Rheda-Wiedenbrück. Josef Schnusenberg war Präsident auf Schalke und ist heute Aufsichtsrat in Wattenscheid. Doch den Job hat er unterschätzt: Beim früheren Bundesligisten liegt vieles im Argen.
Josef Schnusenberg war Schalkes Boss, jetzt ist er Aufsichtsratsmitglied bei der SG Wattenscheid 09. Vor dem Retter-Spiel der SG 09 gegen Schalke am Sonntag (17 Uhr, Lohrheidestadion), spricht der Funktionär exklusiv über die Lage bei der SG 09 und bei Schalke 04.
Herr Schnusenberg, am Wochenende kommen die Schalker nach Wattenscheid. Fiebern Sie noch mit Schalke mit?
Josef Schnusenberg: Ja, aber nicht mehr so wie früher, obwohl man jetzt eigentlich mehr mitfiebern müsste. Ich gehöre zum Ehrenpräsidium und versuche, jedes Heimspiel zu besuchen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich eines Tages in der vergangenen Saison zu meinem Sitznachbarn Manni Kreutz gesagt habe: „Um mir das anzutun, fahre ich keine 200 Kilometer mehr.“ Ich weiß auch gar nicht, ob das irgendwann mal besser wird.
Aus Schalker Sicht war es gut, dass Hub Stevens dann noch eingesprungen ist und den Klassenerhalt mit der Mannschaft gesichert hat.
Schnusenberg: Ja, das stimmt. Huub habe ich neulich noch getroffen. Er sagte, dass ihn die vergangene Saison einige Jahre seines Lebens gekostet hat (lacht).
Wofür steht Schalke in Ihren Augen: Passt das Kumpel- und Malocher-Image noch zum Verein?
Schnusenberg: Nein, aber wo ist das noch so? Und war das überhaupt jemals so? Ich kann mich daran erinnern, dass wir mal mit der Mannschaft in ein Bergwerk gefahren sind und einer unserer härteren Spieler - Thomasz Hajto - zu mir kam. Dann hielt er meine Hand und sagte „Ich habe solche Angst hier unten.“ Dann habe ich ihn angeschaut, gelacht und scherzhaft gefragt, ob er bescheuert sei. Andersherum: Ich weiß gar nicht, wann der letzte Spieler unter Tage gearbeitet hat. Auch Szepan und Kuzorra haben es nicht getan, wenn ich richtig liege.
Muss das Image überdacht werden?
Schnusenberg: Das zu entscheiden, ist nicht meine Aufgabe. Aber bei den jungen Leuten scheint es anzukommen. Das sieht man allein daran, was es für einen Applaus gibt, wenn ein Spieler mal eine harte Grätsche auspackt. Das sehen die Zuschauer gern.
Schalke stellt sich in der Sportlichen Leitung komplett neu auf: Kaderplaner, Sportvorstand, Assistent vom Sportvorstand, Team-Koordinator, Sportpsychologe: Kann das funktionieren?
Schnusenberg: Scheint so zu sein. Als ich anfing auf Schalke, hatten wir nur einen Mannschaftsarzt, aber der kam nur dann, wenn er angerufen wurde. Und einen Masseur — das war’s dann. Ich glaube, um den Rest hat sich Charly Neumann gekümmert (lacht).
Gibt es einen Schalker Spieler, für den Sie extra ins Stadion gehen würden, um ihn zu sehen? Aus der jetzigen Mannschaft?
Schnusenberg: Ich kenn’ die alle gar nicht (lacht). Spaß beiseite: Der letzte Spieler, an dessen Verpflichtung ich noch beteiligt war, war Ralf Fährmann. Und Benedikt Höwedes habe ich mir auch immer gern angeschaut.
Tut es Ihnen persönlich weh, wenn solche Identifikationsfiguren verschwinden?
Schnusenberg: Natürlich. Das ist schon traurig. Aber das Leben ändert sich halt.
Können Sie die Entscheidung von Fährmann verstehen?
Schnusenberg: Ich kann den Verein nicht verstehen. Man lässt ihn nach England gehen (zu Norwich City, Anm.d.Red.) und holt einen aus Dresden. Der Neue mag zwar gut sein, aber bei Ralf weiß man doch, was man an ihm hat. Mir tut es auch für Breel Embolo leid. Er wird in Gladbach aber vermutlich besser werden. So ist das immer auf Schalke: Spieler, die weggehen, werden besser. Spieler, die kommen, werden schlechter. Vielleicht ändert sich alles unter dem neuen Trainer.
Welche Erinnerungen haben Sie an Eurofighter David Wagner?
Schnusenberg: Ein toller Junge. Ich habe leider noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen.
Braucht Schalke einen Trainer mit Stallgeruch?
Schnusenberg: Ja. Der einzige Nachteil, den er mitbringt, ist, dass er noch relativ wenig Erfahrung hat. Er war bei der U23 von Borussia Dortmund, dann bei Huddersfield Town. Aber ich traue ihm zu, dass er sich auf Schalke beweisen kann. Vor allem, wenn er eine Truppe kriegt, die er selbst zusammenstellen kann.
Braucht Schalke aus Ihrer Sicht noch neues Personal?
Schnusenberg: Sagen wir es so: Mir fehlt im ganzen Umfeld der Fußball-Verstand. Die Funktionäre, die da sind, hatten Gelegenheit, sich zu beweisen. Aber so dolle war das bisher nicht. Ich denke da an Michael Reschke beim VfB Stuttgart.
Was trauen Sie Schalke in der neuen Saison zu?
Schnusenberg: Sicher muss man jetzt Geduld haben. In der Saison, als Schalke Vizemeister geworden ist, war es ein Lotteriespiel. Den Platz hatten sie nicht dem Trainer zu verdanken, sondern Naldo. Und dem Umstand, dass die anderen Teams wie Leverkusen und Dortmund gepennt haben.
Zu RWO gegen Schalke kamen nur 6000 Zuschauer. Zieht Schalke nicht mehr so wie früher?
Schnusenberg: Es hängt natürlich davon ab, wann so ein Spiel stattfindet, und ob dann die endgültige Mannschaft schon zusammensteht. Und in Wattenscheid ist auch noch nicht klar, welches Team dann auf dem Rasen stehen wird.
Wattenscheid ist Ihr aktuelles Themenfeld. Wie glücklich sind Sie mit der Entscheidung für die SGW?
Schnusenberg: Das ist eine ekelhafte Frage (lacht). Ich habe es gemacht, weil ich einfach Spaß am Fußball habe. Ich bin seit 47 Jahren Funktionär, und diese Aufgabe reizte mich einfach. Aber ich habe beides nicht richtig eingeschätzt: Weder den Reiz, noch die Aufgabe. Ich hätte es eigentlich schnell merken sollen, was dort im Argen liegt. Und das, obwohl bei der SGW doch alles gegeben ist.
Was meinen Sie?
Schnusenberg: Es ist sensationell, wie die Fans zum Verein stehen. Das sieht man nicht nur anhand der erfolgreichen Crowdfunding-Aktion. Und die Mitarbeiter, die dort sind, sind unheimlich engagiert, obwohl sie eigentlich mitunter sehr verantwortungsvolle Jobs haben. Auf der anderen Seite gibt es in der Führungsriege sehr schwierig zu nehmende Personen. Und die Unterstützung aus dem Umfeld ist nicht so da, wie ich sie mir wünschen würde.
Trotz der Unterstützung durch die Fans ist der Zuschauerschnitt enttäuschend. Warum?
Schnusenberg: Die Psyche der Wattenscheider hat sich mir noch nicht erschlossen (lacht).
Am vergangenen Wochenende hieß es, die verspäteten Zahlungen stünden mit einem Wechsel des Steuerberaters im Zusammenhang. Sie haben diesen Beruf ebenfalls gelernt: Ist das gängige Praxis, bei einem Wechsel erst einmal alle Daueraufträge zu stoppen?
Schnusenberg: Nein, das war auch nicht die Ursache.
Wie zufrieden sind Sie mit der Konstellation in der Führungsebene des Vereins?
Schnusenberg: Ich will niemanden direkt kritisieren. Aber manche Personen sollten hinterfragen, ob sie zu einem Fußballverein passen oder nicht.
Wie ist derzeit die wirtschaftliche Situation?
Schnusenberg: In aller Deutlichkeit gesprochen: Eigentlich befindet sich der Verein seit Jahren in der Situation, Insolvenz anmelden zu müssen. Aber es gibt noch nicht einmal eine Bilanz, das ist verrückt. Und diesbezüglich verstehe ich auch die Verbände nicht. Selbst bei meinem Heimatverein FSC Rheda, der in der Bezirksliga spielt, verlangt der Verband, dass Liquidität nachgewiesen werden kann. Aber in der Regionalliga nicht? Das verstehe ich nicht.
Wie denken Sie über die Konstellation in der Vereinsspitze um den Aufsichtsrats-Vorsitzenden Oguzhan Can?
Schnusenberg: Man sieht anhand des Vereins, wie gefährlich es ist, sich von einer Einzelperson abhängig zu machen. Dafür gibt es in Deutschland aber zahlreiche Beispiele. Mir persönlich wäre das amerikanische Vorbild lieber. Alle Vereine sollten Kapitalgesellschaften werden. Das hat Schalkes Marketingvorstand Alexander Jobst gut erkannt.
Das würde den Schalke-Fans aber nicht gefallen. Sie wollen ein eingetragener Verein bleiben.
Schnusenberg: Ja, das wird auch weiterhin so sein. Aber dann geht Schalke einen ganz schwierigen Weg.
Noch einmal zurück zur SG Wattenscheid: Wie wirkt es auf Sie, wenn zunächst eine Finanzierung zugesagt und dann wieder infrage gestellt wird?
Schnusenberg: Wir hatten einvernehmlich die Problematik für die nächsten Jahre gelöst. So, wie wir es aufgestellt haben, war es wunderbar gelöst. Aber wenn einer der beiden Protagonisten, in diesem Fall Oguzhan Can, sich nicht mehr daran hält, dann verstehe ich Hans Mosbacher, dass er auch nicht mehr zahlen will. Eigentlich schade.
Sie haben ein großes Kontaktnetzwerk. Wenn Sie dort um Sponsoren werben - wie ist das Echo?
Schnusenberg: Das geht gar nicht. Das ist für die Außendarstellung des Vereins eine Katastrophe. Mit diesem Erscheinungsbild würde ich auch nicht auf die Suche nach Sponsoren gehen. Der Verein muss nach außen ein vernünftiges Bild abgeben.
Im vergangenen Jahr ist viel passiert. Und immer ging es um finanzielle Belange, unter denen letztlich die Spieler leiden mussten. Wie soll es weitergehen?
Schnusenberg: Um ehrlich zu sein: Ich bekomme täglich Anrufe mit Klagen darüber, dass noch kein Geld gezahlt wurde. Darauf habe ich keine Lust mehr, das ist anstrengend und sollte auch nicht die Aufgabe eines Aufsichtsrats-Mitgliedes sein. Und ich sage das in aller Deutlichkeit: Wenn die entsprechenden Personen nicht zur Vernunft kommen, dann mache ich das nicht mehr mit.
Angenommen, die Zahlungen kommen regelmäßig. Wie kann der Verein das beschädigte Image wieder reparieren?
Schnusenberg: Die finanzielle Seite ist das eine. Wie man das Image wieder so hinbekommt, kann ich nicht sagen. Aber es wäre ein langer Weg. Wir haben einige ehemalige Spieler und Funktionäre angesprochen und um Hilfe gebeten. Von denen haben wir nichts mehr gehört.
Ist der Umgang des ersten Mannes mit erfahrenen Funktionären wie Ihnen und Sportdirektor Peter Neururer im Verein nicht fahrlässig? Und warum ist das so?
Schnusenberg: Gute Frage. Wenn Leute wie Hans Mosbacher, Horst Poganaz, Peter Neururer und auch ich dabei sind, dann sollte sehr viel möglich sein.
Wenn Sie reden, schwingen Verzweiflung, Verbitterung und Belustigung mit.
Schnusenberg: Ganz genau so ist da, ja. Meine Frau sagte mir neulich, dass sie abends nicht mehr mit mir zusammensitzen möchte, weil ich nur wegen Wattenscheid telefoniere. Insofern ist diese Aufgabe schon eine große Belastung. Daher bewundere ich meine Frau dafür, dass sie alles mit trägt. Obwohl - sie kommt auch aus dem Ruhrpott, da versteht man das. Aber der Wahrheit die Ehre: So habe ich mir das nicht vorgestellt.
Sie sind 78 Jahre alt, geht das nicht irgendwann an die Gesundheit?
Schnusenberg: Nein, Sie kennen doch die ostwestfälische Mentalität. Da gibt man nicht auf.
Die finanziellen Probleme sind aber ein steter Begleiter des Vereins. Warum muss in Wattenscheid zwingend Regionalliga gespielt werden?
Schnusenberg: Mein Vorschlag war, dass wir neu anfangen und in einer tieferen Liga spielen. Das hat schon in Essen, Wuppertal und auch in Gütersloh funktioniert. In Wattenscheid stieß dieser Vorschlag nicht auf Zustimmung.
Wie lange machen Sie das bei der SG Wattenscheid 09 noch mit?
Schnusenberg: Die genaue Frist werde ich Ihnen nicht sagen. Aber ich bin gespannt, was sich am Sonntag beim Spiel gegen Schalke abspielen wird.