Essen. Der Champions-League-Sieg gegen Bayern München ist der bisher größte Triumph in der Trainerkarriere von Schalkes neuem Coach Roberto Di Matteo. Gleichzeitig hagelte es aber auch Kritik von allen Seiten: Von Mauertaktik war die Rede, Catenaccio in extremster Form. Blüht das jetzt auch der Bundesliga?

Selbst wer dem FC Bayern München sonst nur wenig abgewinnen kann, dürfte an diesem Abend einen Anflug von Mitleid verspürt haben. Aus dem Traum vom "Finale dahoam" wurde das "Drama dahoam", als die Münchener die Champions-League-Endrunde 2012 im Elfmeterschießen gegen den FC Chelsea verloren. Als besonders tragisch gilt die Niederlage, weil Bayern in der regulären Spielzeit drückend überlegen war. 18 zu 3 Schüsse, 20 zu 1 Ecken nach 120 Minuten - selten hat man ein Finale gesehen, das derart in Richtung eines Tores gespielt wurde.

Trainer der extrem tief verteidigenden Engländer war damals Roberto Di Matteo, den Schalke am Dienstag als Nachfolger von Jens Keller bestätigte. Nun werden die ersten Stimmen laut, das Schalker Spielsystem könnte demnächst ebenfalls stark defensiv ausgerichtet werden. Doch wie begründet ist diese Furcht?

Defensive Ausrichtung war wohl die einzige Lösung

Wenig, kann man sagen. Zwar stimmt es, dass Di Matteo seine Mannschaft im Champions-League-Finale als Abwehr-Bollwerk aufs Feld schickte. Und auch im Halbfinale gegen den FC Barcelona ging es von der ersten Minute an nur auf das Tor von Chelsea-Keeper Peter Cech. Aber allein aus diesen zwei Spielen zu schließen, Di Matteo könnte den Catenaccio bei Schalke einführen, wäre voreilig.

Die Mauertaktik gegen die favorisierten Teams aus Barcelona und München war vielleicht nicht schön anzusehen, aber sie war effektiv. Allein darum wird es Di Matteo gegangen sein, der erst wenige Wochen zuvor vom Assistenz-Coach zum Cheftrainer bei Chelsea aufgestiegen war. Di Matteo hat sich die Stärken und Schwächen der Gegner ausgeguckt und entsprechend reagiert. "Robbie ist immer ruhig. Er gerät nie in Panik", hat Chelseas Sportdirektor Dan Ashworth einmal über ihn gesagt: "Er trifft keine übereilten Entscheidungen. Er ist sehr nachdenklich, wenn es um das Spiel geht." Gegen derartige Topteams sah er die Defensivtaktik offenbar als einzige Option.

Di Matteo kann auch attraktiven Offensiv-Fußball

Dass er das System bei Chelsea nach der Entlassung seines Vorgängers Andre Villas-Boas wieder zu diesem alten Stil zurückführte, lag auch daran, dass die Spieler Villas-Boas' Idee vom schnellen Kurzpassspiel nicht mittragen wollten - oder konnten. Dennoch zeigte der FC Chelsea auch unter Di Matteo attraktiven Offensiv-Fußball. Mit Spielern wie Eden Hazard und Juan Mata entwickelte sich ein Spielstil, der mit Mauertaktik nur noch wenig zu tun hatte. Vielmehr war es am Ende die löchrige Abwehr, die Di Matteo im November 2012 seinen Job kostete. Nach dem 0:3 gegen Juventus Turin in der Gruppenphase der Champions League stellte ihn Klub-Boss Roman Abramovich frei.

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Auch Di Matteos frühere Trainer-Stationen lassen kein besonderes Faible für die Defensive erkennen. Mit dem englischen Drittligisten Milton Keynes Dons ließ er ebenso attraktiv nach vorne spielen wie als Trainer von West Bromwich Albion, mit dem Di Matteo gleich in der ersten Saison den Aufstieg in die Premier League klar machte.

Di Matteo hat Vertrauen in den Nachwuchs

Aus seiner Zeit bei Chelsea gibt es zudem eine Anekdote zu berichten, die den Zweiflern unter den Schalke-Fans zusätzlich Mut machen könnte. Im Champions-League-Finale ließ er zwar defensiv spielen, hatte dabei aber auch eine Überraschung parat: In Ryan Bertrand setzte er auf einen Youngster in der Startelf.

Zumindest mit dieser Philosophie dürfte er gut zu Schalke passen, spielt der Klub in Sachen Nachwuchsarbeit doch schon länger vorne mit.