Gelsenkirchen. Rouven Schröder hofft nach dem Umbau auf Stabilität: Der Sportdirektor erklärt seine Entscheidungen auf Schalke – auch die schmerzhaften.
Die Herbstsonne strahlt in sein Büro, und Rouven Schröder lächelt. Er wirkt zufrieden, aber das täuscht. Zufrieden, das betont er, sei er nie. Immerhin hat der 45-Jährige den schwierigsten Teil seiner Arbeit inzwischen hinter sich: Nach dem Abstieg musste der neue Sportdirektor des FC Schalke 04 das Aufgebot des Zweitligisten komplett verändern – zu viele teure Spieler mit alten Verträgen waren noch an Bord. 30 Abgänge und 16 Zugänge in einer Transferperiode – Zahlen, die von Mühe und Stress künden. Aber Rouven Schröder klagt nicht. Er macht seine Arbeit gern, und er ist gern bei genau diesem Verein.
Sie wären Anfang der 90er-Jahre fast auf Schalke gelandet, als Sie Jugendspieler waren – haben aber seinerzeit noch Tennis vorgezogen. Bedauern Sie das inzwischen?
Rouven Schröder: (schmunzelt) Ich stelle mir schon die Frage: Was wäre gewesen, wenn…? Damals war der Tennissport bei Blau-Weiß Sundern meine Nummer eins. Dann kam das Angebot, bei Klaus Fischer mitzutrainieren, der bei Schalke damals Nachwuchstrainer war. Sein Feedback war sehr positiv, er wollte mich bei einem Testspiel sehen. Aber dann wurde mir klar, dass am Tag des Testspiels ein Tennisspiel war. Ich hatte einen Vertrag in Sundern unterschrieben, bekam eine Aufwands-Entschädigung. Ich habe den Präsidenten angerufen und gefragt, ob ich frei bekomme. Er sagte aber: Wir brauchen dich. Das tat dann schon weh.
Bernard Dietz, eine andere Ruhrgebiets-Legende, hat Sie dann ein paar Jahre später in die U23 des VfL Bochum geholt.
Mit 20 habe ich gemerkt: Mit dem Tennis wird es eng, das Profitum ist unfassbar umkämpft. Dann haben wir mit dem SSV Meschede gegen die zweite Mannschaft des VfL Bochum ein Testspiel absolviert. Da habe ich eines meiner besten Spiele gemacht. Bernard Dietz sagte nach dem Spiel: Du kannst direkt kommen. Ich habe sofort unterschrieben, ohne nachzuverhandeln (grinst).
Was haben Sie von der Zeit bei Dietz mitgenommen?
Er war nicht nur ein hervorragender Trainer, sondern auch ein großer Förderer, ist über viele Jahre ein Begleiter geworden. Er hat viel Wert gelegt auf Respekt, guten Umgang, Disziplin, Engagement. Das hat er alles selbst vorgelebt.
"Schalke sticht schon hervor"
Sie wurden Profi beim VfL Bochum und beim MSV Duisburg, arbeiten jetzt auf Schalke. Ist die Ruhrpott-Mentalität überall gleich, oder ist Schalke doch anders?
Wichtig war für mich, dass ich alles im Ruhrgebiet erlebt habe. Ich war in zweiten Mannschaften aktiv, habe auf der Geschäftsstelle gearbeitet, als Profi die erste und zweite Bundesliga erlebt, habe selbst als Trainer an der Seitenlinie gestanden. Und das mit allem, was dazugehört – positiv wie negativ. Wenn du mit den Leuten offen umgehst, hast du mit ihnen kein Problem. Ich will keinen Verein zurückweisen, aber Schalke sticht schon hervor, weil der Verein unfassbar groß ist. Die Bedeutung des Vereins ist nach wie vor immens.
Rouven Schröder: "Wenn Schalke fragt, ist das eine Ehre"
Es gehörte aber Mut dazu, in dieser schwierigen Situation nach einem Abstieg nach Schalke zu kommen.
Der Berg war sehr hoch – und er ist es noch immer. Aber wenn Schalke fragt und dann auch noch dranbleibt, ist das eine Ehre. Ich habe in meinem Leben Herausforderungen immer angenommen. Es gab in meiner Karriere sicherlich einige Leute, die deutlich besser waren als ich. Aber viele erzählen immer nur im Konjunktiv, wo sie hätten hingehen können – sie handeln allerdings nicht.
Wie bewerten Sie denn den Einstieg in die Saison?
Wenn ich sage, wir sind zufrieden, klingt es immer ein wenig danach, als wäre man satt. Wichtig ist, dass wir immer in die Waage kommen. Uns war bewusst, dass Dinge noch nicht funktionieren. Wir hatten einen schleppenden Start mit vier Punkten aus vier Spielen und wussten das richtig einzuschätzen. Dass wir aber jetzt von fünf Spielen vier gewonnen haben, lässt uns Selbstbewusstsein tanken und zeigt, dass es in die richtige Richtung geht. Wichtig ist, dass wir niemandem etwas vormachen. Schalkes Fans möchten sich mit der Truppe identifizieren. Klappt das, haben wir einen riesigen Schritt geschafft. Und das wächst jetzt.
Waren Sie froh, als das Transferfenster geschlossen war?
Uns war es wichtig, die ersten Schritte schnell zu gehen, um dem Umfeld zu signalisieren, dass sich nach dem Abstieg etwas bewegt. Danach waren wir die ganze Zeit unter Dauerfeuer, weil wir bis zum letzten Tag viele Dinge zu erledigen hatten. Ich habe in der Zeit nicht auf die Uhr geguckt und dann auch mal bis tief in die Nacht noch Leute – auch aus dem Verein – angesimst. Darüber waren die sicherlich nicht immer glücklich (grinst). Es war im Zusammenspiel mit Christina Rühl-Hamers und Peter Knäbel sowie dem gesamten Team rund ums Transfermanagement die bestmögliche Bewährungsprobe.
"Wichtig ist es, die Leute mitzunehmen"
Waren schmerzhafte Transfers dabei – zum Beispiel bei Matthew Hoppe, der gut zum Verein und zum Kader gepasst hätte?
Ein ganz wichtiger Punkt ist das Zusammenspiel mit Peter Knäbel. Wir haben beide in beiden Positionen gearbeitet. Er war Sportdirektor beim HSV, ist jetzt Sportvorstand. Ich war Sportvorstand in Mainz, bin jetzt Sportdirektor. Ich weiß, wie er sich fühlt, wenn er sagt: Wir brauchen aber das Geld! Wenn das Geld über der sportlichen Entscheidung steht, tut das natürlich weh. Aber dann hole ich mir eben ein blaues Auge, wenn jemand fragt: Wie kannst du Hoppe abgeben, auch wenn wir keinen Ersatz haben? Das gehört zum Profifußball dazu. Wichtig ist es, die Leute mitzunehmen.
Nicht nur Hoppe ist ein Spieler aus der Knappenschmiede, der den Verein verlassen hat. Es gab einige mehr, wie Kutucu, Boujellab, Bozdogan, Mercan. Es gab auch kritische Stimmen von Fans, die sagen, dies sei das falsche Signal. Was sagen Sie dazu?
Ich finde gut, dass Sie ,auch‘ sagen, da es nicht alle waren. Egal bei welchem Verein man arbeitet: Die Jugend-Akademie hat immer einen immensen Stellenwert – vor allem intern. Schalke ist das beste Beispiel. Aber wir haben nach wie vor eine Leistungsgesellschaft. Es gibt Spieler aus der Knappenschmiede, die gutes Geld verdient haben. Im Budget, das wir für die 2. Bundesliga aufgestellt haben, hätten sie klare Stammspieler sein müssen. Das waren einige aber nicht.
Vor der Geschäftsstelle steht eine Lore aus dem Bergbau, die Maloche symbolisiert. Wie viel Maloche muss in Schalkes Fußballmannschaft stecken? Oder braucht Schalke eine Philosophie, die davon weggeht?
Die Frage ist, ob man in den vergangenen Jahren die Malocher-Mentalität wirklich bedient hat.
"Die Pflicht kommt vor der Kür"
Eine sehr berechtigte Frage.
Fußball ist ein Zweikampfsport. Das ist eine Grundtugend. Die Leute sind für wenig dankbar – das sage ich oft zu Mike Büskens und Gerald Asamoah auf der Bank.
Eigentlich möchten die Fans aber auch einen guten Pass nach vorn sehen.
Natürlich, aber die Grundtugend darf man nicht vergessen. Bevor du die feine Klinge schwingen kannst, musst du erst den Gegner niederringen. Die Pflicht kommt vor der Kür. Wir wollen beides zusammenbringen.
Für die Pflicht haben Sie zuerst Spieler gesucht, die diese Mentalität verstehen?
Für uns war wichtig , dass derjenige glaubhaft vermittelt, dass Schalke für ihn etwas ganz Besonderes ist.
Inwiefern haben die Spieler das bisher gemerkt?
Nach dem 1:4 in Regensburg gab es ehrliches Feedback von der Tribüne. Da hat der eine oder andere Neue einen Eindruck davon bekommen, wie es hier zugehen kann. Aber andersherum sagen Schalker nach Siegen: Du bist der Größte. Beim Pokalspiel in Villingen beispielsweise, und das ist nicht gerade um die Ecke, haben die Spieler gesehen: Hier ist ja alles blau. Die Schalker sind überall.
Ihr Königstransfer war Simon Terodde. Zittern Sie eigentlich jeden Tag darum, dass er gesund bleibt?
Wir haben nicht das Budget, um noch einen Stürmer dieser Art im Kader zu haben. Wir hoffen natürlich, dass Simon gesund bleibt. Wichtig ist aber auch, dass Simon sagt, dass er ohne seine Mitstreiter die Tore nicht schießen würde. Und das sagt er.
Die Mitspieler hätten ihn nach dem erreichten Tor-Rekord sonst nicht hochleben lassen.
Ja, abgesprochen war das nicht. Das war ein ehrliches Feedback. Sie wissen aber natürlich auch: Wegen Simon gibt es mehr Prämie. (lacht)
Ralf Fährmann stellt die Interessen des Klubs über seine
Gibt es aktuell aber auch einen Spieler, der beleidigt ist? Ralf Fährmann sitzt nur noch auf der Bank.
Wenn Ralf nicht enttäuscht wäre, müsste man sich wundern. Man muss ihm Zeit geben. Keiner wird gern aus dem Tor genommen. Mein Sohn ist auch Torwart, ich bereite ihn darauf vor, dass zukünftig nicht zwei im Tor stehen werden, dass auch Entscheidungen gegen ihn getroffen werden können. Ralf hat aber immer gut und sehr engagiert trainiert und ist in der Gruppe voll akzeptiert. Er stellt die Interessen des Klubs über seine. Davon ist nichts gespielt. Es ist aber so, dass ein Trainer Entscheidungen treffen muss. Und es starten nicht 15, sondern elf.
Der Eindruck entsteht, dass Trainer Dimitrios Grammozis nicht von allen geliebt wird. Können Sie das nachvollziehen?
Ich bewundere, wie sich Dimitrios präsentiert. Ich merke, dass er sich nicht beeinflussen lässt. Das tut ihm auf Schalke gut. Wer hier arbeitet, der weiß, dass auf jeden Fall ein Sturm kommen wird.
Werden Sie im Winter mit dem Trainer über eine Vertragsverlängerung reden?
Wir leben im Hier und Jetzt, so ist das mit Dimitrios auch besprochen. Es gibt keine Ankündigung für irgendetwas. Lasst uns erst einmal erfolgreich Fußball spielen.
Aber in der kommenden Saison muss doch ein Trainer da sein.
Wir haben einen Trainer und werden auch kommende Saison einen haben. Wir werden alle am sportlichen Erfolg gemessen – dazu gehören der Trainer und auch ich.
Kann man es sich als Sportdirektor von Schalke 04 leisten, weit in die Zukunft zu denken?
Das ist schwierig. Das Wort Entwicklung ist im Fußballgeschäft total verbraucht. Du arbeitest in der Woche dafür, dass du am Wochenende erfolgreich bist. Schalke ist aktuell Zweitligist, das macht eine Kaderplanung nicht einfach. Aber nach so vielen Jahren mache ich mich nicht mehr verrückt. Es sind viele gute Spieler unterwegs. Der Verein hat sowohl in der ersten als auch in der zweiten Liga eine enorme Strahlkraft. Am Ende ist nur das Budget ein anderes.