Barcelona. Spanien geht mit dem neuen Trainer Roberto Moreno in das EM-Qualifikationsspiel in Rumänien. Voraus ging ein Drama um Luis Enrique.
Die Qualen der Umstände sind noch mal ganz nah; jetzt, da es so richtig losgeht für Roberto Moreno als spanischer Nationaltrainer. Am vergangenen Donnerstag musste Vorgänger Luis Enrique den Tod seiner neunjährigen Tochter Xana bekanntgeben. Ihre Krebserkrankung hatte dazu geführt, dass er sich seit März sukzessive vom Amt zurückgezogen und es schließlich im Sommer ganz aufgegeben hatte. Moreno war über fast zehn Jahre sein Assistent, Freund und Weggefährte. Jetzt ist er sein Nachfolger. Wie soll er da die richtigen Worte finden?
Moreno ist es gelungen vor dem EM-Qualifikationsspiel der Spanier am Donnerstag (20.45 Uhr/DAZN) in Rumänien, und das liegt daran, dass diese Worte von Herzen kamen. „Am liebsten wäre mir, alles wäre geblieben, wie es war“, sagte er. „Wenn Luis Enrique sich zu einer Rückkehr in den Beruf entscheidet, werde ich der erste sein, der beiseite tritt, und ich werde das sehr gern tun“. Jeder im spanischen Fußball weiß, dass diese Rückkehr auf absehbare Zeit kein Thema sein wird. Doch was zählte, war die Geste. „Er ist mein Freund, und die Freundschaft steht über jedem persönlichen Ziel im Leben“, erklärte Moreno.
Moreno hat Ambitionen
Die Resonanz in den sonst immer streitbaren Medien des Königreichs war überwältigend positiv. Zumal man über den bis vor kurzem noch gänzlich unbekannten Moreno inzwischen auch weiß: an Ambitionen mangelt es ihm nicht. „Jeder Schritt in meinem Leben war darauf ausgerichtet, meinen Traum zu verwirklichen und Trainer zu werden“, sagt der 41-Jährige aus L’Hospitalet bei Barcelona, der sich sein Entrée in den Fußball hart erarbeiten musste. Als Spieler war er bescheiden talentiert, begann aber früh, Nachwuchsteams zu unterrichten.
Dazu tingelte er über die Plätze der Stadt, zeichnete so viele Partien wie möglich mit einer Videokamera auf und gründete mit seiner Freundin (und heutigen Frau) einen Verlag für Fußballbücher, in dem er auch selbst publizierte („Mein Rezept des 4-4-2“). Moreno studierte Management, jobbte an der Tankstelle, im Kaufhaus oder der Bank und schaffte schließlich 2008 als Analyst der zweiten Mannschaft den Einstieg bei seinem Herzensklub FC Barcelona. Sein Chef dort hieß Luis Enrique, dem er danach an alle weiteren Stationen folgte, unter anderem zur ersten Barça-Mannschaft und schließlich zur Nationalelf. Der Posten als Auswahltrainer ist seine erste hauptverantwortliche Anstellung überhaupt.
EM-Teilnahme scheint nur noch Formsache
In der wird die Trauer im zweiten Qualifikationsspiel der Woche am Sonntag gegen die Färöer in Luis Enriques Geburtsstadt Gijón besonders gegenwärtig sein. Gleichzeitig steht Moreno natürlich trotzdem unter verschärfter Beobachtung. Ist er dem immensen Karrieresprung wirklich gewachsen? Wo die Qualifikation für die EM 2020 nach vier Siegen in vier Spielen nur noch Formsache scheint, wird Gradmesser die Endrunde, bei der Bilbao zu den Spielorten zählen und Spanien gegen einen Trend des Unglücks antreten wird. Seit dem Ende des goldenen Zeitalters mit drei Turniertiteln zwischen 2008 und 2012 gab es bittere Niederlagen, einsame Abschiede von Ikonen wie Xavi, Iniesta oder Casillas, das Desaster um den einen Tag vor WM-Beginn geschassten Julen Lopetegui, und nun eine private Tragödie. Man kennt die „selección“ fast nur noch in emotionalen Grenzsituationen.
Aus einer solchen muss sie Moreno nun also herausarbeiten. Er präsentiert sich als Anhänger von dominantem und dynamischem Fußball, in dem Tiki-Taka-Passstafetten nur eines von vielen Registern sein soll. Personell sind Veteranen wie Sergio Ramos oder Sergio Busquets gesetzt, während Spieler wie Bayerns Thiago oder Dortmunds Paco Alcácer in ständigem Konkurrenzkampf um die Plätze kämpfen sollen und sukzessive die nächste Generation eingebaut wird. Spaniens U21 und U19 haben diesen Sommer – mal wieder – die EM-Titel abgeräumt. Zu diesem Ziel bekennt sich für 2020 auch Moreno, trotz aller Hindernisse: „Sonst wäre ich fehl am Platz.“