Paris. . Unser Redakteur wollte nur über ein Freundschafts-Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland schreiben - und erlebte den Terror-Abend von Paris.
Es wurde Zeit, Licht ins Dunkle zu bringen. Samstagmorgen, die Nacht der Tränen in Frankreichs Hauptstadt war reich an Horrormeldungen und arm an Schlaf. Ich schob die Fenstervorhänge beiseite, öffnete die Flügeltüren und blickte hinaus: Paris war noch da, so viel war klar. Dennoch muss ein Stück Lebenslust dieser Metropole in den letzten Stunden gestorben sein.
„Oui Monsieur“, sagte der Concierge in der Hotel-Lobby gegenüber dem Gare de l’Est im 10. Arrondissement. In Fußweite hiervon entfernt hatten Terroristen am Freitagabend einen blutigen Schleier über die französische Hauptstadt gelegt. „Es ist alles sicher, Sie können herausgehen“, sagte der Concierge. Vor der Tür sah ich, wie für so einen warmen Novembertag viel zu wenige Menschen unterwegs waren.
Alle wollten nur noch nach Hause
Die meisten von ihnen zogen Trolleys hinter sich her. Sie hasteten an den Brasserien und Zeitungsständen vorbei, wollten nach Hause. Ob sie am Abend zuvor auch im Stade de France gewesen waren wie ich? Um ein Fußballspiel zu sehen? Und am Ende froh waren, einer Tragödie entkommen zu sein, die sich am Ende als der schwerste Anschlag auf französischem Boden mit mehr als 120 Opfern herausstellen sollte?
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Dieser Text wird in der Ich-Form geschrieben. Ich mag das überhaupt nicht. Er bedeutet, dass meine Person Teil einer Geschichte ist. Als Sportreporter berichte ich über Fußballer, schaue mir Spiele an, frage Profis hinterher, warum sie Chancen vertan haben und erläutere dem Leser größere Zusammenhänge. Meine Kollegen meinten nun, nach dem 0:2 des Weltmeisters in Frankreich, ich solle einen sehr persönlichen Bericht schreiben. Weil es nicht mehr um Fußball geht, sondern ich unmittelbar die Ereignisse miterlebt habe, die sich als schlimmstes Attentat auf französischem Boden entpuppen sollten.
Der Horror begann mit einem Knall
Und da liegt der Unterschied: Bei den Anschlägen auf Madrid, London oder Charlie Hebdo im Januar war ich betroffen, der Abstand zum Fernseher war aber stellvertretend für eine emotionale Distanz zu den Ereignissen, so furchtbar sie auch waren. Man war ja nicht selbst dabei. Jetzt aber, als die brutalen Täter es unter anderem auf den Sport abgezielt hatten, saß auch ich auf der Pressetribüne – und hatte Angst.
Der Horror begann mit einem Knall und endete nächtens in stiller Trauer: Zehntausende wollten im Vorort Saint-Denis einen vergnüglichen Abend verbringen. Bereits nach 20 Minuten wurde uns Reportern unwohl, als die zweite Explosion das Stadion beben ließ, wie es sonst die Böller einiger Verrückter in Europapokalspielen nicht vermögen. Für die Arbeit haben wir Laptops auf den Tischen vor uns stehen. Soziale Netzwerke wie Twitter laufen als zusätzliche Informationsquelle mit.
Marseillaise als Signal des Stolzes
Diesmal übermittelten sie in Windeseile die Schreckensmeldungen über die Ereignisse vor dem Stadion und im Pariser Stadtkern: Schießereien, Verletzte, Tote. Unweit der Anschlagsorte haben wir uns mit ein paar Kollegen am Abend zuvor noch über die hohen Bierpreise echauffiert. Nun kreisten über uns zur Halbzeit Hubschrauber. Das konnte nun kein normaler Spielbericht mehr werden.
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Auf dem Smartphone trudelten erste Nachrichten der Familie und von Freunden ein: „Pass gut auf dich auf, in Paris ist die Hölle los“, las ich, während meine Finger zittriger wurden und die Buchstaben auf der Tastatur verfehlten. Wir hörten von der Geiselnahme in der Musikhalle Bataclan, erfuhren, dass die Explosionen von Selbstmordattentätern stammten, die sich vor dem Stadion in die Luft gesprengt hatten. Unser Pulsschlag schnellte hoch. Zum Glück hatten die Sicherheitskräfte die Täter daran hindern können, auf die Tribünen zu gelangen. Nicht auszudenken, wie viele Opfer dies bedeutet hätte. Stattdessen machten die Franzosen kurz vor Schluss das 2:0 – die Marseillaise hallte durchs Stade de France. Das Signal: Unser Stolz gegen euer Verbrechen.
Tränen hatten Schminke verwischt
Umso erstaunlicher, wie gefasst und geordnet die Fans, bei denen häufig Tränen die blau-weiß-rote Schminke auf den Wangen verwischt hatten, den Heimweg antraten. Überall Polizei mit Gewehren im Anschlag. Vereinzelt brach Panik aus. Etwa als einige Tausende zurückkehrten und den Rasen in ein Menschenmeer verwandelten. Oder als Zuschauer aufgeregt in die Katakomben eindrangen, wo wir vor einem Aufzug warteten, um zu den Spielern zu gelangen. „Allez, vite“ – rennt, schnell, riefen sie. Ist nun alles vorbei, kommt jetzt der Mann mit der Kalaschnikow, dachte ich bibbernd. Ein knatterndes Motorrad war Schuld an diesem Fehlalarm.
Solch ein Schrecken wirkt nach, wir Journalisten warteten auf der Pressetribüne, die Gespräche mit dem Bundestrainer und den Spielern wurden abgesagt. Wenn es für sie im Stadion am sichersten sei, könne dies auch nur für uns gelten, sagte einer. Trotzdem mussten wir ja irgendwie zurück ins Hotel kommen. Mit einem kleinen Grüppchen Journalisten machte ich mich nach gut eineinhalb Stunden ungewissen Wartens doch auf den Weg zum Bahnhof La Plaine.
Sicher im Hotel
Taxen waren keine mehr da. Fünf, sechs Minuten mit der S-Bahn zu fahren schien mir sicherer zu sein als sieben Kilometer durch die Stadt zu irren, wie es ein Teil der Gruppe vorzog. Schließlich hieß es ja, dass die Terroristen noch auf der Flucht seien und aus fahrenden Autos heraus ihre Opfer erschossen hatten. Aber wie leicht ist es in so einem Moment, klaren Kopf zu behalten? Zum Glück kamen auch die Kollegen gut im Hotel an.
Vom Gare du Nord war es dann nicht mehr weit bis zu meinem Hotel. Ich ließ mich auf mein Bett fallen, kramte mein Handy hervor und beruhigte die Menschen, die sich so um mich gesorgt hatten. Dann schaltete ich den Fernseher ein, erfasste mit feuchten Augen das Ausmaß dieser zerstörerischen Nacht. Es hätte mir schon da klar sein dürfen, dass Paris nicht mehr das gleiche sein konnte.
Terror in Paris: Die Titelseiten der Tageszeitungen