Essen. Am Freitag startet die Bundesliga in die Saison 17/18. Das Murren der Fans ist unüberhörbar. Klubs und Verbände wollen nur ihr Bestes - das Geld.
Rainer Koch (58) ist Vizepräsident beim Deutschen Fußball-Bund und als Richter am Oberlandesgericht München berufsbedingt zur Ausgeglichenheit verpflichtet. Als er Ende Juli Fanvertreter in Dresden besuchte, traute er seinen Augen nicht: Die Tür ging auf — und 50 Fanvertreter aus ganz Deutschland spazierten rein, um ihn, den Repräsentanten des verhassten Verbandes aus Frankfurt am Main, mit vereinten Kräften anzuprangern. Koch behielt die Nerven.
Alles kam auf den Tisch. Der Kommerz in der Fußball-Bundesliga. Die Zersplitterung der Spieltage. Die China-Reisen der Klubs. Der Ausverkauf von Vereinen an Investoren. Die explodierenden Gehälter und Ablösesummen. Die TV-Hörigkeit der Verbände. Koch kam mit seinen Notizen kaum nach.
Unabhängige Beobachter hätten umgehend die Existenzfrage in den Raum gestellt: Ist der deutsche Fußball noch zu retten?
Die Wut des Rappers
Kommt drauf an, wen man fragt. Im Internet kursiert das Video eines BVB-Fans, der in der Rapper-Szene als „M.I.K.I.“ Wut in Prosa stampft: „Sie verkaufen unsere Seele für Millionen aus dem fernen Osten“ und „Wie erkläre ich ihm (dem Sohn) die ganzen Lügen, wie sie gern die Fans verarschen und das ganze Land betrügen“. Wörtlich heißt es: „Ihr könnt nicht unsere Liebe nehmen. Für die große Liebe lohnt es sich, in den Krieg zu ziehen.“
Die Heimat des Fußball-Weltmeisters in der Sinnkrise: Nicht einmal die Marktforschungsinstitute finden einen gemeinsamen Nenner.
Triumphierend verkündete Forsa vor wenigen Tagen ein ausgemachtes Desinteresse an Fußball made in Germany: Zwei Drittel hätten hierzulande kein oder ein geringes Interesse. TNS dagegen ermittelte den Rekord von 44 Millionen Fußballbegeisterten in Deutschland — plus zehn Millionen in zehn Jahren.
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Ja, was denn nun?
Der Fußballfan Andy T. aus Bochum würde niemals so weit gehen und dem DFB den Krieg erklären. Er liebt seinen VfL. Trotzdem wachsen auch bei ihm Zweifel, ob das alles so richtig ist. Er schaut auf seine Kontoauszüge und sieht: Bundesliga bei Sky wird schon wieder teurer. 50 Euro im Monat, wenn man samstags und sonntags schauen will. Dafür bekommt er nicht mal mehr alle Spiele, alle Tore. Freitags und montags übertragen Amerikaner.
Richtig gelesen: Amerikaner.
Das Kartellamt zwang die Liga zum Verkauf der Live-Rechte an mindestens zwei TV-Sender. Der Spartensender Eurosport, eine Tochtergesellschaft des US-Medienkonzerns Discovery, bekam den Zuschlag und muss sein Millionen-Investment refinanzieren. Unbehagen macht sich breit: Kein Fußballfan kann den benötigten Player problemlos installieren. Und kosten tut’s obendrein: so um die 60 Euro im Jahr. Amazon, ebenfalls aus den USA, will beim Verkauf helfen.
So schimpfen sogar besonnene Fußball-Liebhaber plötzlich: Wollen die alles zu Geld machen? Um ehrlich zu sein: Ja. Die Wahnsinnssumme von 3,24 Milliarden Euro mussten die Klubs erwirtschaften, um den Spielbetrieb 2015/16 aufrechtzuerhalten. Der Zuschauer im Stadion wird immer unwichtiger: Nur 16 Prozent beträgt sein Anteil am Umsatz seines Vereins. Der Löwenanteil fließt vom Fernsehen.
Man kann es nicht bestreiten: Aus dem Fan wird ein Konsument.
Zu Sky kommt Eurosport
Der Widerstand formiert sich. Jährlich 600 Euro für Sky und 60 Euro für Eurosport, dazu Werbung in allen Sportsendungen, zudem Splitterung des Spieltags auf jetzt sieben Anpfiffzeiten in der kommenden Saison: Aus den deutschen Fußballfans wird rausgepresst, was geht. Und mehr geht nicht. Die Auslastung in den Stadien: fast 100 Prozent. Die Liga verzweifelt: Wir brauchen aber noch mehr Geld.
Was international passiert, übersteigt jede Vorstellungskraft. Der Draxler-Klub Paris St. Germain kann sich den Brasilianer Neymar aus Barcelona nur deshalb für 222 Millionen Euro Ablöse leisten, weil ein Scheich unbedingt Europapokale gewinnen will. Bei Manchester City das Gleiche: 50 Millionen Euro für Leroy Sané sind ein Taschengeld für betuchte Herren aus den Golfstaaten. Nicht nur bei Fans geht die Angst um: Übernehmen die auch unsere Klubs?
Seit die Neymar-Millionen im Markt sind, kann Manager Christian Heidel nicht mehr garantieren, dass Leon Goretzka diese Saison auf Schalke spielt. Sogar die reichen Bayern werden unruhig: „Wir machen da nicht mit“, sagt Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge. Dabei wird er gar nicht gefragt, ob er mitmachen will. Es passiert einfach.
China-Reisen sind Normalität
Borussia Dortmund weiß bis heute nicht, ob sein streikender Angreifer Ousmane Dembélé mit seinem Erpressungsversuch jene 150 Millionen Euro Ablöse erzwingt, die Barcelona für ihn zahlen soll. Die Spitzengehälter in der Bundesliga: angeblich 20 Millionen Euro für Bayern-Star Robert Lewandowski.
Die Fans spüren: Wir müssen das alles zahlen, die Klubs irgendwie an Geld kommen. Ein Irrsinn.
Die Bundesliga schickt in der Saisonvorbereitung die Aushängeschilder Bayern, Dortmund und Schalke nicht zum Spaß nach Asien. Sie sollen Werbung für die Liga machen. Mindestens, um die TV-Quoten von Mittel- bis Fernasien zu erhöhen. Bestenfalls, um Geldgeber anzulocken. Eigene Büros in Shanghai gehören zum Standard. Schon wird eifrig, aber haltlos spekuliert: Wann findet das erste Pokalfinale in Katar statt? Die Italiener spielen längst ihren Supercup in Doha aus.
So vertieft sich der Graben zwischen jenen, die den Laden am Laufen halten, und denen, die am lautesten schreien. Ist die Bundesliga noch zu retten? Rainer Koch hat sich die Frage gestellt. Und keine Antwort parat. „Zum Dialog bin ich gerne bereit“, schreibt er passend auf Facebook, wo die Wut ihren Seismographen hat. „Persönliche Beleidigungen und Verleumdungen werde ich nicht akzeptieren.“