Boston/Bietigheim-Bissingen. Erstmals seit 1948 ist im kommenden Jahr kein Eishockey-Männerteam bei Olympia vertreten. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Der Imageschaden ist immens, zudem droht die Kürzung von Fördermitteln. Personelle Konsequenzen gibt es aber erstmal keine.
Das deutsche Eishockey ist am Boden. Die Schmach des historischen Olympia-Aus wirft Fragen auf.
Macht Bundestrainer Pat Cortina nach der Blamage weiter?
Ja. Darin sind sich die Beteiligten einig. "Es geht mit ihm weiter und das ist langfristig angelegt", stellt Verbandspräsident Uwe Harnos klar. Cortina hat beim Deutschen Eishockey-Bund (DEB) einen Dreijahresvertrag als Trainer und Sportdirektor. Zwar geht der Italo-Kanadier als der bislang erste und einzige Bundestrainer in die DEB-Geschichte ein, der in der Olympia-Qualifikation gescheitert ist. Verantwortlich ist Cortina aber nur bedingt. Richtig schlecht spielte das Team in der Qualifikation nicht, vergab aber zu viele Chancen.
Wer trägt dann Verantwortung?
Die eigentlich schon fast sichere Direkt-Qualifikation für Sotschi 2014 wurde im vergangenen Jahr bei der völlig verkorksten WM in Stockholm verspielt. Trainer damals war Jakob Kölliker. "Die WM beeinflusst die Weltrangliste. Und wenn wir in der Weltrangliste besser dagestanden hätten, dann hätten wir uns diese Qualifikation ersparen können", sagt Cortina nicht ganz zu Unrecht. Fakt ist auch: Deutschland hatte nach Platz vier bei der Heim-WM 2010 eigentlich beste Aussichten. Dem damaligen Bundestrainer Uwe Krupp wurde von Harnos danach eine Doppelfunktion als Nationalcoach und Clubtrainer verwehrt, Krupp ging. Später wurde auch Sportdirektor Franz Reindl entmachtet, weil der sich für Krupp ausgesprochen hatte. Seitdem ging es mit dem deutschen Eishockey sportlich bergab.
Zieht Harnos persönliche Konsequenzen aus der sportlichen Talfahrt?
Im Juni 2014 steht die nächste Vorstandswahl an. Eine klare Aussage darüber, ob er noch einmal antritt, vermeidet Harnos derzeit. "Bis dahin ist es noch über ein Jahr. Da kann viel passieren, unter anderem werden zwei Weltmeisterschaften gespielt", sagte Harnos nur. Kritiker gibt es viele. Der frühere Nationalmannschaftskapitän Alois Schloder forderte am Montag offen Harnos' Rücktritt.
Muss Deutschland bei der WM im Mai um den Klassenverbleib bangen?
Zumindest scheint ein Abstieg derzeit nicht völlig ausgeschlossen. In der Olympia-Qualifikation verlor Deutschland sogar gegen Italien, das im vergangenen Jahr abgestiegen war. Österreich, das statt Deutschland nach Sotschi fährt, ist im Mai in Helsinki deutscher Gruppengegner. "Das wird eine ganz heiße Nummer, da dürfen wir nicht blauäugig reingehen", warnt Generalsekretär Reindl bereits. Die Stimmung ist derzeit auf einem Tiefpunkt. Viel hängt davon ab, welche Spieler im Mai zur Verfügung stehen. Das Team wird eher nicht besser besetzt sein, da normalerweise nicht viele Spieler beider Mannschaften dabei sind, die das DEL-Meisterschaftsfinale bestreiten.
Wie hoch ist der finanzielle Schaden durch das Olympia-Aus?
Das ist noch nicht abzusehen und hängt von den anstehenden Zielgesprächen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund ab. Zumindest ist der DEB mit den Frauen in Sotschi dabei. "Das hilft uns sehr", sagt Harnos. Ganz ohne Auswirkung wird das Aus der Männer aber nicht bleiben. "Das hat natürlich eine Bedeutung", bestätigt der DEB-Präsident. Und finanzielle Einbußen gingen vor allem zu Lasten der Nachwuchsförderung und damit der kommenden Generation.
Wie hoch ist der Image-Schaden?
Immens. Bei Olympia spielen die Besten der Welt, alle NHL-Topstars sind dabei - Deutschland aber erstmals seit 1948 nicht. Richtig problematisch dabei ist, dass sich die Sportart nicht zur besten Sendezeit bei ARD und ZDF einem riesigen Publikum präsentieren kann. An das dramatische Olympia-Viertelfinale 1992 gegen Kanada, als der Puck nach Peter Draisaitls Schuss im Penaltyschießen auf der Linie liegen blieb, können sich auch viele Nicht-Eishockey-Interessierte noch erinnern. Die Chance auf ähnliche Werbung wurde nun vertan.
Deutsche NHL-Profis frustriert über Olympia-Aus
Auch die deutschen NHL-Profis haben mit großer Enttäuschung auf das überraschende Olympia-Aus des Eishockey-Nationalteams reagiert. "Ich hätte gerne zum vierten Mal an Olympischen Spielen teilgenommen", sagte Dennis Seidenberg von den Boston Bruins der Nachrichtenagentur dpa. "So geht unserem Sport jetzt jede Menge Werbung verloren."
"Großer Imageschaden für das deutsche Eishockey"
Auch Superstar Christian Ehrhoff von den Buffalo Sabres sorgt sich um das Renommee des Eishockeys in Deutschland: "Die Nicht-Qualifikation ist ein großer Imageschaden für das deutsche Eishockey, denn Olympia ist die größte Bühne, auf der man sich präsentieren kann."
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Für die deutschen NHL-Profis ist das erstmalige Scheitern einer DEB-Auswahl in der Olympia-Qualifikation besonders bitter. Sehr wahrscheinlich wird die beste Liga der Welt wie schon 2010 auch im kommenden Jahr wieder eine Pause einlegen, um die besten Spieler der Welt nach Sotschi schicken zu können. Auf der größten Eishockey-Bühne der Welt können sich dann Ehrhoff, Seidenberg, Alexander Sulzer, Korbinian Holzer und Thomas Greiss nicht präsentieren. Deutschland hatte trotz Heimvorteils die Qualifikation für Olympia im entscheidenden Duell mit Österreich nicht geschafft. (dpa)