Essen. Lothar Matthäus sieht eine mögliche Ablösung des BVB als zweite Kraft - und erklärt im Interview, wo Leipzig stärker ist als Bayern.

An diesem Wochenende kann Lothar Matthäus wieder tun, was er besonders gerne tut: über Fußball reden. Am Sonntag ist der 59-Jährige im Fußballtalk "Sky 90" zu Gast (11.30/Sky Sport News), am Samstag ist er Experte beim Topspiel Bayern München gegen Borussia Dortmund (Sky/18.30 Uhr). Davor spricht der langjährige Bayern-Profi und Rekordnationalspieler im Interview über eben jenes Spiel, die immer größere Konkurrenz durch Leipzig, die unterschiedlichen Probleme der Bayern und der Dortmunder - und welchen BVB-Spieler er sich gut im Trikot der Bayern vorstellen könnte.

Bayern gegen Dortmund – ist das überhaupt noch ein Spitzenspiel?

Lothar Matthäus: Vom Namen her ja, von der Qualität der Spieler ja, von der Tabellensituation nein. Ein richtiges Spitzenspiel wäre aktuell, wenn Bayern gegen Leipzig spielen würde. Natürlich sind Bayern und Dortmund die größten Namen im deutschen Fußball, auch international. Aber Leipzig ist auf einem sehr guten Weg und hat Dortmund aktuell überholt. Da bahnt sich eine Ablösung an.

Trauen Sie Leipzig sogar zu, die Bayern als Meister abzulösen?

Matthäus: Wenn Bayern keine Fehler macht, dann nicht. Aber Leipzig hat bisher starke Leistungen gezeigt, hat einen sehr starken Kader, auch in der Breite. Außerdem sind sie taktisch sehr gut und sehr variabel. Leipzig hat eine Mannschaft, die Titel gewinnen kann. Sie sind ja auch im Pokal noch dabei.

Bayern hatte eigentlich schon einen deutlich größeren Vorsprung, jetzt sind es nur noch zwei Punkte. Warum ist der so eingeschmolzen?

Matthäus: Erst einmal kann man in Frankfurt zum jetzigen Zeitpunkt auch mal verlieren. Dann hat Bayern seit über einem Jahr durch die Corona-Pandemie eine sehr hohe Belastung, höher als jede andere Mannschaft – durch Champions League, die Supercup-Spiele und die Klub-WM. Das geht natürlich nicht spurlos an den Spielern vorbei, das ist ja auch mit Reisestrapazen verbunden. Da war es nicht verwunderlich, dass sie danach ein wenig müde waren und getaumelt sind, wie man es gegen Frankfurt und Bielefeld gesehen hat. Für die Spannung der Liga ist das natürlich gut – trotzdem bleibt der FC Bayern der große Favorit auf den Titel.

Ein großer Trumpf der Bayern war immer der breite Kader. Da scheinen sie nachgelassen zu haben.

Matthäus: Es geht vor allem um die Qualität in der Breite. Und die war in der vergangenen Saison höher. Da hatte man noch Coutinho, Thiago und Perisic. Und die Spieler, die man im Sommer geholt hat, haben bei weitem nicht die gleiche Qualität. Das ist vielleicht auch der wirtschaftlichen Situation geschuldet. Aber wenn ich Spieler als Backup für eine bestimmte Position hole, und die spielen dann nicht dort, hat man unnötig Geld rausgeschmissen. Letztes Wochenende fehlte Pavard auf der rechten Abwehrseite. Trotzdem saß Sarr, den man für diese Position geholt hat, auf der Bank und der Innenverteidiger Süle spielte rechts. Ähnlich ist es ja im Mittelfeld, da spielt Roca auch kaum. Offenbar hat man den Kader mehr mit Quantität als mit Qualität aufgefüllt. In der Hinsicht sehe ich Leipzig sogar stärker aufgestellt als den FC Bayern.

Der BVB hatte sich große Chancen ausgerechnet, weil er fast alle seine Stammspieler halten konnte, und läuft der Musik dennoch hinterher. Warum?

Matthäus: Wegen der Trainer-Entscheidung. Lucien Favre ist mit einem auslaufenden Vertrag in die Saison gegangen, und es gab ja schon Zweifel an ihm. Für mich war von vornherein klar, dass im Sommer Marco Rose kommen würde. Dortmund wollte aber keine Übergangslösung und hat gedacht, man schafft es noch ein Jahr mit Favre, obwohl der schon seit längerer Zeit angezählt war. Und der zweite Knackpunkt war die Verletzung von Erling Haaland, der nicht nur Torjäger ist, sondern auch die Emotion und Leidenschaft verkörpert, die Dortmund dringend braucht.

Im Dezember wurde Favre durch Edin Terzic ersetzt. Wie hat das aus ihrer Sicht funktioniert?

Matthäus: Am Anfang hatte die Mannschaft Schwierigkeiten, die Ergebnisse waren eher mau. Aber in den letzten Spielen lief es gut, vor allem das 3:2 in der Champions League gegen den FC Sevilla, also eine europäische Spitzenmannschaft, war ein Ausrufezeichen. Auch beim 1:0 gegen Gladbach haben sie vor allem in der zweiten Halbzeit überzeugt. Aber: Gladbach ist aktuell nicht in Form, Bielefeld und Schalke sind aktuell kein Gradmesser. Jetzt kommt es am Samstag darauf an, die Leistung aus dem Sevilla-Spiel zu bestätigen.

Was erwarten Sie für ein Spiel?

Matthäus: Ein spannendes, offensives Spiel. Bayern hat in den Heimspielen gegen Dortmund zuletzt immer sehr gute Ergebnisse mit offensivem Spiel erzielt und natürlich wollen sie zeigen, dass sie die absolute Nummer eins sind. Beide Mannschaften brauchen die Punkte dringend, deswegen werden sie auf Sieg spielen. Denn für Dortmund wird es eine Mammutaufgabe, in die Champions League zu kommen, wenn sie jetzt nicht gewinnen, aber Eintracht Frankfurt den VfB Stuttgart schlägt.

Am Samstag treffen Hansi Flick und Edin Terzic aufeinander, die beide als Co-Trainer in ihren Klubs angefangen haben. Warum war es bei Flick die größere Erfolgsgeschichte?

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Matthäus: Hansi Flick hatte ja schon ganz andere Erfahrungen, er ist schon Weltmeister geworden. Bei der Nationalmannschaft hat er im Hintergrund ganz wichtige Arbeit gemacht und dazu beigetragen, dass Deutschland 2014 Weltmeister geworden ist. Er hatte große Anerkennung bei den Nationalspielern und das hat ihm beim FC Bayern natürlich sehr geholfen, wo die drei Weltmeister Manuel Neuer, Thomas Müller und Jerome Boateng großen Einfluss haben. Und mit seiner Art kommt er bei den Spielern gut an.

In Dortmund kommt im Sommer Rose als Cheftrainer, Terzic wird dann wieder Assistent. Halten Sie das für eine schwierige Konstellation?

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Matthäus: Das kommt darauf an, wie man damit umgeht, aber ich denke nicht. Terzic wusste ja, dass im Sommer wahrscheinlich ein anderer Trainer kommt, Dortmund wird ja schon länger im Kontakt mit Rose gewesen sein. Und der Klub ist fair mit ihm umgegangen, es war ja klar kommuniziert: Terzic ist Trainer bis Saisonende. Alle Seiten haben sich korrekt verhalten.

Schauen wir mal auf die beiden Mannschaften. Gibt es beim BVB Spieler, die dem FC Bayern gut zu Gesicht stehen würden?

Matthäus: Haaland – aber erst in Zukunft als Nachfolger von Robert Lewandowski. Ich kann mir nicht vorstellen, dass beide zusammenspielen und sich so ergänzen könnten wie Müller und Lewandowski. Aber als Nachfolger ganz klar. Sancho sehe ich ähnlich stark wie Gnabry, Sané und Coman. Vielleicht noch Mats Hummels. Raphael Guerreiro ist auch ein Riesenspieler, aber als Linksverteidiger haben die Bayern ja schon Alphonso Davies und Hernandez.