Vor dem Spitzenspiel bei Bayern München: Rudi Völler über den derzeitigen Erfolg von Bayer Leverkusen

Leverkusen. Drei Tage nach der Nationalelf kehrt auch die Bundesliga allmählich wieder ins „normale” Fußball-Leben zurück. Bei den Klubs kommt Druck in die Kessel – am hef-

tigsten beim FC Bayern München, der Spitzenreiter Bayer Leverkusen (Sonntag. 15.30 Uhr) erwartet. Zum „Spiel der Spiele in der Vorrunde” hat Bayern-Manager Uli Hoeneß die Begegnung bereits ausgerufen. Wie's aus Leverkusens Perspektive aussieht, darüber sprachen wir mit Sportdirektor Rudi Völler (49).

Deutsche Meisterschaft – dieser Titel fehlt bis heute sowohl in Ihrer persönlichen Karriere-Bilanz als auch in der Vereinsgeschichte von Bayer Leverkusen. Gerade vor dem Spiel bei den Bayern kommen Sie um das Thema weniger herum denn je. Wie groß ist die Chance, dass Sie es sozusagen auf Ihre „alten Tage” jetzt ausgerechnet mit Leverkusen schaffen?

Hätten wir uns vor exakt einem Jahr getroffen, dann wäre das Thema genau das gleiche gewesen. Damals waren wir auch Tabellenführer, und am Ende sind wir Neunter geworden. Deswegen gehen wir mit dem derzeitigen Erfolg sehr gelassen, bescheiden und realistisch um. Wir sind konstanter geworden, wir sind selbstbewusst, aber vom Titel zu sprechen, das ist viel zu früh.

Fehlt der Titel des Deutschen Meisters Bayer nicht mehr als jedem anderen Verein? Wer heißt bei den Fans schon „Vizekusen”? In München müssen Sie sich auch wieder das Lied anhören „Ihr werdet nie Deutscher Meister”.

Inzwischen singen unsere Fans da ja gelegentlich schon mit. Unser Auftreten hat sich völlig gewandelt. Unsere beste Idee seit Jahren war die „Werkself”-Kampagne. Ja, wir sind ein Werksklub! Das ist auch eine Art, uns zu unserem Sponsor zu bekennen. Wir empfinden das nicht mehr als Schimpfwort und haben gelernt, auch mal Selbstironie an den Tag zu legen.

Aber das Image des ewigen Verlierers haftet immer noch am Verein.

Besonders seit diesem Unterhaching-Spiel im Jahr 2000. Und 2001/2002 hatte Bayer die beste Mannschaft aller Zeiten, mit Ballack, mit Ze Roberto, Lucio, Jens Nowotny, Berbatow, Bernd Schneider – das war ja fast eine Weltelf. In dem Jahr haben wir innerhalb von drei Wochen drei Titel verloren: Die Meisterschaft an Borussia Dortmund, die Champions League an Real Madrid, den Pokalsieg an Schalke 04. Unser Kader war top, aber zu dünn für diese vielen Spiele. Wären wir in der Champions League im Viertelfinale mit Pauken und Trompeten rausgeflogen, dann hätten uns alle applaudiert und wir hätten mit klarem Vorsprung die Meisterschaft geholt. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Die Mannschaft war ausgepowert.

So gesehen haben Sie diesmal alles richtig gemacht: Den Europapokal verpasst, im Pokal früh rausgeflogen.

Natürlich wären wir im Pokal gerne weitergekommen. Aber ein kleiner Vorteil ist es schon, gerade in diesen Monaten nicht so viele Spiele machen zu müssen. Zudem hat Jupp Heynckes die Situation nach dem Aus in Kaiserslautern sehr gut gemeistert. Er hat halt die nötige Erfahrung, um da nicht auf der üblichen Klaviatur zu spielen wie viele andere: „Blamage” undsoweiter. Nein, er hat den Spielern gesagt, sie hätten alles versucht, sie hätten nicht so gut gespielt wie zuvor, die Lauterer hätten sich den Sieg mit starker Leistung verdient. Das müsse man auch mal akzeptieren. Drei Tage später fuhren wir zum Derby nach Köln, auch kein einfaches Spiel, und haben dort gewonnen. Völlig ungefährdet.

Dann müssen Sie wohl heute froh sein, dass Ihr Versuch, Bruno Labbadia auch nach dessen umstrittenem Interview vor dem Pokalfinale doch noch zum Bleiben zu überreden, gescheitert ist. Oder?

Jupp Heynckes hat hier eine Stabilität rein gebracht, die wir vorher nicht hatten. Aber auch Bruno Labbadia ist ein sehr guter Trainer. Und er wird noch besser werden. Er macht das gut beim HSV, er hat hier seine Sache gut gemacht. Am Ende aber haben einige Dinge nicht mehr richtig gepasst, so dass es vielleicht besser war, sich zu trennen. Aber nochmal: Zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres standen wir genauso gut da. Da schwärmten alle von Labbadia.

Ist Leverkusen mittlerweile so konstant geworden, dass der Einbruch diesmal ausbleibt? Können Ihre Fans schon beruhigt sein?

Dass die Mannschaft stabiler geworden ist, das ist nicht nur mein Eindruck. Das ist Fakt. Man sah das zum Beispiel an der Reaktion auf das Pokal-Aus. Jupp Heynckes strahlt Ruhe aus, und mit Sami Hyypiä haben wir jemanden für die Defensive geholt, der auf hohem Niveau den Laden zusammenhält.

Nun heißt es oft, die Stabilität auf dem Platz sei durch ein Minus an Attraktivität erkauft worden. Bayer stehe defensiv besser, spiele dafür aber nicht mehr so offensiv wie in der letzten Saison.

Sehen Sie sich mal die Tabelle an. Wir haben nicht nur die wenigsten Tore kassiert, wir haben gleichzeitig die zweitmeisten Tore geschossen. Nur der HSV traf noch öfter. Dass wir nicht mehr ins offene Messer laufen, hat doch nichts mit der Attraktivität zu tun. Wir spielen nach vorne.

Auch in München? Welchen Stellenwert hat diese Begegnung für Bayer? Gerade wenn man daran denkt, dass Leverkusen ausgerechnet gegen München oft entscheidende Rückschläge erlitt?

Die Bayern stehen sicherlich mehr unter Druck als wir. Selbst wenn wir verlieren sollten, bleiben wir vermutlich Tabellenführer. Von daher fahren wir mit großem Selbstbewusstsein dorthin. Aber ich weiß auch, dass die Saison nicht von dieser einen Begegnung abhängt. Vor dem Champions-League-Spiel gegen Bordeaux standen die Münchner sicher stärker unter Druck als am Sonntag. Diesmal hätten sie nach einer Niederlage zwar neun Punkte Rückstand auf uns, wären aber damit noch nicht ganz aus dem Rennen. Allerdings gäbe es in diesem Fall bei ihnen sicherlich ein ziemliches Theater.