Essen. . Jürgen Klinsmann spricht im Interview über das historische Spiel der USA in Kuba. “Da ist mehr als nur Fußball“, erklärt der 52-Jährige US-Trainer.
Jürgen Klinsmann gibt zu: „Ich bin gerade ein bisschen aufgeregt.“ Seiner Stimme ist das am Telefon deutlich zu entnehmen, als der Nationaltrainer der USA in Miami zu einer Gesprächsrunde mit deutschen Medien einlädt. „Mein Bub spielt gleich mit der U20 gegen Deutschland. Ich hoffe, Ihr versteht das.“ Aufgewühlt ist der 52-Jährige aber auch, weil er am Freitag (22 Uhr deutscher Zeit) mit seiner Mannschaft zu einem ganz besonderen Duell antritt: Erst zum dritten Mal überhaupt und zum ersten Mal seit 1947 reisen die Fußballer der Vereinigten Staaten zu einem Freundschaftsspiel nach Kuba.
Herr Klinsmann, was bedeutet Ihnen dieses Spiel in Havanna, das man beruhigt als historisch bezeichnen darf?
Jürgen Klinsmann: Es ist eine schöne Sache, denn es sind die besonderen Momente, die einem der Fußball bietet: der Besuch von Yad Vashem oder bei Nelson Mandela, nach Sowetho zu gehen und jetzt eben das Spiel auf Kuba. Das sind die Türöffner, die nur im Fußball passieren. Auf der politischen Ebene hat man sich wieder angefreundet, Barack Obama hat da einen Riesenschritt gemacht. Dass die Fußball-Nationalmannschaft nach Jahrzehnten mal wieder zu einem Freundschaftsspiel dorthin reist, hat in den USA für Schlagzeilen gesorgt.
Im März haben bereits die Rolling Stones auf Kuba gespielt, annähernd eine halbe Million Menschen war aus dem Häuschen. Hat das irgendetwas in Ihnen ausgelöst?
Jürgen Klinsmann: Da gibt es keinen Zusammenhang. Aber unsere Reise ist natürlich auf politischer Ebene abgesprochen. Der Fußball hat eine globale Tragweite. Die Baseball-Mannschaften waren teilweise schon in Havanna, das hat viele bewegt. Aber dass die Fußballer nun kommen, ist etwas ganz besonderes. Sie lieben den Fußball auf Kuba.
Was erwartet die Spieler, gibt es für sie besondere Verhaltensregeln?
Jürgen Klinsmann: Den Spielern wird ein besonderes Bild vermittelt. Sie merken, da ist mehr als nur Fußball. Wir freuen uns auf diese Begegnung. Die Spieler bekommen eine Einführung, um die Hintergründe der vergangenen Jahrzehnte dargestellt zu bekommen. Wir haben die Spieler mit ins Boot genommen, damit sie wissen, warum die Dinge passiert sind. Wir wissen, wie wir uns zu verhalten haben.
Könnte das Spiel auch als politisches Signal mit Hinblick auf die Sanktionen wirken?
Jürgen Klinsmann: Die politische Ebene kann ich nicht einschätzen. Ich glaube schon, dass es ein Echo geben wird, dass sich beide Länder weiter annähern. Ich finde das klasse, wenn so eine Reise positiv genutzt werden kann.
Sollten Sportler generell auch dann ihrer Rolle als Botschafter nachkommen, wenn es um heiklere Anlässe wie in anderen Sportarten den Boykott von Großveranstaltungen geht?
Jürgen Klinsmann: Wenn Athleten ihre Meinung oder ihre Unzufriedenheit kund tun wollen, ist das jedem selbst überlassen. Für eine Mannschaftssport wie den Fußball ist es wichtig, dass, wenn du ein Land repräsentierst, den Spielern sehr wohl bewusst sein sollte, welche Tragweite solche Besuche oder Spiele dann haben. Es ist wichtiger, das im positiven Bereich anzugehen, als wenn man mit etwas unzufrieden ist. Das Bild eines Landes ist enorm wichtig. Als wir 2004 in den Iran gereist sind, waren in Teheran 110.000 Leute im Stadion, die haben uns einen fantastischen Empfang bereitet. Es ist unheimlich wichtig, dass sich der Spieler dieser Brücken bewusst ist, die durch den Sport gebaut werden.
Sie bereiten sich nun mit zwei Testspielen gegen Kuba und Neuseeland auf die WM-Qualifikation vor. Wo steht Ihre Mannschaft sportlich?
Jürgen Klinsmann: Wir haben am 11. November unser größtes Qualifikationsspiel gegen Mexiko. Wir sind in einer Sechser-Gruppe, die ersten Drei gehen direkt zur WM nach Russland. Das Spiel gegen Mexiko in Columbus, Ohio, wird jetzt schon hochgeschaukelt. Kein Spiel hat bei uns eine größere Bedeutung, es leben ja mehr als 30 Millionen Hispanics in den USA. Und dieses Duell hat eine Geschichte: Spiele gegen Mexiko in Columbus haben wir in den letzten Jahren im Columbus immer gewonnen – und immer mit demselben Ergebnis, 2:0. Da herrscht also enorme Spannung, da geht’s richtig zur Sache.
Sie haben insgesamt sechs Bundesligaspieler in Ihren Reihen, unter anderem den großen Jungstar Christian Pulisic von Borussia Dortmund.
Jürgen Klinsmann: Wir haben 2016 einen Stamm entwickelt, der uns nach Russland bringen soll. 15 Spieler sind dabei, die die letzten WM-Quali-Spiele gemacht haben, acht weitere wollen wir uns mal anschauen. Wenn ich an Teheran zurückdenke: Da war so ein junger Schlacks dabei, Per Mertesacker, total aufgeregt. Den musste ich damals beruhigen, ich habe ihm gesagt, er könne so viele Fehler machen, wie er will. So ist es jetzt bei uns: Wir haben eine neue Welle an jungen Spielern, die diesen Reifeprozess jetzt starten müssen, wenn sie in Russland mit dabei sein wollen. Diese Gruppe wird mit Sicherheit von Christian Pulisic angeführt. Beim BVB hat er eine große Konkurrenzsituation, mal kommt er von der Bank, mal fängt er an. Bei uns hat er den Durchbruch schon geschafft. Es hat eine große Tragweite, was der Junge macht.
In Russland werden noch 32 Mannschaften bei der WM starten. Der neue Fifa-Präsident Gianni Infantino kann sich vorstellen, dass es danach mal 48 Teilnehmernationen werden. Für Sie vorstellbar?
Jürgen Klinsmann: Für mich nicht, nein. Nehmen wir die EM: Die Vorrunde hatte aufgrund des neuen Modus nicht mehr die Dynamik. Es wurde auf Ergebnis gespielt; nur ja nicht verlieren, wenn ein Unentschieden einen schon weiterbringt. Der Offensivfußball hat darunter gelitten. Wenn ich unsere Copa America mit der EM vergleiche, dann war die Copa qualitativ besser – aber nur deshalb, weil die EM in der Gruppenphase verwässert war. Das Problem sähe ich auch bei der WM. Wir machen einen zweijährigen Marathon zu einer WM in der Qualifikation. Dann will du aber, dass es sofort zur Sache geht, wenn du bei der WM bist. Dass nach vorne gespielt wird und jeder die drei Punkte vom ersten Spiel an braucht. Dass nicht jeder Gruppendritte noch weiterkommt. Ich halte es rein sportlich für den falschen Weg.
Sie sind seit 2011 Nationaltrainer in den USA. Wäre es nicht doch reizvoll, den vakanten Posten in England zu übernehmen?
Jürgen Klinsmann: Nein, nein. Ich habe hier einen Vertrag bis 2018 und ziehe das auch durch. Es macht so viel Freude, was wir hier bewegen.