Essen. Am Sonntag ist Neapel-Keeper Ospina zusammengesackt. Große Verbände müssen neurologische Kenntnisse von Ärzten einfordern, sagt Joachim Schubert.

Es läuft die 41. Minute im Spiel zwischen dem SSC Neapel und Udinese Calcio, als Neapel-Torwart David Ospina zusammenbricht. Er ist bewusstlos und hat seine Zunge verschluckt.

Ärzte und Spieler rufen einen mobilen Krankentransport herbei. Der 30-jährige Kolumbianer wird in ein Krankenhaus gefahren. Eine CT-Untersuchung verläuft negativ. Doch das alles hätte verhindert werden können.

Ospina erlitt schon Minuten zuvor die schwere Kopfverletzung

Denn Ospina hatte schon in der 5. Spielminute eine schwere Kopfverletzung davongetragen, nachdem er bei einer Rettungstat mit Udinese-Stürmer Ignacio Pussetto zusammengekracht war.

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Im Interview mit dieser Redaktion fordert der Sportmediziner Dr. Joachim Schubert, langjähriger Mannschaftsarzt des VfL Bochum, ein Umdenken seitens der großen Verbände Fifa und Uefa. Mannschaftsärzte von Fußballvereinen müssten zudem zwingend neurologische Kenntnisse haben.

Herr Schubert, am Sonntagabend hat der Torwart David Ospina nach einem Zusammenprall noch rund 30 Minuten weitergespielt, obwohl er sich am Kopf verletzt hatte. Dann brach er zusammen und musste ins Krankenhaus gefahren werden. Warum wurde das nicht vorher verhindert?

Dr. Joachim Schubert: Aus meiner Zeit als Mannschaftsarzt kenne ich Spieler, die solche Vorfälle bagatellisieren. Sie sagen dann zu mir: "Alles gut, Doc. Ich kann weiterspielen, überhaupt kein Problem." Dabei sollte ein Arzt auf dem Platz in der Lage sein, die Problematiken zu erkennen. Bei solchen Vorfällen müssen neurologische Tests noch auf dem Feld gemacht werden. Einfach um sich zu vergewissern, dass der Spieler in Ordnung ist.

Zur Person

Dr. Joachim Schubert hat sich 1983 als Sportmediziner in seiner Wahlheimat Bochum niedergelassen und betreibt seit 1997 eine privatärztliche Praxis. Von 1989 bis 1999 war Schubert Vereinsarzt des VfL Bochum. Bei der WM 2006 in Deutschland stand er als Arzt für die togolesische Nationalmannschaft zur Verfügung. In der Bochumer Innenstadt leitet Schubert gemeinsam mit den Ärzten Dr. Löwe und Dr. Ehrle eine Praxis für Sportmedizin und Orthopädie.

Welche Tests meinen Sie?

Schubert: Der Arzt muss sich die Frage stellen: War der Spieler kurz weg? Dann ist es zwingend, ihn vom Platz zu nehmen. Genauso sollten Tests mit den Pupillen gemacht, die Augenbeweglichkeit und das Gleichgewicht untersucht werden. Schließlich kann es zu einer Einblutung im Gehirn kommen und es müsste dann schnell ein CT (Computertomographie, Anm. d. Red.) folgen. Sonst besteht Lebensgefahr.

Ist es also möglich, dass die Ärzte die Situation falsch eingeschätzt haben, beziehungsweise sich haben täuschen lassen?

Schubert: Das sollte nicht sein. Bei solchen Gehirnverletzungen muss die Vorsicht über allem stehen. Lieber nehme ich einen Spieler mehr runter als einmal zu wenig. Allein schon bei einem möglichen Verdacht sollte das geschehen.

Was für ein Mitspracherecht hat der Fußballer? Er will schließlich in den häufigsten Fällen weiterspielen.

Schubert: Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Es findet natürlich ein enger Dialog zwischen Arzt und Spieler statt. Wenn einer gerade den Sprung in die Startelf geschafft und sich im Spiel verletzt, will der natürlich nicht raus. Das macht er dem Arzt dann auch noch einmal klar. Ich hatte aber auch schon Fälle, bei denen eigentlich nichts zu befürchten war und der Spieler dennoch vom Platz wollte.

Joachim Schubert ist renommierter Sportmediziner aus dem Revier. Unter anderem war er jahrelang Mannschaftsarzt des VfL Bochum.
Joachim Schubert ist renommierter Sportmediziner aus dem Revier. Unter anderem war er jahrelang Mannschaftsarzt des VfL Bochum. © privat | privat

In der Premier League in England darf ein Spieler schon beim Verdacht, dass er sein Bewusstsein verloren hat, nicht mehr weiterspielen. Bei Kopfverletzungen ohne Bewusstseinsverlust hat der Arzt das letzte Wort. Sollten diese Regeln ligenübergreifend eingeführt werden?

Schubert: Das ist eine absolut richtige Vorgehensweise. Denn, und das ist der Punkt: nicht jeder Mannschafts- oder Sportarzt hat neurologische Erfahrungen. Er muss sie aber zwingend haben, um schon das Gefühl zu haben, dass es beim Verletzten nicht stimmt.

Was können Verbände wie die Fifa oder Uefa tun, um so etwas zu verhindern? Es scheint, dass Kopfverletzungen im Fußball häufig ignoriert werden?

Schubert: Die Verbände sollten von allen Mannschaftsärzten neurologische Kenntnisse verlangen. Das bedeutet, dass die zuständigen Ärzte sich jährlich in dem Gebiet der Neurologie Tests unterziehen sollen. Damit kann man gewährtleisten, dass der Arzt auf dem Gebiet fit ist. Er muss versiert genug sein, um sagen zu können: "Alles gut, der Spieler hat nichts. Weitermachen."

Sind Vereinsärzte in manchen Ländern nicht so sehr für Kopfverletzungen sensibilisiert, wie sie vielleicht sein müssten?

Schubert: Generell muss der Doktor sich im Fußball verantwortlich zeigen und begründen, dass er in verschiedenen Bereichen qualifiziert ist. In meiner Zeit in Afrika (Schubert war Arzt der Nationalmannschaften Togos, Kameruns und Algeriens, Anm. d. Red.) musste ich festellen, dass manche Ärzte nichts mit Kopfverletzungen anfangen konnten (lacht). Es ist wirklich von Land zu Land unterschiedlich

Die Vereine oder Teams müssen doch wissen, wen sie da verpflichten?

Schubert: Normalerweise schon, aber: In Deutschland ist es ja schon einfach, Mannschaftsarzt zu werden. Ich glaube, manche Vereine überprüfen nicht die Qualifikation ihrer Ärzte. Man geht meistens davon aus, dass die schon etwas können. Sie wollen zumeist einen Arzt, mit dem man kommunizieren kann. Orthopäden gibt es viele. Einen Kreuzbandriss kann man schnell erkennen. Seitens Fifa oder Uefa müsste es aber eigentlich einen Katalog geben, dass gewisse Dinge bei Ärzten vorauszusetzen sind.

Müssen Fußballer selbst besser über Ihre Verletzungen aufgeklärt werden?

Schubert: Das ist die Aufgabe des Mannschaftsarztes. Er muss sich ein Forum schaffen, wie er mit Spielern klar spricht. So wie bei der Regelkunde mit Schiedsrichtern müssten die Fußballer auch über medizinische Aspekte informiert werden.

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Im American Football gibt es das sogenannte Concussion Protocol. Spieler werden nach einem Zusammenprall am Seitenrand sofort geröntgt und von einem neutralen Arzt untersucht. Wäre das auch etwas für den Fußball?

Schubert: Nein, denn das würde zu weit gehen. Die Verletzungen treten im Fußball nicht in der Häufigkeit auf wie im American Football. Wenn der behandelnde Arzt verantwortungsbewusst handelt und sich mit den Wegen auskennt - also weiß, wo die nächste neurologische Klinik ist und wo ein CT gemacht werden kann -, braucht der Fußball keine neutralen Ärzte.