Berlin/Essen. 22 Seiten Abrechnung: Jürgen Klinsmann lässt in einem Protokoll kein gutes Haar an Hertha BSC. Vor allem Michael Preetz wird hart attackiert.
Ganze 76 Tage war Jürgen Klinsmann Trainer bei Hertha BSC, ehe der 55-Jährige beim Fußball-Bundesligisten am 11. Februar entnervt das Handtuch warf und via Facebook-Kommentar seinen Posten bei den Berlinern zurückgab. Gerade mal bei zehn Spielen saß der Weltmeister von 1990 auf der Hertha-Bank, ehe er den kompletten Verein mit seinem Rücktritt überrumpelte.
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Inzwischen hat Alexander Nouri die Verantwortung bei der strauchelnden Hertha übernommen, doch das Thema Klinsmann ist in der Hauptstadt noch lange nicht abgehakt. Klinsmann ließ seine Arbeit bei Hertha BSC offenbar dokumentieren, unter dem Titel „Zusammenfassung: Zehn Wochen Hertha BSC“ ist ein geheimes Tagebuch entstanden, mit dem Investor Lars Windhorst auf dem Laufenden gehalten werden sollte und das nun in der Sport-Bild nahezu ungekürzt veröffentlicht wurde.
Klinsmann wirft Hertha BSC und Preetz Lügenkultur vor
Auf 22 DIN-A4-Seiten werden dabei detailliert Klinsmann Wirken und Erkenntnisse beschrieben. Zusammengefasst lässt sich sagen: Es ist eine einzige Abrechnung mit Hertha BSC und vor allem mit Michael Preetz.
Klinsmann wirft dem Sportdirektor vor: „Es gibt eine Lügenkultur, die auch das Vertrauensverhältnis der Spieler mit Preetz zerstört hat.“ Weiter wird behauptet: „Es fehlt jegliches Charisma in der Geschäftsleitung.“ Klinsmann, das wird klar, habe versucht, Ralf Rangnick nach Berlin zu lotsen – dieser habe sich aber wegen Michael Preetz nicht bereit erklärt, an dem „spannenden Projekt“ mitzuwirken.
Mit sich selbst ist Klinsmann sehr zufrieden
Mit sich selbst ist Klinsmann übrigens sehr zufrieden. In dem Protokoll wird festgehalten: „Der Klub wäre ohne einen Trainerwechsel Ende November direkt in die 2. Liga abgestiegen.“ Kurz vor Weihnachten, vor dem sechstätigen Weihnachtsurlaub in Kalifornien, habe sich der ehemalige Bundestrainer erstmals Gedanken gemacht, ob die Fortführung seiner Arbeit in Berlin noch Sinn mache.
Anfang Februar kam es dann zum Knall, Klinsmann trat zurück und wird in Zukunft auch nicht mehr seinen Posten im Aufsichtsrat wahrnehmen. Der Hertha gab er in seinem Tagebuch noch einige Tipps mit. Man solle mit Alexander Nouri als Trainer die Saison zu Ende bringen. Und härteste Formulierung: „Die Geschäftsleitung (Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer, d. Red.) muss sofort komplett ausgetauscht werden.“ Sonst würden die vielversprechenden Neuzugänge sich auch zu „Durchschnittsspielern“ entwickeln. Weil es so üblich sei, dass sich Spieler dem Verein anpassen würden und nicht umgekehrt.
Einige Auszüge mit markanten Stellen aus dem Protokoll:
8. November 2019: Windhorst informiert Gegenbauer, dass er Klinsmann als seinen Berater zur Hertha hole: „Der Club steht unter Schock, es gibt keinerlei Willkommenskultur.“
24. November 2019: Hertha verliert in Augsburg 0:4. „Man spürt, dass der Verein komplett am Boden ist. Hektisch und nervös.“
25. November 2019: „Anruf Klinsmann bei Ralf Rangnick, der bereits zwei Mal (Hoffenheim und Leipzig) solche Aufgaben erfolgreich umgesetzt hat. Rangnick teilt unmissverständlich mit, dass er das Projekt Berlin spannend findet, in einer Konstellation mit Michael Preetz als sein Vorgesetzter jedoch niemals kommen würde.“
28. November 2019: Erstes Hertha-Spiel mit Klinsmann als Trainer (1:2): „Präsident Gegenbauer verbietet, dass Lars Windhorst nach dem Spiel in die Kabine kommen kann, um der Mannschaft HALLO zu sagen.“
29. November 2019: Sportliche Bestandsaufnahme von Klinsmann: „Mannschaft in einem katastrophalen körperlichen wie mentalen Zustand. Die Planung der Vorbereitung auf die Rückrunde, für die Michael Preetz verantwortlich ist, ist eine Katastrophe.“
22. Dezember 2019: Jürgen Klinsmann fliegt für sechs Tage über Weihnachten nach Kalifornien. Nach einer Analyse mit Werner Gegenbauer wird in dem Protokoll vermerkt: „Erste Gedanken, ob eine Rückkehr überhaupt Sinn macht.“
2. Januar 2020: Die Hertha fliegt ins Trainingslager nach Florida. Erstes Ultimatum von Jürgen Klinsmann an Verein: „Wenn wir hier nicht weiterkommen, kann ich auch von hier aus nach Los Angeles fliegen anstatt nach Berlin.“
19. Januar 2020: Hertha verliert gegen die Bayern mit 0:4. „Es gibt keinerlei Lobbyarbeit des Vereins bei den Schiedsrichtern, nur niveaulose Beleidigungen während des Spieles von der Bank von Michael Preetz. Nach dem Spiel kommt ein völlig übel gelaunter Präsident Gegenbauer in die Kabine und überträgt die schlechte Laune auf Spieler und Trainerstab. Völlig unakzeptabel.“
4. Februar 2020: Hertha verliert im Pokal bei Schalke 04, es kommt zum Rassismus-Eklat um Jordan Torunarigha. Klinsmann ist offenbar über den fehlenden Rückhalt für seinen Spieler entsetzt: „Kein einziges Mitglied der Geschäftsleitung, die ja immer komplett im Stadion vertreten ist, stellt sich der Rassismus Thematik nach dem Spiel.“
12. Februar 2020: Der Abschied: „Dienstagvormittag: Klinsmann platzt nach einer fast schlaflosen Nacht der Kragen und er verabschiedet sich als Trainer von Hertha BSC.“
15. Februar 2020: Klinsmanns Fazit in Stichpunkten, unter anderem: „Der Klub wäre ohne den Trainerwechsel Ende November direkt in die 2. Liga abgestiegen.“ Und: „Jahrelange katastrophale Versäumnisse von Michael Preetz in allen Bereichen, die mit Leistungssport zusammenhängen.“ Plus: „Es gibt eine Lügenkultur, die auch das Vertrauensverhältnis der Spieler mit Preetz zerstört hat.“ Mit seinem Fazit: „Die Geschäftsleitung muss sofort komplett ausgetauscht werden.“
Jürgen Klinsmann und Hertha BSC – es scheint so, als hätte die Schlammschlacht gerade erst so richtig begonnen. (fs)