Wolfsburg.. Zwölf verschiedene Dortmunder schießen 17 Tore in drei Spielen. Dank dieser neuen Unberechenbarkeit ist der BVB reif für die Spitze der Bundesliga.
Müde und abgekämpft sah Thomas Tuchel aus. Der Trainer von Borussia Dortmund musste erst einmal kräftig durchschnaufen. „Wir haben heute leiden müssen“, sagte er dann. Tatsächlich hatten er und seine Mannschaft nicht alles an diesem Abend im Griff gehabt. Da war erstens der Fehlalarm eine gute Stunde vor Anpfiff, als der BVB gerade im Stadion angekommen war. „Das war schon ein Schockmoment“, sagt Kapitän Marcel Schmelzer.
Weitere Schreckmomente waren auf dem Rasen gefolgt, als die Gegner vom VfL Wolfsburg Mitte des Spiels mächtig aufdrehten, sich ein halbes Dutzend hochkarätige Chancen erspielten. Dann aber gaben die Dortmunder noch einmal Gas, schossen drei schnelle Tore zum 5:1-Endstand und Tuchel konnte sich doch noch freuen über „ein unglaubliches Erlebnis“ – und über die Erkenntnis, dass seine Mannschaft mit neuformierter Offensive in der Bundesliga längst wieder reif für die Spitze ist.
Es war der dritte Kantersieg innerhalb von sieben Tagen: 6:0, 6:0, 5:1 lauteten die Ergebnisse in der Champions League bei Legia Warschau und in der Bundesliga gegen Darmstadt 98 und Wolfsburg.
„Bei uns läuft es momentan sehr gut, wir brauchen nicht viele Chancen, um Tore zu schießen“, freute sich Torhüter Roman Bürki. Und weil sie sich viele Chancen erspielen, schießen sie eben viele Tore.
Leipzig als Schlüsselspiel
17 Tore in drei Spielen gelangen einer Dortmunder Mannschaft zuletzt 1982, als Karl-Heinz Feldkamp noch Trainer war, als Manfred Burgsmüller stürmte, als Eike Immel und Rolf Rüssmann für das Verhindern von Toren zuständig waren – und als aus dem aktuellen Kader bis auf Roman Weidenfeller noch keiner geboren war.
Seit der 0:1-Niederlage in Leipzig läuft es in der Dortmunder Offensive. „Das war ein Schlüsselspiel“, sagt Schmelzer. „Weil wir da gemerkt haben, was passiert, wenn wir die Vorgaben nicht umsetzen und die Räume nicht finden.“ Zuletzt stürzten sie sich mit Lust in diese Räume, stets in höchster Geschwindigkeit und auf verwirrenden Wegen unterwegs.
Immer mehr wird erkennbar, wie sich Tuchel seine Mannschaft nach dem großen Umbruch im Sommer vorstellt. Statt als mathematisch präzise, aber auch etwas vorhersehbare Passmaschine kommt der BVB im Herbst 2016 als wilder Haufen daher, mit schnellen, anarchischen Dribbelkünstlern.
90 Minuten sieht sich der Gegner den Sprints und Tricks dieses schwarz-gelben Schwarms gegenüber und verliert irgendwann fast zwangsläufig die Übersicht – so zumindest soll es laufen.
Es bleibt ein schmaler Grat
Und zuletzt lief es so: Zwölf verschiedene Torschützen zeichneten für die 17 Treffer in den jüngsten drei Spielen verantwortlich. Viel unberechenbarer geht es nicht.
Noch aber sind es zu oft auch die eigenen Spieler, die von den Jungen überrascht werden. Gegen Wolfsburg war unübersehbar, dass sich im Rücken von Ousmane Dembélé und Raphael Guerreiro immer wieder große Lücken auftaten, die ein konsequenterer Gegner zu mehreren Toren hätte nutzen können. Der Grat zwischen anarchischer Offensive und chaotischer Defensive, er bleibt schmal. „Klar haben wir mit der ganzen Mannschaft noch daran zu arbeiten, wie wir verschieben, wie wir besser anlaufen“, sagt Schmelzer. „Da müssen sich die Automatismen auch noch entwickeln.“
Vollgepumpt mit Selbstbewusstsein
Doch nach der jüngsten Siegesserie ist der BVB vollgepumpt mit Selbstbewusstsein – das klingt selbst in den vermeintlichen Warnungen durch: „Es werden mal Spiele kommen, die nur 1:0 oder 2:0 ausgehen werden“, sagt etwa Gonzalo Castro.
Mit Niederlagen wird schon gar nicht mehr gerechnet.