Zürich. . Ronaldo und Messi sind längst die größten Marken des internationalen Fußballgeschäfts. Neuer wirkt da wie ein Gegenentwurf, wie ein bescheidener Held.

Die Geschichte des Fußballs ist ein Epos voller Kuriositäten und Widersprüche, und eine dieser Seltsamkeiten liegt in der Tatsache, dass noch nie ein Torhüter zum Weltfußballer des Jahres gekürt wurde. Schließlich ist dieser Preis, der seit einigen Jahren unter dem Titel „Ballon d’Or“ firmiert, eine Auszeichnung für außergewöhnliche Einzelkönner.

Und Torhüter sind schon aufgrund ihrer Position die größten Individualisten des Spiels. Dass nun mit Manuel Neuer ausgerechnet jener Torhüter seriöse Chancen auf die Auszeichnung hat, der intensiver am Kollektivspiel seiner Mannschaften teilnimmt als seine Kollegen, ist ein Paradoxon. Aber der 28-Jährige hat tatsächlich gute Gewinnchancen.

Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten Lionel Messi und Cristiano Ronaldo ist Neuer noch keine weltweite Marke, kein zum Überirdischen verklärter Weltstar, der von den Plakatwänden aller Metropolen des Planeten herunterlächelt. Das könnte ein Vorteil sein.

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„Neuer wird inzwischen als Gegenentwurf inszeniert, als der bescheidene Held, der Ronaldo und Messi gegenüber steht“, sagt Christoph Bertling vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Neuer ist ein anderer Typ, ein Mannschaftsspieler, damit verkörpert er den Zeitgeist des Spiels besser als die beiden Superhelden, die alle Weltfußballertitel seit 2008 gewonnen haben.

Die Gala in Zürich hat sich zu einer Oscar-Verleihung der Fußballindustrie entwickelt. Die Show 2014 sei „eines der Top-5-Live-Events, die jemals im Web gestreamt wurden“, hat Claude Ruibal, Chef des Sportsegments der Internetplattform Youtube nach der Wahl 2013 verkündet, „es ist unglaublich, dass so ein Event so viele Zuschauer erreicht.“

Jede Menge Selbstinszenierung

Denn es passiert ja nicht viel bei der Gala im Züricher Kongresshaus. Man sieht Fußballer, die Floskeln der Dankbarkeit formulieren, bevor irgendwann Zettel mit den Namen der Gewinner in die Kameras gehalten werden. Passiert nichts Unerwartetes auf der Welt, wird es am Montag trotzdem kein bedeutenderes Medienereignis auf der Erde geben.

Und das liege auch daran, dass die Fifa mit Geschick „einen Hype herstellt, von dem alle Beteiligten profitieren können“, sagt Bertling: „Es entsteht ein Bedürfnis, bei etwas dabei zu sein, das gesellschaftliche Bedeutung hat.“ Spannend sind nicht mehr nur der Sieger, sondern auch die Enttäuschung auf Ronaldos Gesicht, gewinnt er nicht. Und natürlich der Glamour, der entsteht, wenn die glanzvollsten Figuren der Fußballwelt im festlichem Zwirn über einen roten Teppich schlendern.

Die Verleihung des Ballon d’Or ist für den von Korruptionsvorwürfen umrankten Weltverband zur wichtigen Selbstinszenierungsgelegenheit geworden. Doch auch die Vereine profitieren von der zunehmenden Personalisierung, sagt Bertling: „Besonders Klubs, die nach Präsenz im Ausland streben, setzen immer mehr darauf, einzelne Spieler zu profilieren.“ So ist die Wahl zum Weltfußballer längst auch ein Wettbewerb der Vermarktungsindustrie und der großen Ligen.