Gelsenkirchen. Seit etwa drei Wochen ist Peter Knäbel Sportvorstand von Schalke 04. Im großen Interview spricht er über Persönliches, Personal und Perspektiven.
Mit einem Sieg im Rücken lebt es sich etwas leichter. Auch Peter Knäbel war froh, dass Schalke 04 am vergangenen Sonntag mit 1:0 gegen den FC Augsburg gewann, er erhofft sich dadurch auch Schwung für das nächste Spiel an diesem Samstag beim SC Freiburg (15.30 Uhr/Sky). Der neue Schalker Sportvorstand legt großen Wert darauf, dass sich der Verein mit Anstand aus der Bundesliga verabschiedet. Für den 54-Jährigen selbst hat die Zukunft längst begonnen.
Herr Knäbel, fühlen Sie sich als dritte Wahl?
Peter Knäbel: Überhaupt nicht. Wie es auch immer von Außenstehenden durchnummeriert wird, ist mir egal. Ich bin davon überzeugt bin, dass ich in dieser Funktion jetzt der Richtige bin.
Das ist Peter Knäbel
Peter Knäbel (54) wurde in Witten geboren, als Jugendlicher spielte er für Borussia Dortmund und den VfL Bochum. Beim VfL debütierte er mit 17 in der Bundesliga. Weitere Stationen: St. Pauli, Saarbrücken, 1860 München, St. Gallen, Nürnberg, Winterthur. 2003 wurde er Technischer Direktor beim FC Basel, 2009 übernahm er diesen Job beim Schweizer Fußballverband. Von 2014 bis 2016 war er „Direktor Profifußball“ beim Hamburger SV, 2018 startete er als Knappenschmiede-Chef bei Schalke 04.
Ist das der Grund, warum Sie sich diesen schweren Job antun?
Knäbel: Für mich steht der Verein über allem – egal ob der Verein Sportfreunde Schnee, „von wo ich wegkomme“, wie wir hier sagen, heißt, oder ob er Schalke 04 heißt. Da wo ich bin, muss jeder dem Verein in der Funktion dienen, in der er am meisten bewegen kann. Es ist mir lieber, wenn es am Anfang etwas holprig ist, danach aber geschmeidig läuft. Ich habe das Gefühl, dass die finale Entscheidung auf der Position des Vorstandes Sport und Kommunikation zu einer Beruhigung beigetragen hat. Das ist gut, denn wir haben einen großen Berg an Arbeit vor uns.
Ein Sportvorstand wird schon länger gesucht; man hätte es leichter haben können, wenn sich der Aufsichtsrat sofort für Sie entschieden hätte…
Knäbel: Das ist Vergangenheit, spielt jetzt keine Rolle mehr. Augen nach vorn durch die Windschutzscheibe – in den Rückspiegel schauen wir nicht.
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Haben Sie, als Sie vor fast genau drei Jahren begonnen haben, schon daran gedacht, dem Verein irgendwann einmal als Sportvorstand dienen zu können?
Knäbel: Überhaupt nicht. Manchmal findet dich die Aufgabe und nicht du die Aufgabe. Ich habe mich damals auch deswegen für das Angebot von Schalke entschieden, weil es ein Heimkommen in meine Region ist und um in der Nähe meiner Eltern zu sein. Hier konnte ich in meiner Heimat etwas tun, von dem ich denke, dass ich im Laufe der Jahre gezeigt habe, dass ich das kann – die Arbeit mit jungen Talenten. In der Knappenschmiede habe ich mich sehr wohl gefühlt. Spannend war es auch, mit einer Außenperspektive den Verein ganz langsam von innen kennenzulernen, mit allen Direktionen zusammenzuarbeiten. Es wird jetzt zum großen Vorteil, dass ich ein großes Wissen über die Struktur von Schalke 04 habe. Jeder externe Sportvorstand hätte erst diese ganzen Leute neu kennenlernen müssen.
Was macht Schalke so faszinierend?
Knäbel: Ich habe lang gebraucht, um meine ganz persönliche Definition von Schalke zu finden. Wenn du zwar den Fußball liebst so wie ich, aber auch einen analytischen Blick auf Organisationen hast, dann eroberst du dir so einen Verein anders. Viel nüchterner, logischer. Schalke kann im gleichen Moment alles sein – vereinend, auch widersprüchlich. Und Schalke ist Masse, die unglaubliche Zahl von Mitgliedern, Fans und Sympathisanten. Wir hatten zwar einige Spaltthemen in letzter Zeit, die die Masse haben kleiner werden lassen. Aber das wollen und werden wir besser machen.
Sie müssen auf Schalke mit wenig viel erreichen, haben aber nicht mehr die Möglichkeiten vergangener Tage. Sie müssen den Mangel verwalten. Wie macht man das?
Knäbel: Man muss ein Zielbild haben. Wer das nicht hat, weiß nicht, wo er gerade steht.
Ist das Ziel der Wiederaufstieg oder ist er im ersten Jahr nicht Pflicht?
Knäbel: Wie die sportliche Zielsetzung ist, wird vor allen Dingen in den nächsten Wochen und Monaten entschieden. Im Moment gibt es in der Planung zu viele Unwägbarkeiten, insbesondere auch die Corona-Pandemie, die viele Themenbereiche beeinflusst. Es wird im Sommer einen Transfermarkt geben, der so sein wird wie nie zuvor. Ich halte es nicht für seriös, schon im Vorgriff Ziele festzulegen. Aber was ich unbedingt von uns verlange ist, dass wir Ambitionen haben.
Aktuell scheint der rasante Absturz vorerst gestoppt…
Knäbel: Es ist vor allem gelungen, uns selber ein Stückchen mehr Würde auf den Platz zu geben.
Nach dem 1:0 gegen Augsburg hat sich das Trainerteam innig umarmt. Ein Bild, das auch deshalb bei den Fans gut ankam, weil Mike Büskens als Co-Trainer und Gerald Asamoah als Teammanager zu sehen waren. Braucht Schalke mehr Schalke?
Knäbel: Ich glaube ja. Es kann doch nicht sein, dass der Rasen in Nachbars Garten immer grüner ist als bei uns. Wir haben allen Grund, stolz zu sein auf uns. Trotzdem können und werden wir uns gegen Expertise von außen nicht verschließen. Wichtig ist, dass die, die neu dazukommen, Schalke so schnell wie möglich verstehen. Mike Büskens sagt, er will mit den Spielern, die jünger als 21 Jahre alt sind, die Schalker Meile ablaufen und ein paar Orte besuchen, die nicht glänzen wie der Eiffelturm in Paris, an dem jeder, der bei PSG in der Jugend spielt, mal vorbeigeht. Unsere Energieorte sind versteckt. Die sichtbar zu machen, Schalke erklären zu können, dafür brauchen wir sehr viel königsblaues Blut.
Welchen Fußball sehen Sie am liebsten?
Knäbel: Ich mag, weil ich selbst diese Qualität nicht hatte, Geschwindigkeit. Dynamischen, mutigen Fußball. Und ich bin einer, der das Schicksal gern in seine Hände nimmt. Aber auch an einer gelungenen Defensivstrategie und gewonnenen Zweikämpfen kann ich mich erfreuen.
Was ist davon in der als hart geltenden 2. Bundesliga umzusetzen?
Knäbel: Die 2. Bundesliga hat ihre Attraktivität. Von den zweiten Ligen, die ich kenne, ist sie die Beste. Sie zeichnet sich im Wesentlichen durch die Ausgewogenheit der Teams und den sehr zweikampfgeprägten Fußball aus. Sie steht für eine hohe Intensität der Zweikämpfe, auch die Lufthoheit ist wichtig. Mannschaften, die das annehmen, und dann spielerisch einen Gang mehr haben als die anderen, wie aktuell zum Beispiel Kiel und Bochum, haben Aufstiegschancen.
Die jungen Spieler, die bleiben, können in der 2. Bundesliga noch einmal einen Schritt machen. Sie haben aber auch einen Pflock gesetzt und Danny Latza von Mainz 05 zurückgeholt. Der bringt Erfahrung mit. Wie viele Latzas braucht die Mannschaft noch?
Knäbel: Es ist wichtig, die richtige Balance zu finden. Wir brauchen ältere Spieler, die Spaß daran haben, junge Spieler zu entwickeln, und nicht einfach nur auf ihren Führungsstatus pochen.
Klaas-Jan Huntelaar ist aktuell ein Paradebeispiel für einen älteren Spieler, der vorbildlich arbeitet. Besteht eine Chance, ihn zu überzeugen, auf Schalke zu bleiben?
Knäbel: Was ich sicher sagen kann: Wir werden miteinander sprechen. Was er auf dem Platz als Stürmer und Persönlichkeit macht und wie er sich den anderen Spieler stellt, das ist großartig. Was ich aber auch immer im Hinterkopf haben muss, sind die Zahlen und die Perspektive.
Ein anderer mit einem großen Schalker Herzen ist Sead Kolasinac, der eigentlich zum FC Arsenal zurückkehren muss. Ist es Wunschdenken, ihn doch behalten zu können?
Knäbel: Es ist ein weiter Weg. Aber ich habe auch schon einen Marathon geschafft. (lacht)
Wie sieht aktuell die Arbeit des Kaderplaner-Teams aus?
Knäbel: Zweimal wöchentlich trifft sich diese Gruppe. Wir gucken uns die möglichen Kaderkonstellationen an. Koordinator dieser Task Force ist Fabio Casalnuovo aus unserer Scouting-Abteilung. Auch Mathias Schober, René Grotus, Norbert Elgert und ich sind dabei. Das Scouting-Team zum Beispiel mit Seppo Eichkorn bereitet vor, Fabio bringt die Unterlagen zu den Sitzungen und dann vergeben wir Arbeitsaufträge. Wir gehen Einzelfälle durch, klären Marktoptionen ab, besprechen unterschiedliche Konstellationen.
Wo sehen Sie Probleme bei der Zweitliga-Planung?
Knäbel: Zwei Dinge stelle ich mir schwierig vor. Das eine ist, dass wir eine neue Mannschaft zusammenstellen müssen, aber kaum Zeit haben. Wir müssen unglaublich schnell zusammenwachsen, und das in einer laufenden Transferperiode. Die Saison beginnt Mitte Juli, die Transferperiode geht bis Ende August. Und zweitens müssen wir uns von ,Wir kämpfen gegen die Krise‘ zu ,Wir können und wollen jedes Spiel gewinnen‘ entwickeln. Wir müssen uns und unser Umfeld auf Höhen und Tiefen einstellen, was aber insgesamt eine positive Richtung haben muss.
Wie bewerten Sie die Arbeit von Trainer Dimitrios Grammozis?
Knäbel: Was ich sehr wichtig finde, ist, dass das Trainerteam schon nach kurzer Zeit eine geschlossene Einheit ist. Das ist wichtig, um den Spielern Orientierung zu geben. Wir wollen natürlich, dass es noch häufiger passt als am vergangenen Wochenende beim 1:0 gegen Augsburg. Wir sind wieder konkurrenzfähig – und dann macht Fußball spielen mehr Spaß. Den Trend zu drehen, das hat viel Aufwand gekostet. Da gebührt Dimitrios und dem gesamten Team ein großes Lob.
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Muss er noch ein paar Spiele gewinnen, um im Sommer sicher bleiben zu können?
Knäbel: Nein, Dimitrios wird definitiv in der neuen Saison unser Trainer sein.
Sie suchen einen Sportdirektor – ist es nötig, diesen schnell zu finden?
Knäbel: Für mich ist extrem wichtig, dass mein unmittelbares Umfeld klare Konturen bekommt. Ich bin froh, wenn wir schnell zu einer Entscheidung kommen – ohne dabei die Qualität der Geschwindigkeit unterzuordnen. Von Anfang an habe ich gesagt, wie ich mir meine Arbeit im Vorstand vorstelle. Wir brauchen Kompetenz, gute Leute und Vertrauen in sie, dass sie ihren Job verstehen.
Könnte es auch hier eine interne Beförderung zum Beispiel von Mathias Schober geben?
Knäbel: Man muss sich Optionen erarbeiten – und wenn da gute Schalker Lösungen dabei sind: umso besser.
Wichtig ist es, Transfereinnahmen zu generieren und Gehalt einzusparen. Von den aktuell verliehenen Spielern kehren nach aktuellem Stand Ozan Kabak und Sebastian Rudy zurück. Beide sind teuer. Laufen schon Gespräche?
Knäbel: Wir werden mit allen in Kontakt stehen, weil es der Schlüssel ist, Transfererlöse zu erzielen. Die brauchen wir, um eine wettbewerbsfähige Mannschaft in der 2. Bundesliga aufzustellen.
Können Sie etwas mit dem Begriff Tafelsilber anfangen und gehören Amine Harit, Mark Uth und Suat Serdar dazu?
Knäbel: Ja, ich kann mit dem Begriff etwas anfangen. Aber es wäre despektierlich gegenüber den anderen, wenn ich es auf diese drei Spieler beschränken würde.
Was ist für Sie die optimale Kadergröße?
Knäbel: Wenn man 22 Feldspieler plus drei Torhüter und hintendran noch Talente aus der U23 und U19 hat, die man heranführen will, ist man gut aufgehoben.
Was ist mit der Torhüter-Frage – gehen Sie mit Fährmann und Schubert in die Saison?
Knäbel: Diese beiden Torhüter stehen für die kommende Saison definitiv unter Vertrag, beide haben eine hohe Qualität. Eine solche Konstellation gibt es nicht oft. Wir müssen aber miteinander reden und werden das zeitnah tun.
Wo sehen Sie Schalke in drei Jahren?
Knäbel: In der Fußball-Bundesliga, mit finanzieller Stabilität. Erst einmal werden wir aller Voraussicht nach 17 beinharte Gegner und 34 anspruchsvolle Spieltage in der 2. Bundesliga haben. Aber die meisten Menschen wollen, dass wir in diesem Fall wieder aufsteigen – es ist ja der helle Wahnsinn, wie viele Sympathisanten wir haben! In drei Jahren müssen so stabil sein, dass wir es geschafft haben. Schaffen wir es eher, sollten wir uns dann schon wieder in der 1. Liga etabliert haben.
Finden Sie es skurril, dass der VfL Bochum vielleicht aufsteigt – und Schalke runtergeht?
Knäbel: Letzteres gefällt mir natürlich überhaupt nicht. Aber dass der VfL vielleicht aufsteigt, finde ich nicht skurril. Ich bin in erster Linie Schalker, in zweiter Linie Ruhrgebiets-Junge. Der VfL muss unbedingt rauf, um die Gelegenheit zu haben, von einer Aufstiegssaison zu zehren. Wenn die Bochumer Verantwortlichen einen guten Job machen, können sie sogar drinbleiben. Ich freue mich für alle Bochumer, habe dort ja selbst früher gespielt und kenne dort immer noch den einen oder anderen. Für die freut es mich besonders. Ich hoffe, dass wir bald gegeneinander spielen – in der 1. Bundesliga.