Hagen. Im zweiten Teil des Interviews mit Hans-Joachim Watzke geht es um die Konkurrenzsituation in der Bundesliga sowie den neuen und alten Trainer des BVB.

Seit mehr als zehn Jahren führt Hans-Joachim Watzke (59) die Geschäfte des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund. Nach dem Blitzstart des BVB in die neue Saison haben wir uns mit Watzke getroffen.

Herr Watzke, acht Spiele, acht Siege für den BVB bis hierher. Haben Sie alles richtig gemacht?

Hans-Joachim Watzke: Man macht nie alles richtig und nie alles falsch. Wir haben letztes Jahr eine extrem schwierige Saison gehabt. Und trotzdem hatte ich immer das Gefühl, dass wir nichts Grundlegendes falsch machen. Die neue Saison beweist das bislang: In Bürki und Weigl spielen zwei Neuzugänge, der Rest war auch im letzten Jahr schon dabei. Andererseits ist mir der Hype jetzt schon wieder ein bisschen zu übertrieben.

Wie meinen Sie das?

Watzke: Vor drei Monaten noch wurde die ganze Zeit von allen Medien geschrieben: Die Dortmunder Zeit ist vorbei, Wolfsburg und Gladbach sind die neuen Bayern-Jäger. Und jetzt – es ist noch gar nicht viel passiert - soll alles schon wieder anders sein. Jetzt lese ich: Der BVB ist der einzige Klub, der in der Lage ist, die Bayern zu jagen. Das geht mir alles viel zu schnell, und auf der Basis von drei Bundesligaspielen ist das auch völlig absurd.

Deutschland sehnt sich vielleicht nach einem Bayern-Jäger.

Watzke: Die Bayern kann auf Strecke niemand jagen. Die haben so eine unfassbare Qualität. Sie haben es geschafft, heute auf einer Stufe mit Real Madrid und Barcelona zu sein. Das hätte ich ehrlicherweise nie erwartet. Das ist top.

Und für die Liga langweilig.

Watzke: Wir können den Bayern nicht vorwerfen, dass sie so gut sind. Wir haben ein extremes Ungleichgewicht der Kräfte, und ich sehe keine Lösung, das dauerhaft zu verändern. Das haben sie sich selbst erarbeitet, wir erkennen das ausdrücklich an! Aber was sollen die Bundesligisten auch machen? Sollen die Bayern jedes Spiel mit 0:2 anfangen? Bayern kann sich nur selbst schlagen, das wird auch irgendwann mal wieder passieren. Keiner macht keine Fehler.

BVB-Boss Hans-Joachim Watzke im Gespräch mit Daniel Berg (l.).
BVB-Boss Hans-Joachim Watzke im Gespräch mit Daniel Berg (l.). © Lars Heidrich / FUNKE Foto Service | Lars Heidrich / FUNKE Foto Service

Thomas Tuchel hat bei seiner Vorstellung gesagt, dass der BVB die ersten Vier in der Tabelle herausfordern will. Bayern gehört dazu.

Watzke: Das tun wir. Wir brauche uns ja auch nicht kleiner machen als wir sind. Natürlich wollen wir wieder in die Champions League, aber da sind noch ein paar andere gute Mannschaften. Wolfsburg, Leverkusen, Schalke und Gladbach zum Beispiel. Da kann man nicht sagen: Wir marschieren da wieder durch. Wir haben eine klare Rangordnung, wer leichter und wer schwerer zu verdrängen ist. Wenn ein Verein hundert Millionen Euro mehr Gehalt zahlen kann – und das ist bei den Bayern im Vergleich zu Borussia Dortmund der Fall -, dann müsste man bescheuert sein, zu sagen: Die greifen wir jetzt an!

Trauen Sie denn dem neuen Erfolg schon?

Watzke: Wir haben ein gutes Fundament. Wir hatten eine enorme Herausforderung zu meistern. In Jürgen Klopp hatten wir einen außergewöhnlichen Trainer, einen großartigen Botschafter des Vereins, und es herrschte landläufig die Meinung: Wenn der Klopp weg ist, dann bricht da alles zusammen. Diese Meinung hatte ich nie. Die werde ich auch nicht haben, wenn Michael Zorc oder ich mal weg sind. Die hatte aber auch Jürgen Klopp nie. Wir haben es nicht nur geschafft, diese fruchtbare Zusammenarbeit nach sieben Jahren sehr ordentlich zu beenden, sondern noch dazu eine der zentralsten Positionen im Verein nahtlos exzellent neu zu besetzen.

Ein Lob für Thomas Tuchel.

Watzke: Ich habe sehr viel Vertrauen in das, was da passiert – und das heißt bei mir schon etwas. Aber ich weiß auch, wie es im Fußball läuft. Die Sichtweise der Medien ändert sich von Spieltag zu Spieltag. Verlieren wir jetzt in Hannover, war alles wieder Schall und Rauch, das Lob verfrüht, sind die Probleme wieder da.

Aber das ändert ja nichts an Ihrer Meinung.

Watzke: Nein. Im Sommer habe ich so viel Zeit wie noch nie mit der Mannschaft verbracht. Erst auf der Asienreise, danach im Trainingslager in der Schweiz. Ich habe zusammen mit Michael Zorc fast jede Trainingseinheit beobachtet und gesehen, dass Thomas Tuchel die Dinge, die wir besprochen haben, sehr gut umsetzt. Das verstärkte das Gefühl, dass wir ohnehin schon hatten: Jau, das funktioniert! Aber dieses Gefühl ist sehr flüchtig. Wenn sich drei Spieler schwer verletzen, sieht die Welt schon wieder anders aus. In der Länderspielpause sitze ich jeden Abend mit schweißnassen Händen da und habe alle Live-Ticker der Welt angeschaltet, um zu sehen, ob sie gerade wieder einen unserer Jungs vom Feld tragen.

Sehen Sie dann so unentspannt aus, wie auf der Tribüne manchmal?

Watzke: Das sagt mir meine Mutter auch immer. Ich bin gar nicht unentspannt, ich bin nur konzentriert. Das sieht dann nur so aus, als wenn ich schlecht gelaunt wäre.

Hat Ihnen Jürgen Klopp schon zum Saisonstart gratuliert?

Watzke: Klar, ist doch logisch. Jürgen und ich sind Freunde fürs Leben, und wir haben natürlich Kontakt gehabt.

Wann wird er erstmals sein Abschiedsgeschenk – die drei Dauerkarten – nutzen?

Watzke: Er war noch nicht wieder im Signal Iduna Park, das stimmt. Jürgen weiß auch, was das medial auslösen würde, und er geht mit dieser Situation sehr sorgfältig und feinfühlig um. Es wird der Tag kommen, da wird er im Stadion sein. Darauf freuen wir uns. Er weiß selbst genau, wann der Zeitpunkt gekommen ist.

Wie erleben Sie seinen Nachfolger in der täglichen Arbeit?

Watzke: Thomas Tuchel hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch entwickelt. Das ist – so glaube ich – auch von der menschlichen Seite nicht mehr der Trainer, der er zu seiner Anfangszeit in Mainz war. Er hat eine höhere Gelassenheit entwickelt, nie so, dass ihm alles egal ist. Aber er weiß auch, dass es schwierig ist, wenn man bei jeder Kleinigkeit explodiert. Er hat sich sehr, sehr stark mit dem Thema Borussia Dortmund auseinandergesetzt. Es ist schon eine Herausforderung, Trainer bei einem Verein zu sein, der so viele Menschen bewegt. Das hat er gut antizipiert. Das ist ein kluger Junge, Hut ab.

Sie meinen: Er war gut vorbereitet?

Watzke: Unbedingt. Er hat sehr schnell ein Gefühl dafür entwickelt, was dem BVB-Fan wichtig ist, wie er tickt. Es hilft, die Seele eines Vereins zu ergründen.

Watzke: "Wir müssen für uns immer Maß und Mitte finden."

Den BVB zeichnet bislang eine fast greifbare Freude am Spiel aus. Sind Sie überrascht, wie befreit einige Spieler agieren?

Watzke: Alles, was Thomas macht, basiert auf dem Fundament der Arbeit von Jürgen Klopp. Das sagt Thomas ja selbst. Was das Gegenpressing betrifft, sind sich beide sehr ähnlich. Bei Jürgen ging es aber dann darum, den Überraschungseffekt möglichst schnell in ein Tor umzumünzen. Aber jetzt mussten wir in unserer Entwicklung den nächsten Schritt machen. Wir standen im Februar auf Platz 18 und hatten die zweitgrößten Ballbesitzzeiten in der Liga. Wir mussten unser Spiel umstellen, unabhängig vom Trainer. Mit der Art wie wir Fußball spielten, hatten wir das Alleinstellungsmerkmal verloren.

Nun ist es wieder da?

Watzke: Thomas macht das jedenfalls sehr, sehr gut. Jürgen hat sieben Jahre Toparbeit abgeliefert, aber das wurde ja nicht leichter. Es gibt immer Mechanismen, die sich einschleifen. Du kannst nicht jeden Tag das Rad neu erfinden. Das heißt: Der Reiz des Neuen ist jetzt einfach da.

Was hilft Tuchel derzeit noch?

Watzke: Zum einen erzeugte der siebte Platz eine gewisse Demut, nachdem wir jahrelang ausschließlich Erster oder Zweiter waren. Kein Turnier in der Sommerpause zu haben, ist auch ein Vorteil, dadurch konnten wir die notwendigen körperlichen Voraussetzungen schaffen. Nach der Weltmeisterschaft und nach den vielen erfolgreichen Jahren hat vielleicht der eine oder andere gedacht, dass es auch mit 98 Prozent geht. Das funktioniert aber nicht. Wenn jetzt der eine oder andere Spieler in der Öffentlichkeit sagt, dass er vier, fünf Kilo Gewicht verloren hat...

Kapitän Mats Hummels erwähnte so etwas.

Watzke: … dann hilft das. Aber man kann dann auch fragen: Jungs, warum nicht letztes Jahr auch schon? Spieler sind allerdings keine Maschinen, sie waren über viele Jahren hohen Belastungen ausgesetzt.

Auch Ilkay Gündogan wirkt athletisch wie lange nicht. Wann beginnen mit ihm die Gespräche über seine Zukunft?

Watzke: Wir werden sicherlich irgendwann Gespräche führen, aber wir werden – wie es unsere Art ist –nicht darüber informieren und keine Wasserstandsmeldungen abgeben.

Klingt, als habe der Poker schon wieder begonnen.

Watzke: Das ist Ihre Interpretation. Fakt ist, dass wir jeden unserer Topspieler ohne Wenn und Aber halten wollen. Dazu gehört natürlich auch Ilkay. Wir warten nicht darauf – den Eindruck haben wir glaube ich auch in den vergangenen Jahren vermittelt – möglichst schnell den nächsten 40-Millionen-Verkauf zu tätigen. Das hätten wir auch in diesem Sommer wieder machen können. Aber das ist nicht unser Ziel. Unser klares Ziel ist es, die Leute, die für uns elementar wichtig sind, zu halten. Im vergangenen Herbst war angeblich Hummels in Manchester, Reus bei Bayern, Gündogan beim FC Barcelona. Und nun? Sind sie alle noch hier. Wir sind bemüht, sie alle zu halten. Wenn es mal nicht geht, müssen wir eben die Stärke haben, mit Geduld die Lücke wieder zu schließen. Mkhitaryan war abgeschrieben, nun wird er als eine Art Wunderspieler gefeiert. Wir müssen für uns immer Maß und Mitte finden.

Und weiter in die Mannschaft investieren?

Watzke: Wir werden das allermeiste Geld, das wir erwirtschaften, in den Fußball stecken. Es geht um die Fokussierung auf das Kerngeschäft. Wir haben keine Schulden mehr. Warum sollten wir die Zuwächse nicht in den Fußball stecken? Wir haben nicht den Anspruch, höhere Einlagen als die Volksbank Dortmund zu haben. Wir haben zehn Jahre sehr hart für diese komfortable Situation gearbeitet: Wir haben 200 Millionen Euro Schulden abgebaut und haben obendrein noch ein üppiges Festgeldkonto. Wenn ich sehe, dass in Italien vier Mannschaften ein Gehaltsbudget von über 100 Millionen Euro haben und wir noch deutlich unter diesem Betrag liegen, dann ist klar, was wir tun müssen, um die Wahrscheinlichkeit auf sportlichen Erfolg auch in Europa zu erhöhen.

Wann hat die Borussia die 100-Millionen-Marke für den Lizenzspielerbereich erreicht?

Watzke: Ich erwarte, dass wir sicherlich in zwei, drei Jahren soweit sind. Das geht aber nur über Wachstum. In der Europa League sind wir mit 85 Millionen schon weit vorne, Liverpool hat im Zweifel natürlich mehr.

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Gleichzeitig wollen Sie mehr auf die Jugend setzen. Wie lässt sich das vereinen?

Watzke: Jugendarbeit löst man nicht über Geld, sondern über kluge Konzepte, über Infrastruktur. Unsere U17 ist zweimal Deutscher Meister geworden und steht jetzt bei der U19 wieder an erster Stelle. Ich beobachte die Mannschaft seit vielen Jahren – und zwar mit enorm viel Freude. Da sind fünf, sechs Spieler, denen wir allen den Sprung in die Profimannschaft von Borussia Dortmund zutrauen. Die Spieler wissen, dass wir sie kennen, dass wir eine klare Wertschätzung für sie haben.

Wann werden Sie denn Präsident des BVB?

Watzke: (lacht) Es gibt schlimmere Ämter, von daher schließe ich nicht aus, mir das Amt irgendwann einmal vorstellen zu können.

Es gab jüngst die Spekulation, Dr. Reinhard Rauball würde ein europäisches Amt anstreben und Sie sein Nachfolger als Präsident werden.

Watzke: Da ist nichts dran. Mein Vertrag als Geschäftsführer läuft bis 2019, und den werde ich definitiv erfüllen. Beide Ämter gleichzeitig lassen sich nicht miteinander verbinden. Sich selbst zu kontrollieren, das halte ich für problematisch. Das geht vielleicht in Nordkorea, aber nicht beim BVB.

Haben Sie Interesse an anderen Ämtern im großen Fußball?

Watzke: Egal, was in der großen Fußball-Politik passiert: Ich strebe außerhalb von Borussia Dortmund kein Amt an. Ich bin nicht der klassische Funktionär. Mein Thema ist nur Borussia Dortmund, nichts anderes!