Essen. Nach den neuesten Enthüllungen nimmt der Entfremdungsprozess gefährliche Züge an. Was Horst Hrubesch, Michael Gabriel oder Harald Stenger über eine Super League denken.
Horst Hrubesch hatte in einem Nebenraum des weitläufigen Hotels Klosterpforte in Marienfeld Platz genommen, um in der ostwestfälischen Wohlfühloase über seinen bevorstehenden Abschied vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu sprechen. Die Frauen-Länderspiele gegen Italien (5:2) und am Dienstag in Erfurt gegen Spanien sind die letzte Mission des immer wieder als Trainer aushelfenden DFB-Sportdirektors, der am 31. Dezember aus dem Verband ausscheidet. Hrubesch, stammt aus Hamm, ist Jahrgang 1951 – und hat am Donnerstag von einem interessanten Artikel erzählt, in dem es um die ungeheuren Mengen Plastikmüll ging, den die Menschheit heutzutage produziert. Er habe sich als Kind glücklich geschätzt, wenn er Kakao aus einer Glasflasche ziehen konnte. „Und die wurde zu Hause ausgespült und zurückgebracht.“
Noch Ehrlichkeit im Frauenfußball
Auch der Fußball war irgendwie anders, weil einfacher. Und deshalb schätzt der 67-Jährige seine Aufgabe bei der Frauen-Nationalmannschaft gerade so sehr. „Die Art und Weise, wie diese Mädels den Fußball angehen, erinnert mich an meine Anfangszeit. Das ist Ehrlichkeit drin, da brauche ich nichts anschieben. Da ist noch ein Miteinander zu spüren.“ Ohne Allüren, ohne Effekthascherei. Der ehemalige Bundesliga-Torjäger, EM-Held von 1980, findet es nahezu grotesk, wohin sich die männliche Branche entwickelt. In der Vorwoche brachte der Spiegel die Titelgeschichte „Der Verrat – Geheimsache Luxus-Liga“ heraus, dem die ARD-Doku „Football Leaks: Von Gier, Lügen und geheimen Deals“ folgte. Hrubesch hat das Meiste daraus kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen.
„Ich bin mit diesen Summen schon lange nicht mehr einverstanden. Wenn ich die Zahlen lese, dann wird einem angst und bange.“ Hrubesch möchte sich gar nicht ausmalen, wie der Profifußball in zehn Jahre aussieht. Doch nicht nur dem einstigen Kopfball-Ungeheuer ist deshalb schwindlig geworden.
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„Natürlich verschärfen diese Veröffentlichungen die sowieso schon tiefe Glaubwürdigkeitskrise zwischen Fans und den Verantwortlichen des Fußballs“, sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte. „Viele Fans sehen sich bestätigt, dass es den Funktionären nicht um den Sport und schon gar nicht um die Fans, sondern ausschließlich um ihren Profit geht. Sie müssen vielmehr erkennen, dass hierfür sogar die Faszination des Fußballsports aufs Spiel gesetzt wird, weil der faire sportliche Wettbewerb geopfert wird.“
Der Vertrauensverlust reicht bis zu jenen, für die die schönste Nebensache der Welt von Berufs wegen meist Hauptsache und Herzensangelegenheit war. Harald Stenger, der langjährige Medienchef der deutschen Nationalmannschaft, klingt nicht mal mehr zynisch, wenn er die Thematik bewerten soll. „Ein weiteres Mosaiksteinchen dafür, dass die Entfremdung der Fans immer größer wird.“ Wer kann etwas mit Planspielen anfangen, sich aus der Bundesliga zu verabschieden, nur um in einer Super League noch mehr Millionen zu scheffeln? Schon jetzt stemmt der FC Bayern einen Umsatz von weit über 600 Millionen Euro, nimmt allein mit Merchandising mehr ein als andere Erstliga-Klubs als Budget ausweisen, aber es reicht immer noch nicht.
Bayern riskiert Bruch mit Basis
Bayerns Chefjustiziar Michael Gerlinger hat zwar versichert, man stehe nun zu den bestehenden Wettbewerben, aber er negierte nicht, dass die Gespräche „sehr konkret“ waren, um von der Europäischen Fußball-Union (Uefa) die nächsten Mehreinnahmen herauszupressen. Die Münchener riskieren dafür den Bruch mit der Basis. „Nie mehr Deutscher Meister FCB? Nie mehr ehrliche Titel“, stand vergangenen Samstag auf dem einen Spruchband vor der Südkurve. „Wir stehen zu Bundesliga – Superliga ohne uns“, auf dem anderen.
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Mag die Welt globaler, komplexer geworden sein: Es braucht auch im Profisport noch ein Stück Heimat. Man stelle sich nur vor, die Fans würden die Vereine so schnell wechseln wie die Spieler. Der in Frankfurt ansässige Fanexperte Gabriel ist in großer Sorge, dass die Proteste damit befeuert werden. „Fans und Ultras sehen sich bekanntlich als Hüter der wahren Werte des Fußballs, sie setzen sich für gleiche Chancen für die Vereine im Wettbewerb oder für demokratische Mitbestimmung in den Vereinen ein. Dabei erfahren sie Unterstützung großer Teile der Fanszenen. Jetzt müssen sie zum wiederholten Male erkennen, wie in Hinterzimmern gemauschelt wird und das den wohlfeilen Worte der Funktionäre nicht zu trauen ist. Was sollen Fans und Ultras den Funktionären also noch glauben?“
Offenbar gibt es kaum noch einen Tabubruch, über den nicht nachgedacht wird. Das durch russische Oligarchen oder katarische Investoren befeuerte Wettrüsten der Global Player hat eine Stufe erreicht, in der immer mehr Bodenhaftung verloren geht. Gestern duellierten sich Borussia Dortmund und Bayern München beim Gipfeltreffen in der Bundesliga. Diese Faszination ginge verloren, würden solche Duelle nur noch in einer geschlossenen Luxus-Liga veranstaltet. Stenger hält es zwar für eine „moderne finanzkräftige Idee, die zur aktuellen Entwicklung des Fußballs passt“, aber gutheißen tut er es noch lange nicht. Hrubesch hat noch einen eigenen Vorschlag vorgebracht: „Es muss eine Liga aus einem Land geben, die mal sagt: Schluss, Aus, Ende.“ Die Bundesliga darf seine Worte ruhig als Aufforderung verstehen.