Dortmund. Im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle fand am 28. Juli 1962 die Gründungsversammlung der Bundesliga statt. Der damalige BVB-Kapitän Aki Schmidt erinnert sich und sagt: „Bundestrainer Sepp Herberger war der größte Betreiber der Bundesliga.“

Es waren schon goldige Zeiten, damals im Jahr 1962. Die Beatles blitzten mit ihren ersten Probeaufnahmen ab, weil Gitarrenmusik nicht mehr modern sei. In Bochum rollte der erste Wirtschaftswunder-Kadett vom Fließband des neuen Opel-Werkes. Und die Straßen in Deutschland waren abends leer gefegt, wenn die Nation beim Durbridge-Krimi „Das Halstuch“ geschlossen vor dem Fernsehen hockte. Am 28. Juli aber interessierte sich Alfred Schmidt nur für die Sportnachrichten, die es auch schon im Fernsehen gab: Denn an diesem Samstag wurde im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle die Fußball-Bundesliga gegründet – vor genau 50 Jahren.

Schnuckelige Oberliga-Romantik

Alfred Schmidt, den alle nur Aki nannten, war damals 26 – und der Kapitän von Borussia Dortmund. Der BVB zählte mit dem 1. FC Köln und Schalke 04 zu den Großen der Oberliga West, auch Rot-Weiss Essen, der Meidericher SV und Fortuna Düsseldorf konnten mithalten. Während in Italien oder England schon längst eine eingleisige oberste Spielklasse eingeführt worden war, gönnte sich der deutsche Fußball noch die schnuckelige Romantik der Oberligen mit ihren Derbys. Hamborn 07 gegen Meiderich oder Westfalia Herne gegen den SV Sodingen – auch da kamen mehr als 20 000 Zuschauer. „Und wir bei Borussia hatten ohnehin immer die Hütte voll“, lacht Aki Schmidt.

Für den großen Fußball waren die Oberligen freilich zu klein geworden: Stars wie Helmut Haller, Horst Szymaniak, Albert Brülls oder Karl-Heinz Schnellinger zog es früher oder später nach Italien – da gab es viel mehr zu verdienen. Und die Nationalmannschaft war bei der WM in Chile früh gescheitert. Bundestrainer Sepp Herberger sah den Ausweg darin, auch in Deutschland die besten Klubs in einer Liga zusammenzuführen. „Sepp Herberger war der größte Betreiber der Bundesliga“, erinnert sich Aki Schmidt, der zu Herbergers Auswahl zählte: „Er hat mir schon Jahre vorher gesagt: Aki, wir müssen leistungsstärker werden. Und das kriegen wir nur mit einer eingleisigen Profiliga hin.“ Also kam beim 14. DFB-Bundestag an diesem 28. Juli 1962 in Dortmund der Fortschritt auf die Tagesordnung. Unter Punkt sieben („Anträge“) hieß es: „Der Bundestag möge beschließen, vom 1. August 1963 an eine zentrale Spielklasse unter der Leitung des DFB einzuführen.“

Vor dem Training noch eine Schicht bei Hoesch

Doch es war eine schwere Geburt, die die Bundesliga im Goldsaal erlebte – unter den 129 Delegierten aus den Landesverbänden gab es große Vorbehalte. Zum einen, wie Schmidt weiß, „von Vereinen, die Angst hatten, danach zweitklassig zu werden“. Und vor allem auch von denjenigen, die nicht wussten, wie sie das Profitum bezahlen sollten. „Unser Gehalt musste von den Zuschauer-Einnahmen aufgebracht werden. Sponsoren gab es noch nicht“, sagt Aki Schmidt.

Der BVB-Kapitän war nicht nur BVB-Kapitän – er war auch Arbeiter bei Hoesch. Ungefähr so, als wenn, sagen wir mal, Schalkes Kapitän Benedikt Höwedes heute vor dem Training noch eine Schicht bei Thyssen-Krupp hinlegen würde. „Wir waren Vertragsspieler“, erklärt Aki Schmidt, „das heißt, wir mussten zwingend eine Arbeitsstelle haben.“ Diese Verpflichtung sollte durchs Profitum abgeschafft werden – aber die Vereine fürchteten um ihre steuerlichen Vorteile.

Mit Aki am Borsigplatz

Diese Woche war ein Borusse am Borsigplatz. Das kommt nicht oft vor, „der Verein ist hier nicht sichtbar”, ...
Diese Woche war ein Borusse am Borsigplatz. Das kommt nicht oft vor, „der Verein ist hier nicht sichtbar”, ... © WAZ / Jakob Studnar
... bedauert Mike Ndambuki, der im Viertel der Quartiersmanager ist – und es hat auch diesmal kaum einer gemerkt. Denn der Borusse kam allein, ...
... bedauert Mike Ndambuki, der im Viertel der Quartiersmanager ist – und es hat auch diesmal kaum einer gemerkt. Denn der Borusse kam allein, ... © WAZ / Jakob Studnar
... er kam im Regen, und seine schwarz-goldenen Zeiten liegen lange zurück.
 Aber Aki Schmidt (72) weiß noch, ...
... er kam im Regen, und seine schwarz-goldenen Zeiten liegen lange zurück. Aber Aki Schmidt (72) weiß noch, ... © WAZ / Jakob Studnar
... wie es ist, wenn man als Sieger auf diesen Platz kommt, mit einem Pokal in der Hand: „Unglaublich, ganz unglaublich. Das Größte, was du je erlebt hast.” Sie haben eine Gedenkplatte ausgelegt zu seinen Ehren ...
... wie es ist, wenn man als Sieger auf diesen Platz kommt, mit einem Pokal in der Hand: „Unglaublich, ganz unglaublich. Das Größte, was du je erlebt hast.” Sie haben eine Gedenkplatte ausgelegt zu seinen Ehren ... © WAZ / Jakob Studnar
... auf der „Route des Sports”; Hoppi Kurrat „liegt” auch hier und Lars Ricken, aber auf der Tafel von Aki klebt Kaugummi, „muss mal einer saubermachen”. Überhaupt hat er sich verändert, ...
... auf der „Route des Sports”; Hoppi Kurrat „liegt” auch hier und Lars Ricken, aber auf der Tafel von Aki klebt Kaugummi, „muss mal einer saubermachen”. Überhaupt hat er sich verändert, ... © WAZ / Jakob Studnar
... sein Borsigplatz.  Hier ist es passiert, ...
... sein Borsigplatz. Hier ist es passiert, ... © WAZ / Jakob Studnar
... dass 18 junge Männer aus der Gemeinde Heilige Dreifaltigkeit den Ballspielverein Borussia Dortmund gründeten, am 19. Dezember 1909. Es geschah im „Wildschütz” und gegen den Willen ihres Kaplans; der wollte lieber turnen. Heute ist Vikar Ansbert Junk S04-Fan.
... dass 18 junge Männer aus der Gemeinde Heilige Dreifaltigkeit den Ballspielverein Borussia Dortmund gründeten, am 19. Dezember 1909. Es geschah im „Wildschütz” und gegen den Willen ihres Kaplans; der wollte lieber turnen. Heute ist Vikar Ansbert Junk S04-Fan. © WAZ / Jakob Studnar
Annette Kritzler, die sonst Fans und Fremde durch dieses Viertel führt, und nun hinaufzeigt zu den Fenstern im ersten Stock, wo die Jungs einst saßen: „Ob die, die da wohnen, wissen, wo sie da wohnen?” Das Haus stammt aus der Gründerzeit, ...
Annette Kritzler, die sonst Fans und Fremde durch dieses Viertel führt, und nun hinaufzeigt zu den Fenstern im ersten Stock, wo die Jungs einst saßen: „Ob die, die da wohnen, wissen, wo sie da wohnen?” Das Haus stammt aus der Gründerzeit, ... © WAZ / Jakob Studnar
... natürlich, wurde kürzlich zwangsversteigert und danach rosa getüncht vom Neffen Hoppi Kurrats, der auch mal ein Borusse war.
... natürlich, wurde kürzlich zwangsversteigert und danach rosa getüncht vom Neffen Hoppi Kurrats, der auch mal ein Borusse war. © WAZ / Jakob Studnar
Im Erdgeschoss gibt's „Pommes Rot-Weiß”.
Im Erdgeschoss gibt's „Pommes Rot-Weiß”. © WAZ / Jakob Studnar
Draußen hängen jetzt Kaugummis im Automaten, drinnen Trikots an der Wand.
Draußen hängen jetzt Kaugummis im Automaten, drinnen Trikots an der Wand. © WAZ / Jakob Studnar
Die Veränderungen sind allgegenwärtig: In der früheren „Sportlerklause” des BVB-Stürmers August Lenz haben sie in den 90er-Jahren ein „Fanhouse” eingerichtet, bloß sind die Fans nicht gekommen. Heute heißt die Kneipe „Liberty”, ist ein Tanzcafé, nur das BVB-Logo hängt noch.
Die Veränderungen sind allgegenwärtig: In der früheren „Sportlerklause” des BVB-Stürmers August Lenz haben sie in den 90er-Jahren ein „Fanhouse” eingerichtet, bloß sind die Fans nicht gekommen. Heute heißt die Kneipe „Liberty”, ist ein Tanzcafé, nur das BVB-Logo hängt noch. © WAZ / Jakob Studnar
Und selbst die Dreifaltigkeits-Kirche, Keimzelle der Fußball-Idee, ist von der Schließung bedroht. Nur noch 80 Leute in der Messe, aber der Geist des BVB schwebt noch über ihnen: Als im letzten Jahr der neue Vikar neben die Kirche zog, kränzten die Gläubigen seine Tür ...
Und selbst die Dreifaltigkeits-Kirche, Keimzelle der Fußball-Idee, ist von der Schließung bedroht. Nur noch 80 Leute in der Messe, aber der Geist des BVB schwebt noch über ihnen: Als im letzten Jahr der neue Vikar neben die Kirche zog, kränzten die Gläubigen seine Tür ... © WAZ / Jakob Studnar
... mit schwarz-gelben Schals. „Sie wollten ihn zum rechten Glauben führen”, sagt der Gemeindereferent.
... mit schwarz-gelben Schals. „Sie wollten ihn zum rechten Glauben führen”, sagt der Gemeindereferent. © WAZ / Jakob Studnar
Ansbert Junk ist Schalker. Aki Schmidt ist entsetzt: „Das dürfen Sie nie tun, den Leuten das sagen!”
Ansbert Junk ist Schalker. Aki Schmidt ist entsetzt: „Das dürfen Sie nie tun, den Leuten das sagen!” © WAZ / Jakob Studnar
Nun hat Junk ja tapfer ein Berlin-Plakat in den Schaukasten gehängt und in eine Ecke neben den Altar einen kleinen Engel gestellt, ...
Nun hat Junk ja tapfer ein Berlin-Plakat in den Schaukasten gehängt und in eine Ecke neben den Altar einen kleinen Engel gestellt, ... © WAZ / Jakob Studnar
mit einem Fanschal um den Hals. Man kann dort für 25 Cent eine Kerze anzünden, „für Borussia und für alle Menschen”.
mit einem Fanschal um den Hals. Man kann dort für 25 Cent eine Kerze anzünden, „für Borussia und für alle Menschen”. © WAZ / Jakob Studnar
Aki Schmidt, der eben noch sinnierte, „welcher Gott” ihm wohl das Ballgefühl gab, eilt zum Betstuhl, geht in die Knie und schickt ein Stoßgebet an den (Fußball?-)Gott: für einen Sieg im Pokalfinale.
Aki Schmidt, der eben noch sinnierte, „welcher Gott” ihm wohl das Ballgefühl gab, eilt zum Betstuhl, geht in die Knie und schickt ein Stoßgebet an den (Fußball?-)Gott: für einen Sieg im Pokalfinale. © WAZ / Jakob Studnar
Falls der es erhört, „würden wir am Borsigplatz uns sehr freuen”, sagt Mike Ndambuki. „Dann kommt der verlorene Sohn mal wieder nach Hause.” Und nicht nur Aki Schmidt muss dort Autogramm schreiben ... Fotos: Jakob Studnar, WAZ
Falls der es erhört, „würden wir am Borsigplatz uns sehr freuen”, sagt Mike Ndambuki. „Dann kommt der verlorene Sohn mal wieder nach Hause.” Und nicht nur Aki Schmidt muss dort Autogramm schreiben ... Fotos: Jakob Studnar, WAZ © WAZ / Jakob Studnar
1/19

Nötig war für die Einführung der Bundesliga eine Zwei-Drittel-Mehrheit, doch die stand im Goldsaal lange auf der Kippe. Dass die Delegierten einlenkten, sei „ganz besonders“ Hermann Neuberger zu verdanken gewesen, dem Vertreter des Saarlandes und späteren DFB-Präsidenten. Neuberger und Kölns Präsident Franz Kremer setzten sich vehement für die Bundesliga ein. Und um 17.44 Uhr war das Kind dann endlich geboren: Mit 103:26 Stimmen war die Bundesliga beschlossen. Zunächst abgeschmettert wurde indes die Einführung des Profitums, als Kompromiss wurde der Lizenzspieler mit 91:37 Stimmen in die Statuten aufgenommen. Eine Mischung zwischen Vertragsspieler und Profi: Es gab für die Fußballer fortan keine Verpflichtung mehr, nebenbei noch weiter arbeiten zu gehen.

Bis zu 3500 DM im Monat

Aki Schmidt ist Hoesch trotzdem treu geblieben – er wollte nicht alles auf die Karte Fußball setzen: „Du kriegst einen Tritt vors Knie, das Kreuzband reißt und die Karriere ist vorbei – so schnell ging das damals.“ Bezahlt wurde er beim BVB aber wie ein Profi, das war ganz genau geregelt. Einfache Bundesligaspieler bekamen 1200 DM im Monat, nach dem ersten Länderspiel waren es 1800 DM, nach dem zehnten 2500 DM. „Ich hatte Glück“, lacht Aki Schmidt, „denn ich hatte 25 Länderspiele und bekam 3500 DM im Monat.“ Vor der Einführung der Bundesliga durfte man nicht mehr als 420 DM im Monat verdienen, „plus Prämien“, versteht sich. 500 Mark für einen Heimsieg zahlte der BVB, 750 für einen Auswärtssieg. Ein Opel Kadett, einfache Ausführung, hat damals 5066 DM gekostet.

Der Kadett rollt längst nicht mehr vom Fließband, die Beatles und das Wirtschaftswunder gibt es auch nicht mehr, und Opel – nun ja. Die Bundesliga aber geht am 24. August in ihre 50. Saison.