Essen. Die Bundesliga-Schiedsrichter haben wieder keine einheitliche Linie gezeigt. Ein ehemaliger Kollege stellt klare Forderungen.

„Es ist echt schwer, die Beherrschung dauerhaft zu behalten.“ Florian Kohfeldt, Trainer von Werder Bremen, hat mit diesem Satz die hitzige Debatte um die Handspiel-Auslegung in der Bundesliga auf den Punkt gebracht.

Wie groß die Problematik um die korrekte Auslegung eines strafbaren Handspiels ist, zeigen vier Fälle vom 32. Spieltag am Wochenende.

Tatort Berlin: 36 Minuten sind im Spiel zwischen Hertha BSC und dem VfB Stuttgart gespielt, als Hertha-Abwehrspieler Karim Rekik kurz die Sportarten verwechselt und zum Volleyball übergeht. Einen Kopfball von VfB-Angreifer Nicolas Gonzalez nach einer Ecke schmettert der Niederländer regelrecht aus dem Strafraum. „Das war ein absichtliches Handspiel. Er hat die Hände in Kopfhöhe. Da gibt es keine zwei Meinungen“, sagt Hans-Jürgen Weber (63), ehemaliger Bundesliga-Schiedsrichter aus Essen, im Gespräch mit dieser Zeitung. Nur: Schiedsrichter Daniel Schlager ließ das Spiel weiterlaufen, und Video-Assistent Günter Perl meldete sich aus dem Kölner Keller auch nicht. Eine fatale Fehlentscheidung. Einen Tag später versuchte Perl sich zu erklären. Er habe das Handspiel erst zwei Minuten später gesehen, weil er sich um eine andere Szene gekümmert hat. „Das ist dann schlichtweg zu spät, um noch ins Spielgeschehen einzugreifen. Es kann natürlich sein, dass die Schiris es anders wahrgenommen haben, aber so eine Szene muss überprüft werden“, betont Weber.

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Tatort München: Fast zeitgleich bekommt Hannover 96 beim FC Bayern einen Elfmeter zugesprochen, der den Verursacher Jerome Boateng fassungslos zurücklässt. 96-Spieler Linton Maina trifft den Bayern-Innenverteidiger mit einer Flanke am Ellbogen. Doch Boateng legt seinen Arm nur an. Von Absicht kann keine Rede sein. „Er dreht sich ja sogar noch vom Ball weg“, ergänzt Weber, der noch als offizieller Schiedsrichter-Beobachter im Westen tätig ist. Christian Dingert ließ in München zunächst weiterspielen. Bis sich der Kölner Keller in Person von Sören Storks meldete und ihm nahelegte, sich die Szene noch einmal anzuschauen: Danach zeigte er auf den Punkt. „Leider Gottes war das die falsche Entscheidung. Sie hätten zur Erkenntnis kommen müssen, dass Boateng lediglich angeschossen wurde“, betont Weber.

Tatort Bremen: Stunden später folgt die nächste Aufreger-Szene – beim Topspiel zwischen Werder Bremen und Borussia Dortmund. Im Mittelpunkt diesmal: Mario Götze. Nach einer Ecke prallt der Ball zuerst an den Oberschenkel, und von da aus springt er an seinen Arm. Nach der neuen Regel-Auslegung, dass auch eine „unnatürliche Vergrößerung der Körperfläche“ als Kriterium gilt, eigentlich ein Elfmeter. Jedoch bleibt Marco Fritz nach dem Studium der TV-Bilder bei seiner Entscheidung, das Spiel weiterlaufen zu lassen. Warum? Er könnte sich möglicherweise auf eine geltende Ausnahme berufen haben. Nämlich, wenn der Ball von einem anderen Körperteil an die Hand beziehungsweise den Arm abprallt.

Tatort Freiburg: Auch Fortuna Düsseldorf hätte am Sonntag gerne einen Elfmeter gehabt – als Kevin Stöger in der 62. Minute vom Strafraumrand schießt. Den Ball fälscht Keven Schlotterbeck vom SC Freiburg deutlich ab – mit halb angelegtem, halb abstehendem Ellbogen. Für Videoschiri Florian Badstübner zu wenig. Er gibt seinem Kollegen in Freiburg, Tobias Welz, nicht einmal das Signal, sich die Szene selber noch einmal anzuschauen.

„Ich bin verwundert, dass am Spieltag überhaupt nicht einheitlich entschieden wurde“, sagt Weber. Schließlich habe Schiedsrichter-Chef Lutz Michael Fröhlich seine Kollegen noch im Vorfeld in zwei Seminaren auf solche Fälle vorbereitet.

Fazit: Wenn es nach Weber ginge, sollte künftig wieder „die Absicht eines Spielers die oberste Priorität“ sein. Bedeutet: drei der vier Beispiele am 32. Spieltag wären kein Elfmeter gewesen. Man müsse zwingend „neue Attribute zur neuen Spielzeit definieren“, fordert Weber. „Denn sonst laufen die Spieler bald nur noch als Zinnsoldaten auf dem Feld herum. Statt aufs Tor zu schießen, wird nur die Hand vom Gegner gesucht.“