Lesern
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„Wir haben einen weiten Weg vor uns“, sagt er. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir als Mitfavorit zur EM fahren.“
So viel zur aktuellen Lage. Den Leserinnen und Lesern aber geht es auch um Grundsätzliches. Ein Gast beklagt, dass er kaum noch ins Stadion gehe, weil er die von Taktik geprägten Spiele nicht mehr aushalte. „Man hat schon mitunter den Eindruck, dass der Fußball überdachter und konformer geworden ist“, gibt Oliver Bierhoff zu. „Die Angst vor Fehlern hat teilweise zugenommen.“
Gibt es im Fußball überhaupt noch so etwas wie Ehre, möchte eine Leserin wissen. Bierhoff überlegt. „Der Stolz und die Ehre spielen immer noch eine große Rolle“, stellt er dann klar. Er habe nicht das Gefühl, dass die Jungs heute nur an Geld denken. „Letztlich ist das Geschäft drumherum immer größer geworden. Die Gemütlichkeit ist dadurch ein bisschen verloren gegangen.“
„Im Jugendbereich brauchen wir mehr Durchsetzungskraft“
Bierhoff aber legt den Finger auch in die Wunde. „Im Jugendbereich brauchen wir wieder mehr Durchsetzungskraft, Lust auf Zweikämpfe“, meint er. „Wir haben mitunter zu stromlinienförmig ausgebildet. Wir wollen Bolzplatzmentalität.“ Ein Leser grätscht rein, fragt: Wer kann heute noch richtig fummeln?
„Wir freuen uns zum Beispiel über Leroy Sané und über Serge Gnabry, die das noch können. In der Ausbildung haben wir allerdings mannschaftstaktische Inhalte mitunter zu sehr über individuelle Fähigkeiten gestellt. Das passen wir derzeit an“, sagt Bierhoff, während unser Sportchef Peter Müller, der gemeinsam mit Reporter Sebastian Weßling durch den Abend führt, Willi Lippens auf die Bühne bittet. Der 73-Jährige hat seine Gegenspieler früher reihenweise verladen. „Der Fußball zu deiner Zeit war wesentlich härter. Da waren die Schienbeine schon bisschen anders zertreten“, sagt Bierhoff zu Lippens. Der stellt klar: „Das Tempo ist heute höher, aber uns haben sie auch nicht über den Platz getragen.“
Gelächter. Applaus.
Autogramme und Selfies zum Abschluss
Bierhoff hält anschließend noch BVB-Verteidiger Mats Hummels die Tür für eine Rückkehr in die Nationalmannschaft einen Spalt offen. „Wir haben die Spieler noch nicht mit Blumen verabschiedet“, sagt er – und spricht sich zudem für Manuel Neuer als Nummer eins im Tor aus.
Dann endet der Abend mit Autogrammen und Selfies. Hans Willemsen packt sein Album wieder ein. Auch die anderen Gäste verabschieden sich mit zufriedenem Lächeln.
„Er war sehr nett und kommunikativ“
Ihr Fazit? „Wann kommt man schon mal mit so einer Persönlichkeit zusammen?“, sagt Peter Mertens. Udo Szukat lobt: „Es war ein sehr guter Abend.“ Arnold Venhuizen findet: „Bierhoff ist ein Ruhrpott-Junge, das hat man gemerkt. Er ist lustig und normal.“ Uwe Berchem gibt zu bedenken, dass Bierhoff hier natürlich seine Interessen vertreten habe. Aber: „Er war sehr nett und kommunikativ.“ Auch Oliver Bierhoff selbst nimmt etwas mit. „Man merkt, dass es den Menschen wichtig ist, dass Herz und Leidenschaft dabei sind. Das müssen wir in unserer Spielweise immer an den Tag legen.“
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