Gelsenkirchen. Bei der EM 1988 ging es in Gelsenkirchen für Irland um alles. Das Spiel gegen Holland ging zwar verloren, gefeiert wurde trotzdem.

Die Begrüßung im Schatten der alten Schalker Haupttribüne fiel äußerst herzlich aus: Hollands Bondscoach Rinus Michels und Irlands Nationaltrainer Jack Charlton, zwei absolute Granden des Weltfußballs, wünschten einander viel Glück. Das konnten sie auch gut gebrauchen an jenem 18. Juni 1988: Sowohl für „Oranje“ als auch für die „Boys in Green“ stand das Ticket fürs EM-Halbfinale auf dem Spiel. Der Unterschied: Für den großen Turnierfavoriten Niederlande war die Vorschlussrunde Pflicht. Irland hingegen, das erstmals überhaupt an einem großen Turnier teilnahm und sensationell als Tabellenführer in dieses letzte Gruppenspiel gegangen war, träumte von einem Fußballwunder.

Dabei hatte manch ein irischer Kicker die Europameisterschaft im Vorfeld noch als ulkigen Sommer-Trip begriffen. „Erst als wir am Flughafen Stuttgart gelandet waren, spürten wir, was so eine EM eigentlich bedeutet“, erinnert sich Irlands damaliger Torjäger Ray Houghton heute, rund 36 Jahre später. „Allein der Bus, der damals am Flughafen auf uns wartete: Auf der Seite stand in riesigen Lettern ,Ireland‘.“ Houghton & Co. freuten sich wie kleine Kinder – und eroberten die Herzen der Gastgebernation. Wohl keiner, der damals die EM in Deutschland verfolgte, konnte sich dem Charme dieser bunt zusammengewürfelten „Boys in Green“ entziehen.

Irland startete mit sensationellem Sieg gegen England in die EM 1988

Trainer Jack Charlton hatte Irland bereits im Frühjahr 1986 vor dem Beginn EM-Qualifikation übernommen und das Team sogleich radikal umgebaut: Der Engländer, als Spieler 1966 an der Seite seines Bruders Bobby Weltmeister geworden, ließ sämtliche Profi-Ligen seiner britischen Heimat-Insel nach Spielern mit irischen Wurzeln durchforsten. Auf diese Weise entdeckte Charlton u.a. die Stürmer Ray Houghton und John Aldridge von Oxford United (das Duo wechselte 1987 im Paket zum FC Liverpool) oder den kompromisslosen Rechtsverteidiger Chris Morris von Sheffield Wednesday.

All diese Spieler hatten gewisse Verbindungen zu Irland, auch wenn diese zum Teil eher lose waren. „Aber Söldner waren wir nicht“, betont Ray Houghton, der aus Schottland stammte, aber immerhin einen irisch-stämmigen Vater vorweisen konnte. „Wir fühlten uns alle irisch, wir waren 20 irische Brüder.“ Und so traten sie auch auf: Im Auftaktspiel gegen den vermeintlich übermächtigen Nachbarn England traf der 1,69 Meter kleine Houghton bereits nach sechs Minuten per Kopf. Der Rest war Verteidigung mit Mann und Maus und manch langem Bein. Der Sensations-Sieg war perfekt. Vielleicht hätten die britischen Boulevardblätter Irland im Vorfeld nicht als „englisches B-Team“ oder als „Plastic-Paddies“ verspotten sollen ...

20.000 irische Fans feierten trotz EM-Aus in Gelsenkirchen-Buer

Nach einem eher unglücklichen 1:1 im zweiten Gruppenspiel gegen die UdSSR (Tor: Ronnie Whelan) brauchten die „Boys in Green“ im Parkstadion gegen die Niederlande nur noch ein Remis, um ins Semifinale einzuziehen. Fast 82 Minuten lang schien diese Rechnung aufzugehen. Dann hielt ein gewisser Ronald Koeman einfach mal drauf, wie Ray Houghton mit leicht gequälter Miene erzählt: „Der Schuss, der vermutlich weit vorbeigegangen wäre, klatschte an den Kopf von Wim Kieft und drehte sich von dort mit einem ganz merkwürdigen Drall ins Netz.“ Ein blödes Billard-Tor, von dem sich die tapferen Iren nicht mehr erholen sollten.

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Die Niederlande gewannen mit 1:0 und holten sich am Ende bekanntlich den Titel. Am Tag des Finales weilten die 20 tapferen Iren, die Jack Charlton mit nach Deutschland genommen hatte (darunter genau 14 gebürtige Briten), längst in ihrem wohlverdienten Sommerurlaub. Dabei hätte alles auch ganz anders kommen können, wie Ray Houghton lebhaft erinnert: „Kurz vor dem holländischen Tor zum 1:0 gegen uns hatte mein Mitspieler Paul McGrath auf der Gegenseite einen Kopfball an den Pfosten gesetzt. Das sind eben die Nuancen, die im Fußball manchmal entscheiden.“

Nach der Niederlage im Parkstadion war die irische Party jedenfalls zu Ende – oder auch nicht: 20.000 durstige Schlachtenbummler in Grün legten noch am selben Abend ganz Gelsenkirchen-Buer trocken. Und als Houghton, Whelan, McGrath & Co. nach dem Heimflug von Düsseldorf nach Dublin im offenen Bus durch die irische Hauptstadt paradierten, feierten 250.000 Fans links und rechts der Straße. „Es schien, als sei damals ganz Irland auf den Beinen gewesen“, erinnert sich Ray Houghton.

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