Bremen. Die sterile Atmosphäre beim 30. Titel behagt nicht mal den Bayern-Stars. Das Pokalfinale soll der nächste Schritt zu einem großen Jahr werden.
Eine kleine Menschenansammlung harrte zur Geisterstunde noch vor dem Ausgang der Ostkurve des Bremer Weserstadions aus. Das gute Dutzend Augen- und Ohrenzeugen im Dämmerlicht trug Utensilien des FC Bayern, als ihnen Thomas Müller, Leon Goretzka und Manuel Neuer beim Einstieg in den hinteren Mannschaftsbus grinsend zuwinkten. Mit gebührendem Abstand versteht sich. Dann schlossen die Türen, und exakt um 23.52 Uhr eskortierte die Polizei die beiden mit dem Mia-san-Mia-Motto bedruckten Busse des immer gleichen deutschen Fußballmeisters auf den Osterdeich; Fahrtziel Atlantic Hotel am Fuße des Bremer Marktplatzes, wo die Münchener Stars vor dem Rückflug noch eine Nacht verbrachten.
Ein paar Bengalos und etwas Gegröle
Zwei Bayern-Fans fanden die skurrile Szenerie zu leblos für eine solche Meisterschaft, Nummer 30 in der langen Geschichte, die achte in Folge: Sie begaben sich 100 Meter weiter und zündeten ein Bengalo an. Kaum stieg roter Rauch empor, brausten Einsatzwagen der Polizei heran, um die Personalien derjenigen festzuhalten, die einen Anflug von Überschwang gewagt hatten.
Die „Freude pur“, von der Trainer Hansi Flick zuvor in einer Videopressekonferenz drinnen berichtet hatte, war draußen eingefangen. Da half es nicht, dass der virenfreie Siegertrupp nach dem 1:0-Arbeitssieg beim tapferen SV Werder durch den 31. Saisontreffer seines Torgaranten Robert Lewandowski (43.) bald Gesänge aus der Kabine über die Sozialen Netzwerke verbreitete. Der virtuellen Welt wurde mit dem Campeones-Gegröle vorgegaukelt, man habe sich richtig freut. Doch dem war nicht so, wie Lewandowski zugab: „Wir sind Meister, aber ohne Fans zu feiern, ist kompliziert.“
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Flick räumte ein: „Hoffentlich bleibt das die einzige Saison, die so gespielt wird. Die Atmosphäre, das Adrenalin durch die Stimmung fehlt. Man hat sich irgendwie dran gewöhnt, aber es ist nicht das, was wir unter Fußball verstehen.“ Fällt die Meisterparty so surreal wie im Geisterspielbetrieb aus, kommt sich ein Münchener vor, als würde ihm mitten auf dem Oktoberfest die Lederhose ausgezogen.
Whisky-Cola mit Hermann Gerland
Schon der Abgang aus dem verwaisten Wohnzimmer des einstigen Erzrivalen hatte so unterkühlt ausgesehen, dass auch Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge nicht in Frohsinn verfiel. Es sei eine „komische Meisterschaft“ in einem leeren Stadion. Dass die Spieler sich T-Shirts mit der Zahl „Acht“ überstreiften und eine La-Ola-Welle für den Vorstand veranstalteten, musste reichen. Man werde am Samstag eine kleine Meisterfeier im Stadion „im ganz kleinen Kreis machen, leider auch ohne Frauen, weil das medizinische Konzept der DFL das nicht so erlaubt“, verriet Rummenigge.
Der FC Bayern ist wieder oben, obwohl nach zehn Spieltagen (und einem 1:5 bei Eintracht Frankfurt) vier Punkte, später sogar sieben Zähler Rückstand auf die Spitze auf eine Schwächeperiode deuteten. Da war Flick allerdings bereits mittendrin, den von Vorgänger Niko Kovac zersprengten Haufen wieder zu vereinen, so dass die Konkurrenz bald erneut nur hinterherhechelte.
Flick: „Unser Ziel ist der Pokal“
Rummenigge urteilte hart, aber fair über die Veränderung im Bayern-Universum: „Dann hat Hansi die Mannschaft übernommen, seitdem spielen wir wirklich attraktiven und erfolgreichen Fußball.“ Flick sagte, er sei „Niko sehr dankbar, dass er auf die Idee gekommen ist, mich nach München zu holen“. Bereitwillig erzählte der 2014er- Weltmeister-Assistent von Joachim Löw davon, wie er die ersten Meistermeriten in der Cheftrainerrolle zu begehen gedenke. Der ewige Hermann Gerland habe ihn genötigt, einen Whisky zu genießen. „Deswegen werde ich mit ihm eine Bourbon-Cola-Light trinken.“ Ist ja auch mal was anderes als diese immer gleichen Weißbierduschen.
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Die Bayern haben jetzt entspannte Aufgaben vor sich: gegen Freiburg und bei der Schalen-Übergabe in Wolfsburg, könnte es darum gehen, an die 101 Treffer aus dem Rekordjahr 1972 zu kommen. Aber Flick interessiert die Torjagd weniger als die Trophäenjagd: „Unser Ziel ist der Pokal.“
Champions League in Lissabon
Am 4. Juli geht es in Berlin gegen Bayer Leverkusen ums Double. Dann kommt im August noch der Wettbewerb, an dem die globale Marke FC Bayern wirklich gemessen wird: die Champions League in Lissabon. „Da müssen wir auf den Punkt topfit sein“, forderte der Trainer und sagte vorsorglich: „Die Champions League kann man nicht planen, es wird immer nur ein Spiel sein.“ Sollten seine Bayern dort jedoch knappe Erfolge wie am Dienstag einfahren, der Spaßfaktor dürfte im Anschluss ungleich größer ausfallen als noch in Bremen.