Essen. Sommermärchen, WM-Titelgewinn, EM-Halbfinal-Aus: Kapitän Bastian Schweinsteiger blickt auf eine bewegende Karriere in der Nationalelf zurück.
Die Klimaanlagen mussten die Luft, die sie ausstießen, direkt aus der Arktis angesaugt haben. Es konnte einen frösteln im Untergeschoss des Fußball-Stadions in Marseille, was angesichts der Stimmungslage eine durchaus passende Temperierung war. Das Stade Velodrome war Schauplatz des EM-Halbfinals zwischen Deutschland und Frankreich. Es war der Schauplatz einer bitteren deutschen Niederlage. Und nun steht fest, dass es der Schauplatz des letzten Länderspiels von Bastian Schweinsteiger war.
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Die Kühle des Kellers durchschritt er damals geschwind, leerer Blick, leere Hände, keine Trophäe. Im Gegenteil: die Niederlage trug auch seinen Namen. Der Mittelfeldstratege hatte einen Elfmeter verursacht, der dem Spiel die entscheidende Wende zugunsten Frankreichs gab. Beinahe – so schien es – hätte er das Ende damals schon verkündet. Langsam tropften seine Worte zu Sätzen zusammen, die von langen Pausen unterbrochen wurden. Vermutlich war die Entscheidung schon in ihm gereift.
„Es ist richtig, Schluss zu machen“
Offiziell machte er sie erst am Freitag – exakt 22 Tage nach dem geplatzten Traum vom EM-Titel –, als er Bundestrainer Joachim Löw in einem Gespräch bat, ihn nicht mehr für den elitären Zirkel der besten deutschen Fußballer zu nominieren. „Mit dem Gewinn des Weltmeistertitels 2014 ist uns historisch und auch emotional etwas gelungen, was sich in meiner Karriere nicht mehr wiederholen lässt. Deshalb ist es richtig und vernünftig, Schluss zu machen“, begründete der Kapitän drei Tage vor seinem 32. Geburtstag sein schwarz-rot-goldenes Dienstende.
Es ist ein erwarteter Abgang, aber einer der doch schmerzt, weil es plötzlich so endgültig ist. Mit Schweinsteiger geht einer der Heroen, die auf ewig ihren goldumrahmten Platz in der Ahnengalerie des deutschen Fußballs sicher haben werden. Dafür sorgen seine 120 Länderspiele, seine sieben gespielten Turniere, aber vor allem eine magische Nacht in Rio de Janeiro vor zwei Jahren.
Den Titel fest im Visier
Die Bilder vom WM-Finale haben sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Schweinsteiger, geschunden von einer Saison mit Verletzungen, zog nicht einmal im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte in eine epische, 120 Minuten andauernde Schlacht gegen Argentinien. Er wurde getreten, er wurde geschlagen, er fiel hin, aber er stand immer wieder auf. In einem Spiel, das zu einem Drama eskalierte, führte Schweinsteiger kühl Regie, eine blutende Wunde unter dem Auge, den Titel fest im Visier. Als es vollbracht war, weinte er hemmungslos. Mit dem goldenen Pokal des Weltmeisters in den Händen tanzte er später über den Rasen im Maracana-Stadion. Schweinsteiger, einst vom Boulevard spöttisch als „Chefchen“ bezeichnet, weil er angeblich in großen Spielen keine großen Leistungen zustande brächte, war zu einem bestaunten Gladiator geworden.
„Mit Bastian Schweinsteiger verabschiedet sich ein ganz Großer aus der Nationalmannschaft“, sagt Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, angemessen staatstragend. „Ich kann mich einfach nur bei ihm für alles bedanken“, meinte Joachim Löw über seinen Weggefährten und Vertrauten.
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Das Ausscheiden des Kapitäns aus dem nationalen Dienst beherbergt neben all der Nostalgie aber auch Fragen nach der Zukunft. Die der Nationalmannschaft und ihrem neuen Kapitän. Während Schweinsteigers ausgedehnter verletzungsbedingter Absenzen vertrat ihn zumeist Torwart Manuel Neuer. Aber auch dessen Münchner Mannschaftskameraden Jerome Boateng und Thomas Müller kommen als ultimative Führungsfigur in Frage. Und was wird nun aus Schweinsteiger? Seine Vereinskarriere wird er fortführen wollen, doch bei Manchester United soll er nach englischen Medienberichten von Star-Trainer José Mourinho aussortiert worden sein.
Rücktritt besser 2014?
Vielleicht, ja vielleicht hätte er es 2014 schon tun sollen. Wie seine Kollegen Philipp Lahm, wie Miroslav Klose, wie Per Mertesacker. Sie hatten nach dem großen Triumph in Brasilien ihren Rücktritt erklärt. Schweinsteiger aber machte weiter. „Jogi Löw wusste, wieviel mir die EM 2016 bedeutet hat, denn ich wollte diesen Titel unbedingt gewinnen“, sagt Schweinsteiger. Er wollte alles – und bekam einen Abend, der in Kälte endete.
Aber er ging und geht nicht als Verlierer. Sondern als einer, der unvergessliche Erinnerungen geschaffen hat. Dieses eine Spiel hat ihn übergroß gemacht, egal, was danach kam. Warmer Applaus begleitet ihn hinaus.