Essen. Joachim Löw will eine historische Leistung vollbringen: Den WM-Titel verteidigen. Die Mannschaft muss und wird erneuert werden. Ein Kommentar.
Einem Elfmeterkiller und RTL-Experten wie Jens Lehmann kann es Joachim Löw einfach nicht recht machen. Dass der Bundestrainer den Welttorhüter Manuel Neuer zum Kapitän befördert hat: Für Lehmann keine gute Wahl, denn als Torwart könne der keinen Einfluss nehmen wie zum Beispiel Khedira im Mittelfeld. Dass Deutschland bei der EM nicht Europameister geworden ist: Für Lehmann ein deutliches Zeichen von „Stillstand seit dem WM-Sieg“.
Gelegentliche Schwächephasen mögen ihn ja auf den ersten Blick bestätigen. Aber er liegt mit seiner Kritik völlig falsch. Das 3:0 war der Auftakt zu einem neuen und mutigen zweijährigen Löw-Projekt. Und bei diesem Projekt geht es um nicht weniger als eine historische Leistung, die er vollbringen möchte.
Er muss die WM-Qualifikation zum Neubeginn nutzen, denn bei der WM in Russland wird Löw gegen den Fluch ankämpfen, dass bisher jede deutsche Mannschaft bei der Titelverteidigung scheiterte. 1958 mit Sepp Herberger in Schweden. 1978 mit Helmut Schön in Argentinien. 1994 mit Berti Vogts in den USA. Und 2018 in Russland?
Erst zweimal hat es eine Nation überhaupt geschafft, einen WM-Titel zu verteidigen: Italien 1934/38 und Brasilien 1958/1962.
Die Mannschaft muss und wird erneuert werden
Stagnation als Weltmeister: Es wäre schön, bekäme Löw das hin. Aber die Mannschaft wird und muss erneuert werden, um den Rücktritt von fünf WM-Helden seit 2014 auszugleichen. Es entsteht ein neuer Generationenvertrag. Brandt, Meyer, Weigl, Sané und Kimmich: Vielversprechende Jungs, die hungrig, aber unerfahren sind, ergänzen die verbliebenen Führungsspieler, die wissen, wie man Titel holt.
Prompt legten beide Generationen gegen Norwegen die Grundlage beim verdienten Auftaktsieg in der WM-Qualifikation: Thomas Müller mit dem 1:0 und 3:0 sowie Joshua Kimmich mit dem 2:0. Wo genau soll diese Stagnation sein?
Dass Löw bei der EM Ineffizienz in der Chancenverwertung feststellte und öffentlich einen Mangel an Erfolgshunger zugab, sollte Fußballfans ein gutes Gefühl geben. Der DFB-Trainer ruht eben nicht auf altem Lorbeer, sondern geht den unbequemen Weg der Modernisierung. Und bei ihm dürfen wir sicher sein: Diesen Sieg gegen mutlose Norweger wird er nicht überbewerten, sondern als das betrachten, was er ist: ein Anfang seines neuen Projekts.
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