Dortmund/Leverkusen. Bayer Leverkusen hat nach der 2:6-Niederlage bei Borussia Dortmund Roger Schmidt freigestellt. Der Trainer stand sich bisweilen selbst im Wege.

In den Geschichtsbüchern des deutschen Fußballs gibt es einen Eintrag zu Roger Schmidt. Etwas mehr als ein Jahr ist dieser Eintrag nun alt, und er erzählt vom Spiel Bayer Leverkusens gegen Borussia Dortmund. Da widersetzte sich Bayers Trainer der Anweisung des Schiedsrichters, sich wegen unsportlichen Verhaltens auf die Tribüne zu begeben. Das Spiel stand deswegen vor dem Abbruch. So einen Fall hatte es noch nicht gegeben. Und er dokumentierte, dass es schon mehr bedarf, damit dieser Roger Schmidt seinen Arbeitsplatz verlässt.

Bayer-Sportdirektor Völler ließ Bedauern kommunizieren

Die Anekdote taugte ja durchaus als Sinnbild. Immer wieder war Schmidt in die Kritik geraten, immer wieder schien er noch eine Niederlage von der Entlassung entfernt. Dann siegte er wieder. Am Sonntag nun, einen Tag nach der 2:6-Niederlage Leverkusens bei Borussia Dortmund, entzogen die Klub-Bosse nach mehrstündiger Krisensitzung dem Trainer das Vertrauen und entließen den 49-Jährigen aus seinem bis 2019 laufenden Vertrag.

Angesichts der sportlichen Entwicklung sei der Klub zu der Meinung gelangt, dass „eine Trennung zwar schmerzhaft“, aber „unumgänglich ist“, erklärte Geschäftsführer Michael Schade. Er fügte an: „Mir persönlich tut dieser Schritt sehr leid, denn wir haben Roger Schmidt viel zu verdanken.“ Unter ihm entwickelten sich Talente wie Karim Bellarabi, Jonathan Tah, Benjamin Henrichs und zuletzt Kai Havertz teilweise in Richtung Nationalmannschaft.

Sportdirektor Rudi Völler ließ ebenfalls Bedauern kommunizieren, weil er Schmidt „für einen absoluten Top-Trainer“ halte, weshalb er sich „immer und überall aus voller Überzeugung für ihn eingesetzt“ habe. Der Nachsatz aber klingt so verheerend, wie die Lage ist: „Wir mussten jetzt handeln, wenn wir unsere Ziele nicht vollends aus den Augen verlieren wollen.“

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Genauer genommen ringt Leverkusen nur noch um ein Ziel, das Minimalziel Europa League. Vor der Saison rüstete Bayer die Mannschaft im zweistelligen Millionenbereich auf und nährte die Hoffnung, in der Hierarchie der Liga noch klettern zu können. Die Realität sieht indes anders aus: Im DFB-Pokal schied die Mannschaft schon in der zweiten Runde beim Drittligisten Sportfreunde Lotte aus, in der Champions League überstand die Werkself zwar die Gruppenphase ohne Niederlage, sieht aber nach dem ernüchternden Achtelfinal-Hinspiel gegen Atletico Madrid (2:4) dem fast sicheren Aus entgegen. Und in der Liga steht der Verein so schlecht da wie zum gleichen Zeitpunkt seit 14 Jahren nicht mehr. Orientierungslos im Mittelfeld, das Dortmunder Halbdutzend als Höhepunkt, das Schmidt als „einen guten Schritt in die richtige Richtung“ deklarierte.

Liaison begann 2014 verheißungsvoll

Es war der Schlusspunkt einer Liaison, die 2014 so verheißungsvoll begonnen hatte, weil Schmidts radikales Sturm- und Drangkonzept funktionierte, Tore und Siege brachte. Doch mit der Zeit kamen die Probleme. Sie handeln von der Schwierigkeit, der Mannschaft einen verlässlichen Spielstil zu verpassen. Sie handeln von Problemen in der Außendarstellung (siehe Eintrag im Geschichtsbuch) und einem Führungsstil, der bei manchem Profi für Irritationen hinterließ. Der Trainer habe „seine Macken“ und sei „nicht immer pflegeleicht“, hat Völler einmal wissen lassen.

Deshalb schaffte der Klub im Winter sogar eine Position, die es im deutschen Fußball noch nicht gab: den Koordinator Trainer- und Funktionsteam. Jörn Wolf, als langjähriger Medienchef des Hamburger SV krisenerprobt, sollte aufpassen, dass Schmidt nicht zum Verhängnis für Schmidt wird. Dass der Trainer in Dortmund in seiner Startelf auf Stars wie Julian Brandt, Karim Bellarabi und Chicharito verzichtete, ließ sich allerdings schlecht verhindern. Es war Schmidts letzter Versuch, mit Autorität die Wende herbeizuführen. Ohne Rücksicht auf das Binnenklima, ohne Rücksicht auf Namen.

Vor einer Woche, nach der miserablen Leistung gegen Mainz (0:2), nahm Völler die Spieler öffentlich in die Pflicht. Nun beugt sich Leverkusen den Gesetzmäßigkeiten der Branche und sucht einen neuen Trainer. Für Montagmittag lädt der Verein zu einer außerordentlichen Pressekonferenz. Dort geht es darum, wie es weitergeht. Am wahrscheinlichsten scheint eine Interimslösung bis zum Saisonende auf dem Trainerposten zu sein. Aber auch Namen für danach geistern schon umher. André Schubert ist auf dem Markt, der Mainzer Martin Schmidt soll das Leverkusener Interesse ebenfalls schon geweckt haben.