Kaiserslautern. Viermal Meister, zweimal Pokalsieger, gefühlt Weltmeister 1954: Das ist der 1. FC Kaiserslautern. Nun droht den legendären Roten Teufeln erstmals der Abstieg in die Dritte Liga. Ein Ortsbesuch.
Und dann lässt die ältere Frau den Knobelbecher liegen, steht auf und geht zur Jukebox der Kneipe „Rote Teufel“. Sie schmeißt eine Münze ein, und die Stille ist keine mehr. Es erklingt: „Am Tag, als Conny Kramer starb“.
Der Text geht so: „Wir lagen träumend im Gras, die Köpfe voll verrückter Ideen. Da sagte er, nur zum Spaß, komm lass uns auf die Reise gehen“. Die Frau summt das Lied von Juliane Werding, ein Mann mit silbernem Zopf stimmt ein, die Zigarette gedankenverloren in der Linken: „Doch der Rauch schmeckte bitter, aber Conny sagte mir, was er sah: Ein Meer von Licht und Farben. Wir ahnten nicht, was bald darauf geschah.“
Die Zeit bleibt stehen, nur wenige Meter von Fritz Walters Geburtshaus an der Bismarckstraße, in dem die Rollos wie schwere Augenlider vor den Fenstern hängen. Es ist die Wiege des Wunders von ‘54, der Erfolge des 1. FC Kaiserslautern. Hier schoss der spätere Kapitän mit einem Tennisball auf die Kanalisationsschächte, hier holte er die Bälle viele Male aus dem dreckigen Schlund. 1951 und 1953 wurde er dann Meister mit dem FCK. 1954 Weltmeister. Mit seinem Bruder Ottmar, mit Werner Kohlmeyer, mit Werner Liebrich und Horst Eckel. Alles Lauterer. Es hieß, der FCK sei Weltmeister geworden – mit ein paar Ersatzspielern. Den Kopf voll verrückter Ideen.
Und jetzt? Tabellenletzter der Zweiten Liga. Fünf Punkte fehlen bis zum Relegationsplatz und zum 1. FC Heidenheim. Am vorletzten Spieltag, 6. Mai, trifft der FCK auf den Drittletzten. Um das Endspiel zu verwirklichen, müssen Trainer Michael Frontzeck und seine Spieler punkten, am besten jetzt schon am Freitag beim VfL Bochum.
Eckel warnt vor dem Abstieg
Horst Eckel ist der letzte lebende Weltmeister von 1954. Wenn Kaiserslautern spielt, sitzt er im Fritz-Walter-Stadion. Wenn der FCK auswärts spielt, sitzt er vor dem Fernseher. Immer mit dem Kribbeln im Bein. „Ich vermisse, dass ich nicht mehr spielen kann“, sagt der 86-Jährige. Die Zeiten sind vorbei, als er in der Tennishalle sportlich den Schläger schwang. Genauso wie die glorreichen Zeiten seines Vereins.
Eigentlich mag sich Eckel nicht dazu äußern, aber er tut es doch. „Der Abstieg wäre der Niedergang für den FCK. Ohne Investoren, ohne finanzielle Mittel kommen wir nicht mehr nach oben.“
In der Geschäftsstelle des FCK hat man eine andere Meinung. „Der neue Aufsichtsrat und der Finanzvorstand Michael Klatt haben die richtigen Vorbereitungen getroffen“, sagt Sportvorstand Martin Bader. „Wir arbeiten alle mit dem Ziel, die Klasse zu halten. Das steht über allem, aber im Hintergrund sind Dinge wie die Stadionmiete an die Ligazugehörigkeit angepasst worden.“ Der Eigentümer, die Stadt, befürchtet, dass sich das für die Heim-WM 2006 modernisierte Stadion als Millionengrab entpuppt. Doch Martin Bader, seit Januar im Amt, strahlt Zuversicht aus.
„Hier können Wunder geschehen“
„Die Wahrnehmung ist, dass der Verein wirtschaftlich nicht gut aufgestellt ist, dass das Stadion zu teuer ist“, sagt der 50-Jährige. „Aber in dem Verein stimmt vieles, nur der Tabellenplatz nicht.“
Als noch Barcelona auf den Betze kam
Von Peter Müller
Bakero hieß der Mann. José Maria Bakero. Wer damals im Stadion war, der erinnert sich noch an den Spieler des FC Barcelona – den größten Stimmungskiller in der Geschichte des 1. FC Kaiserslautern.
November 1991, Europapokal der Landesmeister, zweite Runde. Es gibt noch keinen aufgeblasenen Etikettenschwindel namens Champions League, sondern es begegnen sich zwei Meister in zwei Partien. Das Hinspiel hat der von der niederländischen Ikone Johan Cruyff trainierte FC Barcelona gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 2:0 gewonnen, doch im Rückspiel auf dem Betzenberg taumelt der Gigant. Die Roten Teufel nehmen ihn auf die Hörner, führen 3:0, Trainer Kalli Feldkamp sagt hinterher: „Besser kann man nicht spielen.“ In der 90. Minute aber trifft der kleine Bakero per Kopfball. Das Auswärtstor bedeutet den K.o. für den FCK.
Das war damals ein schwerer Schock für die Pfälzer, ein ganz großes Drama. Spieler, Funktionäre und Fans fühlten sich leer, um den Lohn gebracht, vom Schicksal verprügelt.
Im Rückblick war das natürlich Jammern auf höchstem Niveau. Sogar den Abstieg von 1996 hat der 1. FC Kaiserslautern noch gut verkraftet, mit Trainer Otto Rehhagel gelang vor 20 Jahren die Sensation: Deutscher Meister als Aufsteiger – das waren Zeiten.
Und heute? Tristesse. Abstiegskampf in Liga zwei. Existenzangst.
Auch aus der Ferne schaut man hin und drückt die Daumen. Lautern ist Tradition, Lautern ist Legende. Mit jedem Abstieg solcher Klubs verliert der Fußball in Deutschland.
Gespräche mit DFB und DFL stimmen ihn positiv, dass der FCK die Lizenzvorgaben erfüllt – für die Zweite wie für die Dritte Liga. Am 3. Juni votieren die Mitglieder über die Ausgliederung der Profiabteilung. Langfristig soll es wieder nach oben gehen, kurzfristig gar nicht erst nach unten: „Das Hauptaugenmerk aktuell liegt darauf, das Unmögliche möglich zu machen. Und dass auf dem Betzenberg Wunder geschehen können, hat der Verein schon gezeigt“, sagt Bader und erinnert an den Klassenerhalt 2008 am letzten Spieltag. „Man kann in Kaiserslautern Dinge machen, die woanders nicht möglich sind.“
Zum Beispiel ein Stadion auf einem Berg bauen. Wie das Orakel von Delphi steht der Beton-Tempel auf dem Betzenberg. Von hier eröffnet sich der Blick auf die Stadt, die Wohnhäuser, die Bankhäuser, die 100 000 Menschen, die dem FCK scheinbar zu Füßen liegen. Da unten erinnern Statuen an den Zauber der Heim-WM, in einem Park spielen sie sich bewegungslos den Ball zu. Ansonsten ist es in Kaiserslautern wie in vielen anderen deutschen Städten: Arm mischt sich mit Reich, Alt mit Neu. Hinter dem neuen Pfalztheater liegt die historische Pfalzgalerie. Nahe der Altstadt wirbt ein Einkaufspalast um das Geld der Kunden. Aus einer offenen Terrassentür in einer Seitenstraße bellt eine Moderatorenstimme; von der Hauswand bröckelt der Putz.
„Es gibt Statistiken darüber, dass nur ein Viertel der Fans direkt aus Kaiserslautern kommen“, sagt Matthias Gehring. Der 55-Jährige ist Vorsitzender des schwul-lesbischen Fanklubs „Queer Devils“. Seit 1988 malt er sich das Vereinslogo ins Gesicht. „Der FCK lebt von der Region. Wir haben mittlerweile über 400 Fanclubs, und das sogar bundesweit und international.“ Die Faszination beschreibt Gehring so: „Da gibt es einen Schlüsselbegriff: Familie. Ich erlebe immer wieder, wie der einzelne Fan vom Verein mitgenommen wird. Man fühlt sich beim FCK aufgehoben, auch wenn es einem mal nicht gut geht.“ Maßgeblich geprägt habe dies Norbert Thines, der frühere Präsident, der noch heute in Kaiserslautern lebt.
Als die Spieler zum Kaffee kamen
Mit Thines wurde der FCK 1991 Meister, 1990 und 1996 Pokalsieger. Nach dem Abstieg 1996 trat er zurück. Zwei Jahre später ließ der FCK mit Otto Rehhagel noch einmal den Mythos auferstehen: Meister als Aufsteiger 1998. Danach folgten Jahre der Misswirtschaft, Jahre mit Spieler- und Trainerwechseln, zwei Abstiege und ein Aufstieg.
Horst Eckel missfällt diese Schnellebigkeit: „Die Spieler fühlen sich der Tradition nicht mehr verpflichtet.“ Noch 1998 seien die Spieler nach der Meisterschaft zu ihm ins Wohnzimmer zum Kaffeetrinken gekommen. „Ich vermisse die Kontinuität. Dass ein Spieler auch mal länger bei einem Verein bleibt und sich mit ihm identifiziert.“ So wie Weltmeister Fritz Walter. Oder Europameister Hans-Peter Briegel, der sich noch heute für den Verein engagiert. „Ich hätte noch Geld gegeben, um beim FCK zu spielen“, sagt Horst Eckel.
Bekommen hat er eine Nähmaschine von den Pfaff-Werken, ein WM-Geschenk 1954. Der große Tisch steht heute im FCK-Museum. Die Traditionsfabrik hat längst dicht gemacht. Den FCK soll nicht das gleiche Schicksal ereilen. Im Idealfall fiebert Horst Eckel gegen Heidenheim im Stadion mit. „Natürlich kann es der FCK noch schaffen“, sagt er. „Man muss bis zum Schluss kämpfen. Aufgeben zählt nicht.“