Wolfsburg. . Nach dem Sensationssieg über das Starensemble um Ronaldo blickt VfL-Trainer Hecking schon voraus. Allofs erwartet schweres Rückspiel in Madrid.

Es ist einigen Gästen, die um weit nach Mitternacht den grün illuminierten Haupteingang der werkseigenen Arena verließen, nicht zu verdenken, dass sie sich teils schwankend zum Parkplatz begaben. Wenn nicht jetzt auf den VfL Wolfsburg anstoßen, wann dann?

Erstaunlich, wer alles dieser Champions-League-Gala beiwohnte: Bald-DFB-Chef Reinhard Grindel, Fußball-Größe Günter Netzer, BVB-Boss Hans-Joachim Watzke, Schalke-Trainer André Breitenreiter und Ohne-Job-Fußballlehrer Thomas Schaaf: Sie haben die 2:0-Überraschung gegen Real Madrid miterlebt, womit sich dem aktuellen Bundesliga-Achten die reale Chance bietet, für die größte Sensation des laufenden Wettbewerbs zu sorgen.

„Wir brauchen noch einen mutigen Auftritt, um das zu schaffen, was uns keiner zugetraut hatte“, erklärte Trainer Dieter Hecking, um irgendwann an diesem entrückten Abend anzumerken: „Ich will ins Halbfinale.“ Gemach, gemach, schien drei Stockwerke tiefer Geschäftsführer Klaus Allofs auszurufen: „Es wird noch eine Menge geschehen. Man denkt besser nicht daran, was noch alles passieren kann.“ Ahnt der Pragmatiker, dass es nächsten Dienstag in Madrid wohl mehr braucht als Wolfsburger Widerspenstigkeit – etwa einen unbeeinflussbaren Schiedsrichter?

Wolfsburg erinnert an Magath-Zeit

Ungeachtet dessen: Den „Sieg für die Ewigkeit“ (Wolfsburger Allgemeine Zeitung) nimmt der Autostadt niemand mehr, die zumindest für einen Tag wieder hell erstrahlte, nachdem Dieselgate so dunkle Wolken über den Standort geschoben hatte. „Es ist eines von den Spielen, das keiner je vergessen wird“, schwärmte Torwart und Kapitän Diego Benaglio, „wir hatten von der ersten bis zur letzten Minute eine Mannschaft auf dem Platz.“ Der geschlossene Auftritt erinnerte beinahe an die besten Zeiten unter Felix Magath, als die Werksspieler 2009 Meister wurden und den damaligen VW-Chef Martin Winterkorn zum größten Fan machten.

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Dessen Ära ist bekanntlich mit dem Abgasskandal Geschichte, weshalb es für die Zukunft nicht schaden kann, dass nun Nachfolger Matthias Müller zu den verzückten Augenzeugen gehörte. „Wir haben die Champions League in der Bundesliga aus den Augen verloren. Deshalb ist es jetzt unser Ziel, uns direkt für die Champions League zu qualifizieren“, scherzte quietschvergnügt der auch nach dem Spiel noch aufgedrehte Mittelfeldspieler Maximilian Arnold, der das 2:0 erzielte (24.), nachdem Ricardo Rodriguez einen Elfmeter zum 1:0 verwandelt hatte (18.). Die Taktik des gezielten Nadelstichs soll auch im Bernabeu zur Anwendung kommen. „Wenn uns Real die Chance gibt, sind wir in der Lage, ein Tor zu machen“, verspricht Hecking. Der 51-Jährige scheint es kaum abwarten zu können, bei den Königlichen sein Meisterstück zu machen.

Naldo als Stabilisator und Integrator

Mit Recht durfte er für sich reklamieren, sein prominentes Gegenüber Zinedine Zidane mit zwei personellen Schachzügen überrumpelt zu haben. Zum einen erwies es sich für die Defensive als goldrichtig, Abwehrchef Naldo nach gerade ausgeheilter Schultereckgelenksprengung wieder einzusetzen, da er als Stabilisator und Integrator voranging. „Wir haben das gemeinsam geschafft“, erklärte der 33-Jährige lächelnd.

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Zum anderen sorgte Bruno Henrique auf Rechtsaußen für das Überraschungsmoment der Offensive: Der 25-Jährige war der Schlüssel, „um durch eine geöffnete Tür zu gehen“ (Hecking). Der Brasilianer wirbelte Widerpa rt Marcelo sogar so gehörig durcheinander, dass seinem Landsmann später im Disput mit Witzbold Arnold („Ich habe ihm gesagt, dass ich auch gerne so schöne Haare hätte wie er“) die Nerven durchgingen. Hecking erhob im Kabinengang lautstark den „Schauspieler“-Vorwurf gegen den komplett aus der Rolle gefallenen Linksverteidiger: „Er kann sich nicht beschweren, wenn er am Ende vom Platz fliegt.“

Draxler spielt überragend

Unter dem Strich stand in Wolfsburg ein kollektiver Kraftakt, den dem VfL-Ensemble kaum noch jemand zugetraut hatte. „Wir dürfen nur nicht den Fehler machen, zu denken, dass wir mit einem Bein weiter sind“, mahnte der überragende Nationalspieler Julian Draxler. Dumm nur, dass bis auf den gesperrten Ex-Schalker kaum einer übers Wochenende die Beine hochlegen kann, weil Samstagabend das Heimspiel gegen den FSV Mainz 05 wartet. „Da kommt die laufstärkste Mannschaft der Liga zu uns, da geht es für uns um die Chance, sich für Europa zu qualifizieren“, sagte Hecking, der sich wohl jede andere Aufgabe gewünscht hätte, als zwischen den Champions-League-Viertelfinals gegen die wohl größten Liga-Quälgeister antreten zu müssen.