Gelsenkirchen.. Norbert Elgert hat als Trainer der Schalker U19 auch Leroy Sané ausgebildet. Im Interview spricht er über Profifußball und seinen Vertrag.

Norbert Elgert geht am Sonntag mit der Schalker U19 in seine 20. Saison. Rund 100 Spieler, die der Fußballlehrer ausgebildet hat, haben den Sprung in den Profifußball geschafft. Auch Leroy Sané, dessen Verkauf rund 50 Millionen Euro in die Schalker Vereinskasse gespült hat. Im WAZ-Interview spricht der 59-Jährige über irre Ablösesummen, die Schalker Fans und seine Zukunft.

50 Millionen Euro für Leroy Sané, 34 für Julian Draxler und 30 für Manuel Neuer. Auch diese drei Spieler sind durch Ihre Schule gegangen. Wenn Sie an den Ablösesummen nur mit einem Prozent beteiligt wären, hätten Sie ausgesorgt...

Norbert Elgert: Das stimmt, mir und meiner Familie geht es aber trotzdem gut. Ich kann sehr gut einschätzen, welchen Anteil ich daran habe, betone aber immer wieder, dass die Knappenschmiede keine One-Man-Show ist. Wir haben viele Top-Trainer und Mitarbeiter mit Direktor Oliver Ruhnert an der Spitze.

Manchester United hat 105 Millionen Euro für Paul Pogba bezahlt. Kann ein Fußballspieler überhaupt so viel wert sein?

Elgert: Jeder Mensch ist sogar noch viel mehr wert, das ist in Zahlen gar nicht zu ermessen. Aber eben als Mensch, nicht als Fußballprofi. Ich halte solche Summen für unverantwortlich. Man muss sich doch nur mal vor Augen halten, welche Probleme wir auf diesem Planeten haben. Für mich ist die finanzielle Grenze längst überschritten. Auf der anderen Seite verstehe ich aber die Spieler und Klubs. Ein Verein kann ja nicht sagen: das Geld nehmen wir nicht an. Wenn Schalke die Chance hat, für Leroy Sané über 50 Millionen Euro zu bekommen, dann gibt der Markt das eben her.

Wie gelingt es Ihnen, dass Ihre Spieler, die im Profifußball oder auf dem Weg dorthin sind, mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben?

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Elgert: Auch da sehe ich mich als Teil eines Mosaiks, allerdings als eines mit einem nicht geringen Einfluss. Ich sehe mich mittlerweile zu mindestens 50 Prozent auch als Lebenslehrer. Ich arbeite mit meinen Spielern ein Jahr, meistens sogar zwei Jahre zusammen. Unsere Beziehung und Zusammenarbeit sind von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt. Meine Spieler dürfen sich selbstverständlich mit beiden Händen Richtung Himmel bewegen. Vorausgesetzt, sie bleiben mit beiden Füßen auf der Erde. Nur dann können wir stolz auf diese Jungs sein. Die ganze Abteilung freut sich, wenn Max Meyer oder Leroy Sané in der Öffentlichkeit sagen: ‘Ich bin doch kein besserer Mensch, nur weil ich besser kicken kann.’ Das sind Dinge, über die wir in unserer gemeinsamen Zeit häufig sprechen. In der heutigen Zeit, in der Profisportler extrem gehypt werden, ist es umso wichtiger, auf dem Teppich zu bleiben. Die Distanz zu den Fans, zu den Menschen, die sie bezahlen, darf nicht zu groß werden.

Mit Markus Weinzierl erleben Sie erneut einen neuen Cheftrainer bei den Profis. Wie ist Ihr Eindruck?

Elgert: Ich hatte ein sehr gutes konstruktives Gespräch mit Markus Weinzierl und seinen Assistenten. Er hat meine volle Unterstützung.

Elgert: "Ich fühle mich deutlich jünger"

Auch der Manager ist neu. Christian Heidel hat Umbaumaßnahmen auf dem Vereinsgelände eingeleitet. Er will, dass sich Profis und Jugendspieler begegnen und sagt: „Der 13-Jährige muss denselben Weg gehen wie Benny Höwedes. Die müssen sich abklatschen, und dann muss der eine die Tür links nehmen und der andere die Tür rechts. Und der Kleine muss das Ziel haben: Eines Tages will ich auch rechts durch die Tür gehen.“

Elgert: Dass er einmal durch die Tür geht, durch die die Profis gehen, ist unser gemeinsames Ziel. Das war es schon immer. Wir waren in der Vergangenheit sehr erfolgreich und haben sicherlich gemeinsam vieles richtig gemacht. Das heißt aber nicht, dass wir stehenbleiben dürfen. Deshalb bin ich da ganz bei Christian Heidel, dass wir uns auch in Zukunft ständig weiterentwickeln müssen. Insofern begrüße ich die Umbaumaßnahmen und die Verbesserung der Infrastruktur.

Haben Sie Ihren Vertrag eigentlich schon verlängert?

Elgert: Dass Christian Heidel, Clemens Tönnies und ich mündlich eine Vertragsverlängerung vereinbart haben, ist ja bekannt. Es ist noch nichts verschriftlicht. Aber auf dem Weg.

Im Januar werden Sie 60 Jahre alt - wie lange wollen Sie noch auf dem Trainingsplatz stehen?

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Elgert: Das Alter ist für mich nicht relevant, ich fühle mich deutlich jünger. Mit fast 60 Jahren ist einem aber schon bewusst, dass circa die Hälfte vorbei ist (lacht). Aber es kommt schon noch ein bisschen was. Wie lange ich als Trainer tätig sein werde, weiß ich noch nicht. Eines meiner großen Vorbilder, John Wooden, war noch viel länger aktiv. Ein Trainer, der in Amerika zum Trainer des Jahrhunderts gewählt wurde, aber nie im Profibereich gearbeitet hat.

Gibt es denn überhaupt eine andere Funktion, die Sie reizen könnte?

Elgert: Wenn ich mal aufhöre, wird mein Tätigkeitsfeld sicher mit Coaching und Mentoring von Spitzensportlern und Trainern zu tun haben. Ich würde mein Wissen und meine Erfahrung gerne weitergeben. Aber das ist heute noch weit weg.

Coaches sollten sich nicht überschätzen

Bei den Fans genießen Sie Heldenstatus. Was bedeutet Ihnen das?

Elgert: Sehr viel. Für mich ist Charakter allerdings wichtiger als Reputation. Aber die Fans sind der Klub. Wenn sie das so sehen, freut es mich und ist außerdem eine Bestätigung dafür, in all den Jahren hart gearbeitet und alles für den S04 gegeben zu haben.

Für die U19 sind nur zwei neue Spieler verpflichtet worden. Sind Ihre Wünsche damit erfüllt?

Elgert: Eine Saisonplanung ist kein Weihnachten. Wir wussten vorher, dass die Struktur der Mannschaft anders sein wird, dass wir die jüngste U19 aller Zeiten haben werden. Zwei Drittel der Spieler sind Jungjahrgänge. Normalerweise ist die Mischung 50:50, damit sich die jungen Spieler an erfahrenen Spielern festhalten können, die das Korsett bilden. Es könnte also ein Übergangsjahr werden, aber das muss es nicht. Mit Benjamin Goller und Jannis Kübler haben wir zwei Jungjahrgänge verpflichtet, die sehr talentiert und motiviert sind. Zwei ältere Spieler, die unbedingt zu uns wollten, haben wir nicht bekommen. Das lag aber ausschließlich daran, dass diese Spieler noch unter Vertrag stehen und keine Freigabe bekommen haben.

Schalkes U19 war viermal in Folge Westdeutscher Meister, zweimal sogar Deutscher Meister. Die Schalker A-Jugend war das Maß aller Dinge. In der vergangenen Saison war der BVB wieder vor Schalke. Nehmen die anderen Klubs mehr Geld als vorher in die Hand?

 Elgert: Ich sehe es nicht so, dass wir das Maß aller Dinge waren. Wir gehörten zu den Besten – und das tun wir auch weiterhin. Wir hatten fantastische Jahre. Aber die Erfolge waren nie selbstverständlich. Viele Vereine haben ihre Ausbildung ebenfalls weiter entwickelt und verbessert. Auch das Investment im Jugendfußball hat sich proportional ähnlich gesteigert wie bei den Profis. Es werden unfassbare Summen gezahlt. In England sind junge Burschen innerhalb von zwei, drei Jahren Millionäre. Ich finde es richtig, dass wir da unseren eigenen Weg gehen. Blauäugig sind wir aber auch nicht.

Thomas Tuchel hat gesagt, dass Fußball im Jugendbereich ein Coaches-Game ist. Ein Spiel, das vom Coach beeinflusst und demnach auch gewonnen wird. Stimmt das?

Elgert: Ich schätze Thomas Tuchel und will ihm gar nicht widersprechen. Ich denke aber, dass die Wahrheit in der Mitte liegt. Wir Coaches sollten uns nicht überschätzen, aber auch nicht unterschätzen