Kopenhagen. . Der Ex-Schalker Julian Draxler entwickelt sich so, wie es sich einer besonders wünscht: Bundestrainer Joachim Löw.
- Julian Draxler ist vertretungsweise Kapitän der deutschen Nationalmannschaft
- Beim 1:1 in Dänemark führte Draxler das Team aufs Feld
- Draxler entwickelt sich so, wie es sich Bundestrainer Löw besonders wünscht
Es gibt einen Ort bei sich zu Hause, an dem Julian Draxler aufbewahrt, was ihm ausnehmend wertvoll erscheint. Erinnerungsstücke „an besondere Spiele“, wie er sagt, lagern dort. Und nach Lage der Dinge wird seine persönliche Ruhmeshalle in den kommenden Tagen um ein weiteres Exponat bereichert. Es handelt sich um ein eher überschaubar aufregendes Stückchen Stoff, doch in der Welt des Fußballs bedeutet es eine erhebliche Auszeichnung. Einen Bilderrahmen wird er wie immer besorgen. Hinter dem Glas wird sorgfältig gebettet die Kapitänsbinde zu liegen kommen, die der 23-Jährige am Dienstag beim 1:1 der Nationalmannschaft gegen Dänemark im Freundschaftsspiel in Kopenhagen am Arm trug.
Kapitän? Anführer? Vorzeigefigur?
Julian Draxler ein Kapitän? Ein Anführer? Die Vorzeigefigur des deutschen Fußballs sogar? Ein Bild, das zu malen noch vor weniger als einem Jahr eine Menge Mut erfordert hätte.
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Damals, im August 2016, hatte Draxler eine gute EM in Frankreich hinter sich, und Bundestrainer Joachim Löw hatte ihn als einen potenziellen Führungsspieler der Zukunft auserkoren. Das schon. Aber Draxlers Sympathiewerte bewegten sich in der breiten Öffentlichkeit kurz nach dem Turnier in den roten Bereich, weil ihm sein Klub, der VfL Wolfsburg, zu klein geworden war, weil er dort weg wollte, und weil er diesen Wunsch in einem Interview kurz vor Saisonstart öffentlich machte.
Ein Jahr nur hatte er es zu diesem Zeitpunkt in Niedersachsen ausgehalten, nachdem er zuvor seinen Heimatverein Schalke 04 fluchtartig verlassen hatte. Bei beiden Klubs hat er Verträge unterschrieben, die noch heute gültig wären. Doch Draxler erzwang seinen Wechsel, zu Beginn des neuen Jahres nahm er Abschied, galt spätestens dann als Abzocker. Als einer, der ausschließlich seinen eigenen Vorteil sucht. Der dort spielt, wo es am meisten Geld zu verdienen gibt. Der auf Dinge wie Loyalität und Verlässlichkeit nichts gibt. Ganz gleich, ob dieses Bild nun zutreffend war oder nicht: Sein Image hatte gelitten. Wertneutral ließe sich sagen, dass er ein Karrierist ist.
Titelgewinn mit Paris Saint-Germain
Seit Januar nun spielt er für Paris Saint-Germain, jenen mit katarischen Millionen aufgerüsteten Top-Klub aus der französischen Liga. Dort blühte er sportlich wieder auf, schoss Tore, gewann Titel. „Ich habe wieder Spaß am Fußball“, sagte er kurz nach seiner Ankunft dort. Und wer wollte, konnte nicht nur das sehen, sondern auch, was Bundestrainer Joachim Löw stets und immer in ihm erkannte: einen sehr begabten Fußballer, der auch zu größeren Aufgaben taugt.
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„Der Julian muss in die Rolle noch hineinwachsen, das ist ein Prozess, der etwas länger dauert“, sagt Löw, der Draxler in Abwesenheit der sonstigen Anführer in der internen Hierarchie hinaufhievt. „Für ihn ist das eine gute Erfahrung“, sagte Löw. Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff lobt die Präsenz und den Willen Draxlers, die Führungsaufgaben wahrzunehmen. Die Bosse im elitären Zirkel DFB-Team haben durchaus konkrete Pläne mit dem gebürtigen Gladbecker, forcieren eine Entwicklung, die schon sichtbar geworden ist. Bei der EM übernahm Draxler Verantwortung, als er im Viertelfinal-Elfmeterschießen gegen Italien antrat und auf eine Weise traf, die keinerlei Zweifel an ihm duldete. Die Ausbildung eines Karrieristen zur Führungskraft schreitet voran.
„Ich weiß das schon einzuschätzen“, kommentiert Julian Draxler nun die Nominierung, „aber unabhängig davon, dass uns wichtige Spieler fehlen, ist es eine große Ehre. Mal sehen, wie es sich in den nächsten Wochen entwickelt.“ Eine erneute Chance, sich als Kapitän zu beweisen, hat Draxler am Samstag: in Nürnberg beim WM-Qualifikationsspiel gegen San Marino (20.45 Uhr/RTL).
Die leisen Töne stehen ihm gut
Er wird die Nationalelf durch diesen Sommer führen, wenn sie beim Confed-Cup in Russland, den die Stars urlaubend verstreichen lassen, antritt. „Wir wollen schon was erreichen“, meint Draxler. „In erster Linie bin ich immer noch der Julian, der Fußball zu spielen hat und nicht neben dem Platz Aufgaben übernehmen soll“, sagt er recht zurückhaltend.
Seine Karriere ist auch von Erinnerungen geprägt, die keinen Platz in einer Ruhmeshalle haben. Er weiß daher, dass ihm die leisen Töne ganz gut stehen.