Berlin. Nach dem 0:1 gegen Brasilien kritisiert Nationalspieler Toni Kroos seine Kollegen. Angesprochen fühlen dürfen sich Sané, Goretzka und Gündogan.

Toni Kroos ist ein Meister der Ökonomie. Der Mittelfeldspieler wendet immer genau so viel Kraft auf wie nötig, um sein Ziel zu erreichen. Nie wird man Kroos auf dem Rasen einen Sprint zu viel machen sehen. Es ist sein feines Gespür für die Anforderungen des Moments.

Weil das so ist, mussten die Mitarbeiter der Presseabteilung bei der deutschen Nationalelf schon sehr auf Kroos einwirken, um ihn Dienstagnacht dazu zu bewegen, seine Kritik noch einmal zu erläutern. Im TV hatte er Worte wie Spannschüsse von sich gegeben: „Wir sind nicht so gut, wie uns eingeredet wird“, sagte der 28-Jährige nach dem 0:1 im Test gegen Brasilien. Bum. „Einige Spieler hatten die Chance sich zu zeigen, haben es aber nicht getan.“ Nochmal bum.

Kräfteverhältnisse geradegerückt

Und dann schickte Kroos noch eine allgemeine Abrechnung hinterher: „Wir sind nicht der absolute Favorit, der nach Russland fährt.“ Das sei vor der ersten Niederlage nach 22 ungeschlagenen Partien schon Quatsch gewesen, und das sei auch immer noch Unsinn. Bum, bum, bum.

Toni Kroos ist mittlerweile einer der mächtigsten Akteure im Team von Bundestrainer Joachim Löw. „Er ist in der Position, Kritik zu äußern“, fand daher auch Leon Goretzka. Der Schalker musste sich angesprochen fühlen. Er nutzte seine Chance nämlich nicht. Fahrlässiger verstreichen ließ seine Gelegenheit noch Leroy Sané. Und weil das nicht der Tag war, um Dinge schön zu reden, fand auch Löw kritische Worte für den 22-jährigen Ex-Schalker: „Vielleicht schießt er nicht so schnell in die Höhe, wie man denkt“, sagte der Bundestrainer. Sané habe mit dem Druck nicht so gut umgehen können.

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Niederlagen schmecken nie süß, doch für Löw ist dieses 0:1 nützlich. Kam es doch daher wie ein Weckerklingeln. Von einem „Warnsignal“ sprach Ilkay Gündogan. Der Manchester-City-Kollege von Sané spielte ebenfalls ungewohnt schwach. Nützlich ist es für Löw, weil dieses 0:1 das Kräfteverhältnis im Team wieder zurecht schob: Die Spieler, die als Confed-Cup-Sieger in die Nationalelf drängen, sind noch nicht soweit, um die Weltmeistergeneration um Kroos, Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng abzulösen. Auch so ist Kroos’ Aussage zu verstehen.

Zudem räumt spätestens die Niederlage gegen Brasilien damit auf, dass Löws Elf auf dem Weg zur Titelverteidigung keine allzu großen Hindernisse wird überwinden müssen. Die Selecao wird eines sein, auch Spanien. Deutschland hat selbst erlebt, welch Konkurrenz da noch herangewachsen ist: In den vergangenen vier Partien traf Löws Auswahl auf große Gegner (England 0:0, Frankreich 2:2, Spanien 1:1 und Brasilien 0:1) und gewann keines dieser Spiele.

77 Tage bis zur WM

Die März-Länderspiele sollten vor der vorläufigen WM-Kadernominierung am 15. Mai eine Standortbestimmung sein. Aber nachdem sie gespielt sind, ist die Frage, wo die DFB-Auswahl 77 Tage vor der WM steht, nur so zu beantworten: irgendwo vor Russland. Vieles, was es bei der WM brauchen wird, findet Löw in seinem Team: Qualität, Talent, eine funktionierende Hierarchie. Doch am Ende wird es auch darauf ankommen, ob ein Gewinnergeist entsteht. Toni Kroos drückte das nach der Überredung durch die DFB-Presseabteilung so aus: „Ich mache mir keine Sorgen – einfach, weil ich uns kenne.“