Wolfsburg. Bei der Eishockey-WM sieht Marco Sturm sein Team nicht in der Favoritenrolle. Der Bundestrainer erwartet ein stärker besetztes Turnier als jüngst bei Olympia.

Die Kaffeezeit vor dem ersten Bully lässt sich Marco Sturm nicht nehmen. Da ähnelt der Bundestrainer der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft seinem Fußballkollegen Joachim Löw. Der genießt auch stets einen Cappuccino, während sich seine Akteure auf dem Rasen auf Länderspiele vorbereiten. „Rituale sind wichtig für die Psyche, das beruhigt die Nerven“, betont der 39 Jahre alte Landshuter Sturm kurz vor der Weltmeisterschaft, die am Freitag in Dänemark beginnt. In ihrem Auftaktspiel trifft die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes um 20.15 (Sport1) in der mit 11 000 erwarteten Besuchern voll besetzten Halle Jyske Bank Boxen auf den Gastgeber. Da werden auch Nerven gefragt sein.

Herr Sturm, nach Olympia-Silber wächst die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit. Was sagen Sie jenen, die bei der WM jetzt auf Gold für Deutschland hoffen?

Sturm: Ganz einfach: Bleibt auf dem Teppich, Leute! Das hätte ich vor Olympia über eine Silbermedaille allerdings auch gesagt (lacht). Aber ganz ehrlich: Gold ist nicht realistisch. Wir sind Siebter der Weltrangliste. Das ist schon gut. Trotzdem müssen wir uns hinten anstellen. Andere Nationen sind besser besetzt. Allein die Fülle an Spielern aus der National Hockey League wird ein anderes Turnier in Dänemark hervorbringen, als das bei Olympia der Fall war.

Gastgeber Dänemark zum Start am Freitagabend sollte aber schlagbar sein, oder?

Sturm: Schlagbar sind theoretisch alle Gegner. Aber es wird ein schwerer Abend für uns gegen eine sicher stimmgewaltige Heimkulisse und einen hochmotivierten Gegner. Wir sind weit davon entfernt, das Spiel als Selbstläufer zu betrachten. Bei der WM in Köln vor einem Jahr haben wir gegen die Dänen in der Verlängerung verloren. Nur zur Erinnerung.

Im Gespräch: Marco Sturm (r.) mit Redakteur Michael Ryberg.
Im Gespräch: Marco Sturm (r.) mit Redakteur Michael Ryberg. © SK

Nach den Olympischen Spielen von Pyeongchang haben Sie durch Rücktritte vor allem tragende Führungsspieler eingebüßt – auf und auch neben dem Eis. Wer sind bei der WM die neuen Anführer der Mannschaft, wenn Marcel Goc, Christian Ehrhoff oder Patrick Reimer nicht mehr dabei sind?

Sturm: Darüber mache ich mir keine Sorgen. Mit Patrick Hager, Moritz Müller oder auch Dennis Seidenberg gibt es da einige Anwärter. Typen haben wir in der Mannschaft. Spielerisch verlieren wir natürlich, wenn mehrere Gesetzte plötzlich nicht mehr da sind.

Dafür ist aber 68-Millionen-Euro-Mann Leon Draisaitl von den Edmonton Oilers dabei.

Sturm: Und darüber freuen sich alle. Ich bin sicher, dass wir viel Freude an ihm haben werden. Leon gibt der Mannschaft allein durch seine Teilnahme am Training einen mächtigen Schub. Er ist schließlich spielerisch der Beste, den wir haben.

Auffällig ist, dass Sie erneut US-Collegespielern eine Chance geben – wie einst dem starken Frederik Tiffels bei der Heim-WM. Selbst Ihr Präsident Franz Reindl ist immer wieder überrascht, woher Sie die Jungs zaubern.

Sturm: Das ist schwer genug, hinzubekommen (lacht). Aber ernsthaft: Wir müssen den Verjüngungsprozess vorantreiben. Bei Olympia hatten wir die älteste Mannschaft, das geht nicht mehr lange gut. Mit Mark Michaelis ist ein schneller, technisch guter und erst 22 Jahre alter Angreifer hinzugekommen. Ich hätte gern auch Nico Sturm und den früheren Düsseldorfer Parker Tuomie geholt. Die haben aber beide von ihren Colleges keine WM-Freigabe erhalten.

Was ist in Dänemark mit vier NHL-Spielern, College-Energie und einigen Silber-Gewinnern aus der DEL realistisch drin?

Sturm: Der Spielplan liegt so, dass wir die ganz schweren Spiele gegen Finnland und Kanada erst am Schluss haben. Ein Auftaktsieg gegen Dänemark könnte gleich eine positive Richtung vorzeigen. Das ist aber kein Muss. In Russland vor zwei Jahren haben wir den Start gegen Frankreich verloren und sind trotzdem ins Viertelfinale eingezogen. Mein Ziel ist, dass wir uns in der Weltrangliste festigen und hier weiter an Position sieben oder acht bleiben.

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Die renommierte Tageszeitung USA Today hatte nach Olympia und dem Gewinn der Silbermedaille unter Ihrer Regie gemutmaßt, Sie seien schon auf dem Weg in die NHL. Berechtigt?

Sturm: Ehrliche Antwort?

Aber bitte!

Sturm: Mein Ziel hat sich nach Olympia nicht verändert. Wenn man eine Chance in der NHL bekommt, in der besten Eishockey-Liga der Welt, dann sollte man diese auch nutzen. Ich habe dort lange gespielt, da wäre ein Trainerjob natürlich reizvoll. Daraus mache ich auch kein Geheimnis.

Muss sich der Deutsche Eishockey-Bund Sorgen machen, mit Ihnen die derzeit größte Lokomotive des deutschen Eishockeys neben Leon Draisaitl zu verlieren?

Sturm: Im Moment nicht, ich habe meinen Vertrag beim DEB kurz vor Olympia ja bis 2022 verlängert.