Bielefeld/Dortmund. Abstiegskandidat Bielefeld tritt beim BVB an. Trainer Uwe Neuhaus spricht im Interview über die schwierige Lage und seine ungewöhnliche Laufbahn.
Karrieren wie jene von Uwe Neuhaus sind selten geworden: Der Trainer von Arminia Bielefeld hat eine Elektriker-Ausbildung auf der Henrichshütte in Hattingen absolviert, er war vier Jahre bei der Bundeswehr und hat zur Probe in einer Justizvollzugsanstalt gearbeitet. Im Fußball hat er sich langsam nach oben gearbeitet, als Spieler wie als Trainer. Im zweiten Teil unseres Interviews geht es um seine ungewöhnliche Laufbahn, die schwierige Lage von Arminia Bielefeld vor dem Spiel bei Borussia Dortmund am Samstag (15.30 Uhr/Sky) - und die Eigenheiten des Fußballgeschäfts.
Herr Neuhaus, als Fußballprofi sind Sie mit 30 Jahren in der Bundesliga angekommen, als Trainer mit 60. Was haben Sie eigentlich mit 90 vor?
Uwe Neuhaus: Dann werde ich Journalist (lacht).
Ich bin nicht sicher, ob ich dazu raten sollte. Aber ist schon auffällig, dass Sie sich als Spieler und Trainer nach und nach hochgearbeitet haben.
Neuhaus: Stimmt, wobei das gar nicht von Anfang an so geplant war. Als Spieler habe ich außer in der Verbandsliga in fast jeder Klasse gespielt, von der Kreisliga A über die Bezirksliga, Landesliga, Oberliga, zweite Liga und Bundesliga war alles dabei. Man muss schon an sich glauben, man muss lernfähig sein, man muss sich anpassen und dann sein Glück festhalten – und dafür einiges tun. Denn das ist ja nicht alles vor lauter Glück passiert, das habe ich mir erarbeitet. Und auch als Trainer habe ich mich hochgearbeitet. Ich habe lange warten müssen, in der Bundesliga arbeiten zu können, und jetzt habe ich es geschafft. Und mein Ziel ist natürlich, das nicht wieder herzugeben.
Ein anspruchsvolles Ziel. Bielefeld ist auf Platz 16, mit 18 Punkten aus 21 Spielen.
Neuhaus: Wir haben einen guten Start gehabt mit vier Punkten aus zwei Spielen. Und dann haben wir fast nur gegen die Topmannschaften der Liga gespielt und viel Lehrgeld gezahlt. Wir waren teilweise zu unerfahren, sind teils mit zu viel Respekt in die Spiele gegangen, obwohl wir auch den einen oder anderen Punkt hätten holen können. Dann haben wir uns gesteigert, haben einen guten Zwischenspurt hingelegt. Und jetzt haben wir wieder gegen Wolfsburg und Frankfurt gespielt, die in einer Top-Verfassung sind. Gegen Bayern haben wir vielleicht die Gunst der Stunde nutzen können, weil die von der strapaziösen Reise von der Klub-WM zurückkamen. Jetzt kommt der BVB und dann weitere schwere Brocken. Und trotzdem versuchen wir, die notwendigen Punkte zu holen. Wir dürfen uns nicht nur auf die letzten Spiele verlassen, wir müssen versuchen, jeden Punkt mitzunehmen, den es für uns zu holen gibt.
In der zweiten Liga haben Sie sehr auf Ballbesitzfußball gesetzt. Solche Mannschaften tun sich manchmal schwerer mit der Umstellung auf die Bundesliga als Mannschaften, die eher über Konter kommen. Gilt das auch für Bielefeld?
Neuhaus: Das kann man so sehen. Wir haben es trotzdem versucht, obwohl wir wussten, dass es schwer wird. Wir sind auch nicht von 70 % Ballbesitz ausgegangen, sondern wir wollten mutig und frech nach vorne kombinieren. Das ist uns nach sieben Niederlagen in Serie ein wenig abhandengekommen, was ja nur menschlich ist. Aber der Zweck heiligt die Mittel und dann mit einer etwas veränderten Spielweise zu Punkten zu kommen, ist ja auch nicht der schlechteste Ansatz.
Solange er funktioniert, ist doch jeder Ansatz erlaubt
Neuhaus: Genau. Die Situation kommt ja auch nicht so überraschend. Bei vielen Buchmachern und Tippern war Bielefeld Abstiegskandidat Nummer eins. Bei den Mittel, die uns zur Verfügung stehen, ist schon ein gewaltiger Unterschied zu vielen anderen Klubs, und das muss sich dann irgendwie mal widerspiegeln und in der Regel ist das dann auch so.
Und was tut man dagegen?
Neuhaus: Man sollte immer versuchen, sportlich das Maximum herauszuholen. Und da muss man eben Mittel nutzen, die bei anderen Mannschaften weniger ausgeprägt sind. Das ist bei uns der Teamgeist, ansonsten hätten wir uns auch nach den sieben Niederlagen in Folge nicht so erholen können. Wir wussten, dass es ein schwieriges Jahr wird und dass wir jedes Mal ans Limit gehen müssen, um erfolgreich sein zu können. Und das wollen wir bis zum Schluss tun.
Sie haben auf der Henrichshütte in Hattingen eine Elektrikerlehre gemacht, waren außerdem vier Jahre bei der Bundeswehr. Hilft das in Ihrer heutigen Arbeit?
Neuhaus: Lebenserfahrung hilft immer. Ich habe vieles ausprobiert, aber es hatte immer alles mit Menschen zu tun. Und das hilft mir bis heute, wenn es um Dinge wie Mannschaftsführung und Einzelgespräche geht, oder um die Frage, wie man verschiedene Charaktere anpackt. Solche Erfahrungen kann jeder gebrauchen.
Die wenigsten Spieler haben sie aber heute, weil sie schon sehr jung in Fußballinternaten ausgebildet werden. Fehlt ihnen dadurch etwas?
Neuhaus: Die heutige Generation ist schon ganz anders als frühere. Auch der Fußball hat sich sehr verändert. Er ist finanziell so attraktiv geworden, dass viele nur noch wegen des Geldes im Geschäft sind. Und die Straßenfußballer sind so gut wie ausgestorben. Natürlich wird in den Nachwuchsleistungszentren gute Arbeit geleistet, aber an vielen Stellen ist das Intuitive verlorengegangen, vieles ist sehr stromlinienförmig. Aber man kann das auch nicht ändern, das Rad drehen wir nicht mehr zurück. Ich musste mich und meine Arbeit immer wieder anpassen. Wenn ich so arbeiten würde wie zu meiner Anfangszeit, hätte ich es nicht so weit geschafft. Und dann muss man sich auch im Umgang mit den Spielern immer wieder anpassen. Soziale Medien sind heute ein gewaltiges Thema. Das ist auch nicht unbedingt mein Spezialgebiet. Ich muss es aber akzeptieren und werde es nicht aus der Kabine verbannen können, deswegen muss man damit umgehen.
Sie werden von Wegbegleitern als sehr akribischer Arbeiter beschrieben. Muss man da gerade in weniger erfolgreichen Zeiten aufpassen, dass man nicht permanent nur an Fußball denkt und sich selbst überlastet?
Neuhaus: Da habe ich dazugelernt. Irgendwann sieht man tatsächlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, deswegen ist es für mich ganz wichtig, immer wieder Abstand zu bekommen. Ich verbringe Zeit mit der Familie, ich versuche jeden Tag, mit unseren beiden Hunden rauszugehen. Das sind Phasen, die ich sehr genieße und in denen ich den Kopf freibekomme. Da nehme ich auch kein Telefongespräch an. Dann hat man mal ein bisschen Abstand. Das heißt aber nicht, dass ich weniger Interesse habe am Job oder weniger Leistung bringe. Es ist einfach nur schlau, sich zwischendurch auch mal mit anderen Dingen beschäftigen.
Sie haben an vielen Orten sehr langfristig gearbeitet – und fast ausschließlich bei Traditionsvereinen. Sie wirken fast wie ein Antipol zum schnelllebigen Fußballgeschäft.
Neuhaus: Es war nicht unbedingt mein Plan, nur für Traditionsvereine zu arbeiten, das hat sich für mich als Jungen aus dem Pott so ergeben. Und es stimmt, meine Überlebensdauer in den Vereinen war meistens relativ lang. Das zeigt, dass ich sehr bodenständig bin und nicht auf dem Plan habe, alle zwei Jahre eine neue Stadt zu sehen. Ich will langfristig arbeiten und etwas entwickeln können, das war mir immer wichtig. Und das hat meistens gut geklappt – und manchmal nicht ganz so gut.