Liverpool. Das Titelrennen in der Premier League geht in die heiße Phase. Der FC Liverpool kann sich im Duell mit Manchester City auch auf Glück verlassen.
Manchmal kommt es vor, dass sich eine ganze Fußball-Saison auf ein, zwei entscheidende Momente reduziert, auf Kleinigkeiten, die das große Ganze in die eine Richtung oder die andere kippen lassen. Sollte der FC Liverpool am Ende dieser Spielzeit tatsächlich zum ersten Mal seit fast 30 Jahren wieder englischer Meister werden, dann hätte das maßgeblich mit zwei Szenen aus der Schlussphase der Partie gegen den Tabellendritten Tottenham Hotspur zu tun.
In der 85. Minute konterten die Gäste aus London beim Stand von 1:1 mit Moussa Sissoko und dem ehemaligen Bundesliga-Profi Heung-min Son. Ihnen stand nur noch Virgil van Dijk gegenüber. Doch es gelang Liverpools Abwehrchef mit der “kühlen Sicherheit eines Experten für Bomben-Entschärfung” (Guardian), den Passweg zu Son zu blockieren und Sissoko zum Abschluss zu zwingen. Dessen Schuss flog auf die Tribüne.
Lloris patzt, Liverpool jubelt
In der 90. Minute kam Mohamed Salah auf der anderen Seite aus spitzem Winkel zum Kopfball, eigentlich hätte der Versuch kein Problem für Tottenhams Torwart Hugo Lloris sein dürfen. Doch der französische Weltmeister ließ den Ball fallen wie ein glühendes Stück Kohle und patschte ihn seinem Mitspieler Toby Alderweireld ans Schienbein. Von dort sprang das Spielgerät zu Liverpools 2:1-Siegtreffer über die Linie.
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Der Jubel über das Tor – und die Rückkehr an die Tabellenspitze der Premier League – ließ das Stadion an der Anfield Road zittern. Als die Partie vorbei war, schmetterten die Fans ihre heilige Hymne “You´ll never walk alone” mit einer solchen Wucht, dass sie vermutlich bis auf die Irische See zu hören war. Die Zuschauer hatten begriffen, wie wichtig die beiden Szenen in der Schlussphase waren. Sie hatten begriffen, dass sich das Schicksal im englischen Titelrennen auf die Seite des FC Liverpool gestellt hatte. Wer so viel Glück in den entscheidenden Situationen hat, erst bei Tottenhams verunglücktem Konter und dann beim Siegtor, der muss doch auch Meister werden. Oder?
Klopp spricht vom hässlichen Sieg
Natürlich wurde Trainer Jürgen Klopp hinterher gefragt, ob auch er den Eindruck habe, dass es das Schicksal gut meint mit seinem Team. “So weit würde ich nicht gehen. Diese Momente findet man auch bei anderen Mannschaften”, sagte er zwar, doch er gestand auch, dass schon ein bisschen Glück dabei gewesen war beim Sieg gegen Tottenham: “Es gibt 500.000 Wege, ein Spiel zu gewinnen – heute war es eher häßlich. Die Jungs haben so hart gearbeitet und sich ein bisschen Glück verdient.”
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Nicht zum ersten Mal profitierte Liverpool in dieser Saison von günstigen Fügungen. Im Oktober verschoss Manchester Citys Offensivmann Riyad Mahrez im Spitzenspiel an der Anfield Road kurz vor Schluss einen Elfmeter, die Partie endete 0:0. Der 1:0-Erfolg gegen den FC Everton im Dezember kam durch einen kuriosen Patzer von Nationaltorwart Jordan Pickford zustande. Auch beim 4:3 im Januar gegen Crystal Palace profitierte Liverpool von einem Torwartfehler.
Erinnerungen an Gerrard und Karius
Während der Verein von der Anfield Road beim bislang letzten Angriff auf den Titel im Frühjahr 2014 dramatisch scheiterte, weil Klub-Ikone Steven Gerrard gegen den FC Chelsea ausrutschte, und das Finale der Champions League in der vergangenen Saison gegen Real Madrid wegen kaum erklärbarer Fehler des damaligen Torwarts Loris Karius verloren ging, sieht es diesmal so aus, als würden die Dinge in den entscheidenden Momenten zu Liverpools Gunsten laufen.
Es wäre natürlich falsch, die starke Saison von Klopps Mannschaft (erst eine Niederlage) auf Glück zu reduzieren. Doch schaden kann ein bisschen Hilfe von höheren Mächten auch nicht. “Wenn wir nach dem letzten Spieltag auf dem ersten Platz stehen, wäre es eine Meisterschaft des Willens”, lautet die Deutung des Trainers.
Guardiola hat es selbst in der Hand
Ob es wirklich zum Titel reicht für Liverpool, ist noch lange nicht geklärt. Der amtierende Meister Manchester City ist immer noch in der besseren Position. Zwar liegt die Mannschaft von Trainer Pep Guardiola mit zwei Punkten Rückstand auf dem zweiten Platz, doch sie hat noch ein Spiel mehr zu bestreiten. Der Titelverteidiger hat die Titelverteidigung selbst in der Hand.
Das Restprogramm spricht leicht für Liverpool. Der Verein von der Anfield Road hat noch sechs Spiele, nur eines davon gegen eine Spitzenmannschaft, nämlich gegen den FC Chelsea. Manchester City muss in den restlichen sieben Partien unter anderem noch gegen Tottenham und im Stadtderby bei Manchester United antreten. “Es ist leicht: Wir müssen alle Spiele gewinnen, um Meister zu werden”, sagt Guardiola. Das könnte tatsächlich nötig sein. Denn Liverpool ist fest entschlossen, bis zum Schluss Druck auf den Meister zu machen – und hat im Moment das Glück auf seiner Seite.