Essen. Der FC Bayern steht vor der achten Meisterschaft in Folge. Das nervt den, der sich nur für den Titelkampf interessiert. Eine Betrachtung.

Wann genau Sepp Herberger diesen Satz sagte, ist unklar. Aber die Worte könnten zu der Zeit gefallen sein, als das Fernsehen plötzlich in Farbe sendete, die SPD bei Bundestagswahlen noch prozentuale Zustimmung über dem Temperaturen-Mittelwert deutscher Sommer hatte und die Bundesliga in ihren Kinderschuhen steckte. Herberger, legendärer Bundestrainer der 54er Weltmeister-Elf, erklärte einst den Erfolg des Fußballs damit, dass die Leute ins Stadion kämen, „weil sie nicht wissen, wie es ausgeht“. Heute wissen wir es besser.

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Heute, das ist die Endphase der 57. Bundesligasaison, wenn das Spiel in der Regel zu Gunsten des FC Bayern ausgeht. Sofern Trainer Hansi Flick und seiner Mannschaft nicht noch aus unerfindlichen Gründen der Himmel auf den Kopf fällt, werden die Münchener an diesem Dienstag (20.30 Uhr/Sky) bei Werder Bremen zum achten Mal in Folge Deutscher Meister. Oder spätestens am Wochenende gegen den SC Freiburg.

FC Bayern: Keine Meisterfeier auf dem Marienplatz

Auf ein paar Tage kommt es bei sieben Punkten Vorsprung auf den BVB ja nicht mehr an. Zumal der Tag der rot-weißen Glückseligkeit unbedeutend für Party-Planungen ist: Wegen der Corona-Krise darf Kapitän Manuel Neuer die Schale diesmal nicht auf dem Rathausbalkon am Marienplatz hochreißen. Was wohl auch nicht mehr Massen von Fans verärgern wird: In den letzten Jahren war an verkaufsoffenen Sonntagen in Münchens Innenstadt mehr los als bei der x-ten Meisterfeier.

Anlässlich der zu erwartenden Meister-Entscheidung dürften dem FC Bayern weniger gesonnene Fußballanhänger wieder das Klagelied auf die Monotonie und Spannungsarmut des Spielbetriebs anstimmen. Langweilige Bundesliga, immer der gleiche Champion. Korrekt, das schmeckt vielen so gut wie drei Kugeln Knoblauch-Nuss-Eis. Denn seit 2013 ist es faktisch so, dass Bayern immer Meister – und gefühlt, dass Borussia Dortmund immer Zweiter wird. Wer die übrigen Champions-League-Plätze belegt, juckt eigentlich nur die jeweiligen Fans.

Titelkampf nicht spannend - Entwicklung von Talenten wie Sancho und Havertz aber schon

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Von Christoph Enders, Michael Ryberg, Friedhelm Thelen, Ralf Pollmann und Andreas Nohlen

Gut, der Ausgang der Meisterschaft hat nicht mehr den Effekt der Durbridge-Straßenfeger. Wer sich jenseits der Bayern-Hegemonie für Fußball interessiert, wird aber sagen: Na, und? Die Bundesliga verspricht in anderen Tabellenregionen noch immer Spannung. Man kann im Stadion die Entwicklung von Talenten wie Dortmunds Jadon Sancho und Leverkusens Kai Havertz begleiten, die womöglich eines Tages und – leider sehr wahrscheinlich – bei einem anderen Klub zu den besten Spielern der Welt auf ihren Positionen gehören werden.

Im Fußball steckt sportlich weit mehr als nur das Rennen um den Titel. Ist es nicht genauso aufregend, wenn der Lieblingsverein überraschend in den Europapokal einzieht? Oder er sich am letzten Spieltag doch noch vom Abstiegsplatz zum rettenden Ufer aufschwingt? Von der ersten bis zur untersten Liga: Fußball ist ein Stück Kulturgut. Er ist das „Wir gegen die anderen“, der Wettstreit mit dem Erzrivalen – und trotzdem die Chance, Menschen über 90 Spielminuten hinaus in Euphorie, aber auch Frust zu vereinen. Jeder Fan verbindet emotionale Momente mit seinem Klub – selbst wenn es wichtigere Erfahrungen im Leben gibt.

Fußball zur Sportschau-Uhrzeit nicht mehr Thema Nummer eins

Gleichwohl müssen sich die mächtigsten Bosse des globalen Wirtschaftsunternehmens Bundesliga Gedanken machen. Unter Umständen mag der Eindruck wegen der Corona-Einschränkungen mit Geisterkulissen in den Stadien gefärbt sein oder sogar täuschen: Aber aktuell scheint der Fußball samstags zu heiligen Sportschau-Uhrzeiten in Wohnzimmern und Kneipen, die damals noch unter „Goldene Schüpp“ liefen und heute „Flotte Theke“ heißen, nicht mehr das erste Gesprächsthema zu sein.

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Die Zerstückelung der Spieltage kann dazu beitragen wie Bayerns Titelsträhne. Wobei: In der Geschichte der Bundesliga gab es kaum Spielzeiten mit mehr als zwei, drei Favoriten. Umso schöner, wenn der 1. FC Kaiserslautern (1998) oder der VfL Wolfsburg (2009), wenn auch als Retortenklub verschrien, Meister wurden. Doch der Wettbewerb um den größten Erfolg und die größte Aufmerksamkeit war und ist wie in den anderen europäischen Topligen nur wenigen Vereinen vorbehalten. Ob Barcelona und Madrid in Spanien, Turin in Italien oder Paris in Frankreich. Einzig der Blick nach England macht neidisch. Denn trotz aktueller Dominanz des FC Liverpool gibt es dort in der Regel fünf Teams, die um die Meisterschaft spielen. Das bedeutet für die ganze Saison: 20 titelrelevante Topspiele, während es in der Bundesliga zwischen München, Dortmund und Leipzig nur sechs gibt.

Für Rummenigge und den FC Bayern zählt nur das internationale Geschäft

Weil die wirtschaftlichen Gesetze der ganzen Branche aus der Premier League stammen, dürfte es in der Bundesliga schwierig werden, den Titelkampf zu beleben. Eine Öffnung des Systems für Investoren infolge einer abgeschafften 50+1-Regel, eine Gehaltsobergrenze oder eine Gleichverteilung der TV-Gelder – solche Gedankenspiele rufen bei Vereinen und Fans Magengrummeln hervor. Aber an nationale Konkurrenz denkt beim sportlich wie ökonomisch enteilten FC Bayern auch niemand mehr. Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge richtet den Fokus im Zeitalter absurder Gehälter für die größten Stars auf den internationalen Wettbewerb. Der jetzt noch Champions League, in nicht ferner Zukunft vielleicht Super League heißt: „Die Bundesliga ist ein gutes Produkt, aber es ist entscheidend, wie wir uns international präsentieren.“

Mag sein, dass dem FC Bayern irgendwann die Bundesliga zu klein ist. So ließe sich vielleicht verhindern, dass Schalke-Fans eines Tages ihre BVB-Rivalen damit aufziehen könnten, womit sie selbst seit 1958 drangsaliert werden: Ein Leben lang keine Schale in der Hand. Auch wenn heutzutage mit Bayern-Beteiligung der Sieger festzustehen scheint: Welches Spiel man sich anschaut, entscheidet jeder selbst.