Madrid. Jürgen Klopp hat viele Erfahrungen mit Finals gemacht − meistens negative. Diesmal soll es sein Abend werden: Liverpool spielt gegen Tottenham um die Krone.
Jürgen Klopp will nicht der ewige Zweite sein. Nach sechs verlorenen Endspielen in Serie mit Borussia Dortmund und dem FC Liverpool, darunter die beiden Champions-League-Finals 2013 mit dem BVB und 2018 mit dem englischen Klub, geht der 51-jährige Trainer an diesem Samstag (21 Uhr/Sky und DAZN) im Endspiel der Königsklasse im Madrider Estadio Metropolitano gegen Tottenham Hotspur als leichter Favorit ins Rennen.
Klopp kam am Freitag in Madrid im grauen Vereins-Trainingsanzug zur Pressekonferenz. Zunächst wirkte er etwas angespannt. Vor allem, als er erklären sollte, ob er seine Karriere mit den verlorenen Finals als eine unglückliche ansehen würde. „Wenn ich mich selbst als Loser fühlen würde, hätte ich ein Problem“, sagte Klopp. „Vielleicht bin ich sogar Weltrekord-Halter im Gewinnen von Halbfinals. Ich könnte ein Buch darüber schreiben, aber das würde niemand kaufen. Wir haben seit der Niederlage im Finale 2018 gegen Real Madrid viel gelernt.“
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Ein Schalker in seinem Team
Aber dann wurde er immer entspannter und plauderte locker: „Ich spüre die Unterstützung meiner Familie und von Freunden in Deutschland. Mit Joel Matip und mir sind zwei Deutsche dabei. Schalke und Dortmund zusammen. Das ist schon verrückt.“ Die Spieler des FC Liverpool sind genauso heiß auf das Finale wie ihr Trainer. „Klopp hat den ganzen Klub verändert. Wir würden ihm gern diesen Titel schenken“, sagte am Freitag Liverpools Abwehrspieler Andrew Robertson.
Ausgerechnet im Brexit-Jahr können zumindest die englischen Fußballklubs nicht genug von Europa bekommen. Alle vier Finalisten der diesjährigen Europacup-Wettbewerbe kommen aus der Premier League. Klopp hatte sich schon häufiger als Brexit-Gegner geoutet. Nach Liverpools Parforce-Stück gegen Barcelona, dem 4:0-Sieg im Halbfinal-Rückspiel nach einem 0:3 im Hinspiel, schaffte es der deutsche Trainer sogar ins Parlament. Nicht persönlich, aber als Thema. Premierministerin Theresa May möge sich bitte Tipps bei Klopp abholen, wie man in Europa Ergebnisse erziele, erklärte Jeremy Corbyn, der Oppositionsführer der Labour-Partei, im Unterhaus.
In Liverpool ist längst Kloppo-Mania
Klopp liefert Gesprächsstoff. In Liverpool ist längst die Kloppo-Mania, die schon in Mainz und Dortmund grassierte, ausgebrochen. Jürgen Klopp, ein Trainer mit Charisma, mit riesigem Identifikationspotenzial. Dazu noch der Kultklub FC Liverpool, weltweit einer der Vereine mit der größten Tradition. Liverpool und Klopp: Das passt. Klopp sagt, der FC Liverpool lebe Emotionen, in ihm schlage ein großes Herz. „Wir haben uns ineinander verliebt“, sagte der Trainer am Freitag in Madrid. Klopp entfesselt Leidenschaft, Klopp wandelt Emotionen in Tore um. „King of the Kop“ wird er genannt. Aber nicht nur die Fans auf der Stehplatztribüne „The Kop“ an der legendären Anfield Road liegen ihm zu Füßen. An der Ecke Liverpool Street/Jamaica Street ist Klopp als monumentales Graffiti-Kunstwerk auf einer Backsteinmauer verewigt. Der deutsche Trainer hält sich darauf seine Hand aufs Herz.
Klopp hat hyperweiße Zähne, Klopp lässt sich Haare auf die Kopfhaut transplantieren – aber Klopp wirkt authentisch. Nicht nur die Fans, vor allem seine Spieler glauben, was er sagt. Glaube versetzt Berge, heißt es. Glaube kann auch Spiele gewinnen. Er weiß, dass Spieler Unmögliches möglich machen können, wenn ein Trainer ihre Herzen erreicht. Manchmal nennt man es dann wie beim 4:0 gegen Barcelona ein Wunder.
BVB-Boss Watzke nannte ihn "Menschenfänger"
Borussia Dortmunds Chef Hans-Joachim Watzke hatte Klopp auf dem Online-Portal Schwatzgelb.de schon als „Menschenfänger“ bezeichnet, als er den BVB noch gar nicht 2011 und 2012 zur Meisterschaft und 2012 zum Pokal geführt hatte. Der Mainzer Stadionsprecher Klaus Hafner erinnerte sich in einem Interview mit Kicker.TV an die Zeit mit Klopp und kam zu diesem Schluss: „Jürgen hat so eine Überzeugungskraft, der verkauft dem Papst ein Doppelbett.“
Aber Klopp kann auch ganz anders sein. Fast wie in Dr. Jekyll-Mr. Hyde-Manier scheint es zwei Klopps zu geben. Wenn es mal nicht so läuft, wenn der Schiedsrichter seiner Meinung nach mal zur falschen Zeit zur Pfeife greift, dann rastet der Mann mit dem Sechs-Tage-Bart schon mal kräftig aus. Der brodelnde Vulkan bricht dann aus, sein Gesicht verzieht sich zu einer angsteinflößenden Fratze.
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Charmanter Plauderer vor dem Finale in Madrid
Aus England ist zu hören, Klopp sei ruhiger geworden. „Ich werde glücklicherweise älter und weiser“, sagt der 51-Jährige. Am Freitag lief es gut für Klopp – und damit auch für die Journalisten bei der Pressekonferenz in Madrid. Als charmanter Plauderer auf öffentlicher Bühne präsentierte sich der Liverpool-Trainer nach einer kurzen Anlaufzeit. Man darf Jürgen Klopp glauben, dass er bei seinem ersten Pressetermin im Oktober 2015 in Liverpool aus dem Bauch heraus einen Satz sprach, der die Journalisten zum Schmunzeln brachte. „I’m the normal one“ (Ich bin der Normale) beschrieb er sich in Anspielung auf den ungeliebten, weil so unnahbaren Jose Mourinho, der sich selbst als Trainer beim FC Chelsea als „the special one“ (der Spezielle) bezeichnet hatte.
Mourinho lobte Klopp jetzt vor dem Finale in Madrid in höchsten Tönen. Aber eines hat der Portugiese dem Deutschen voraus: Er hat die Champions League schon gewonnen.