Köln. Jochen Drees leitet das Projekt “Videobeweis“. Im Interview wünscht er sich vor der dritten Saison mit der technischen Hilfe mehr Verständnis.

Jochen Drees (49) spricht beim Interviewtermin nicht weit entfernt vom Video-Assist-Center, besser bekannt als Kölner Keller, der immer wieder für erhitzte Debatten in der Fußball-Bundesliga sorgt. Hier sitzt der Videoschiedsrichter, der die Schiedsrichter offiziell seit zwei Spielzeiten auf dem Platz unterstützt. Drees leitet das Projekt seit einem Jahr, hat dafür seine Allgemeinarztpraxis aufgegeben. Dabei würden Kritiker die technische Hilfe am liebsten sofort abschaffen.

Herr Drees, macht der Videobeweis den Fußball gerechter?

Jochen Drees: Ja, der Video-Assistent macht den Fußball gerechter! In der vergangenen Spielzeit wurden durch die Video-Assistenten 82 Fehlentscheidungen korrigiert. Diese positiven Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache.

Warum ist das Instrument dann trotzdem so umstritten?

Joshua Kimmich (r.) vom FC Bayern hätte im Supercup-Spiel beim BVB die Rote Karte sehen müssen.
Joshua Kimmich (r.) vom FC Bayern hätte im Supercup-Spiel beim BVB die Rote Karte sehen müssen. © dpa

Jochen Drees: Na ja, die Öffentlichkeit diskutiert nicht über die Vielzahl der guten und richtigen Entscheidungen, sondern vielmehr darüber, was in wenigen Einzelsituationen nicht optimal gelaufen ist. Außerdem existiert in der Öffentlichkeit auch die falsche Annahme, dass es durch den Video-Assistenten keine Szenen mit Ermessensspielraum für den Schiedsrichter mehr gibt. Aber diese Annahme trifft nicht zu.

Wie meinen Sie das?

Jochen Drees: Wir müssen akzeptieren, dass wir den 60/40-Strafstoß nicht durch den Video-Assistenten bewerten lassen können. Außerdem: Wenn die Öffentlichkeit eine Szene als falsch wahrnimmt, heißt das noch lange nicht, dass die Szene auch regeltechnisch falsch ist.

Vielen fehlen die Fortschritte.

Jochen Drees: Das stimmt aber nicht. Unsere Video-Assistenten werden immer besser, sie lernen dazu. Wir versuchen auch, die besten im Rahmen unseres Ausbildungskonzeptes herauszufiltern und sie verstärkt einzusetzen. Vor allem aber bleiben die Video-Assistenten Menschen, ihnen können also auch Fehler passieren. Wenn Fehler passieren, arbeiten wir sie auf und versuchen, unsere Lehren daraus zu ziehen.

Trotzdem gab es im Supercup wieder große Aufregung. Bayerns Jo­shua Kimmich hatte Jadon Sancho auf den Fuß getreten, sah aber nur Gelb. Warum?

Jochen Drees: Das kam durch einen Fehler im Ablauf zustande. Video-Assistent Robert Schröder hätte Schiedsrichter Daniel Siebert sagen müssen, dass dieser die Szene noch einmal auf dem Bildschirm überprüfen solle. Stattdessen hat er ihm die Szene nur mündlich beschrieben. Das war falsch. Aber Menschen machen Fehler. Wir werden daraus lernen.

Siebert hätte alleine entscheiden müssen. Wieso soll der Schiedsrichter das letzte Wort haben?

Neuerungen beim Videobeweis in der Bundesliga

Mit dem Start der Bundesliga-Saison soll der Videobeweis transparenter werden. „Zum Beispiel rückt bei der Übertragung im Fernsehen die Kamera, die den Video-Assistenten zeigt, deutlich näher an ihn heran, so soll seine Tätigkeit nachvollziehbarer werden“, erklärt Jochen Drees.

Außerdem sagt der Videobeweis-Leiter: „Es werden in einen sogenannten „3er-Split“ auch die Bilder übertragen, die der Schiedsrichter bei der Überprüfung auf seinem Bildschirm in der Review-Area sieht.“ Damit die TV-Zuschauer Entscheidungen besser nachvollziehen können.

Auch im Stadion gibt es Anpassungen. Jochen Drees: „Dort wird nun schon vor der finalen Entscheidung der Grund für die Überprüfung auf den Stadionleinwänden gezeigt.“

Jochen Drees: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dies zu mehr Akzeptanz einer Entscheidung führt. Alles andere hätte ein „Hexenküchen-Image“. Wir wollen, dass nur der Schiedsrichter auf dem Platz eine Entscheidung trifft, und deswegen muss der Schiedsrichter auch nicht zwangsläufig der Empfehlung des Video-Assistenten folgen.

Der Aufschrei nach dem Supercup war groß. Wie erleben Sie die teilweise heftigen Reaktionen?

Jochen Drees: In der Emotionalität rutschen schon mal Worte heraus, die zwei, drei Tage später von den Beteiligten sicher ganz anders gewählt worden wären. Wir tauschen uns regelmäßig aus und werden auch weiterhin auf Kommunikation und Dialog setzen. Die Emotion darf aber keine Begründung oder Entschuldigung für eine respektlose oder unfaire Wortwahl im ersten Moment sein.

Wird der Videobeweis in Zukunft als Erfolgsmodell gelten?

Jochen Drees: Wir beide sind ja noch jung. Wenn wir uns in zehn Jahren wiedertreffen, dann bin ich mir sicher, dass wir deutlich weiter sind. Wir müssen lernen, das Thema Video-Assistent als Projekt zu sehen. Es wird immer ein laufender Prozess bleiben. Wie in der Medizin, aus der ich komme, da kann sich ein Arzt auch nicht Innovationen entziehen. Schon in der kommenden Spielzeit setzen wir einige Dinge verbessert um.

Macht Ihnen die Arbeit bei all der Aufregung und den Debatten überhaupt noch Spaß?

Jochen Drees: Ja! Die Arbeit ist total interessant, sie ist eine große Herausforderung. Und ich sehe die Weiterentwicklung. Auch wenn ich meinen Arztberuf dafür an den Nagel hängen musste, bin ich froh, Teil dieses Projektes sein zu dürfen und dazu beizutragen, dass der Fußball in den beiden höchsten deutschen Spielkassen kontinuierlich gerechter wird.